Unterdrückung im Iran: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

Ein schockierender UN-Bericht offenbart die Brutalität der Islamischen Republik Iran: Von unrechtmäßigen Tötungen bis hin zu sexueller Gewalt. Die Handlungen gegen Protestierende, insbesondere Frauen, könnten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten. Der Tod von Jina Mahsa Amini löste landesweite Proteste aus, die mit extremer Gewalt niedergeschlagen wurden.

Von: Omid Rezaee

Die von den Vereinten Nationen eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission zum Iran hat die Islamische Republik für die „physische Gewalt“ verantwortlich gemacht, die im September 2022 zum Tod von Jina Mahsa Amini führte. In einem detaillierten vorläufigen Bericht, den die Kommission am 8. März, dem internationalen Frauentag, dem UN-Menschenrechtsrat präsentierte, stuft die Kommission die Maßnahmen der iranischen Regierung gegen Frauen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ein. 

Nach Ansicht der Kommission stellen „viele der schweren Menschenrechtsverletzungen, die im vorliegenden Bericht dargelegt sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, insbesondere Mord, Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Belästigung und Verfolgung, Verschwinden lassen und andere unmenschliche Akte, die als Teil eines weitverbreiteten und systematischen Angriffs gegen Zivilbevölkerung, nämlich Frauen und Mädchen und andere Menschenrechtsverteidiger, begangen wurden.“ 

Der Bericht basiert auf dem „Gesamtverhalten der Staatsbeamten, einschließlich Aussagen von Regierungsbeamten, der fortgesetzten Straflosigkeit der Menschenrechtsverletzer*innen und der Nichtverurteilung solchen Verhaltens durch die Regierung, was darauf hindeutet, dass die begangenen Handlungen im Rahmen der Regierungspolitik durchgeführt wurden“. Insbesondere zeigte sich die Kommission überzeugt, dass diese Angriffe „von verschiedenen staatlichen Einrichtungen geplant, geleitet und organisiert wurden und dass erhebliche Ressourcen des Landes investiert wurden“.

Am Jahrestag des gewaltsamen Todes von Mahsa Amini veröffentlichten viele Internet-User dieses Foto von ihr auf dem Sterbebett
Mahsa Amini im Koma im Teheraner Krankenhaus

Der „Schlag“, der Jina Mahsa Amini traf

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass „auf der Basis vernünftiger Gründe“ glaubhaft sei, dass „der Tod von Frau Amini durch äußere Ursachen verursacht wurde. Für die Kommission ist das Vorhandensein von Beweisen für Traumata am Körper von Frau Amini, die während ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei verursacht wurden, offensichtlich.“ Mahsa Amini sei körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen, die zu ihrem Tod geführt habe. Daraus folge, dass die Islamische Republik für ihren Tod verantwortlich sei, heißt es in dem Bericht weiter.

Die Kommission kritisiert darin auch die „willkürliche Natur der Festnahme und Inhaftierung von Frau Jina Mahsa Amini“ und stellt fest, dass „ihre Festnahme und Inhaftierung auf Gesetzen und Politiken beruhte, die den obligatorischen Hijab betreffen“. Diese Gesetze seien „grundsätzlich diskriminierend gegen Frauen und Mädchen und nach internationalem Menschenrecht nicht zulässig“.

Die 22-jährige Jina Mahsa Amini aus der kurdischen Stadt Saqqez war zu Besuch bei Verwandten in Teheran, als sie am 16. September 2022 von der Sittenpolizei wegen Nichtbeachtung des obligatorischen Hijab festgenommen und in Polizeigewahrsam genommen wurde. Laut dem Bericht der Kommission  „wurde sie 26 Minuten später bewusstlos und es dauerte eine halbe Stunde, bis sie ins Krankenhaus gebracht wurde“.

 

Neue Strafen für Verstöße gegen Hijab-Pflicht
Frauen wehren sich gegen Hijab-Pflicht im Iran

Die Islamische Republik Iran hat stets jede Verantwortung für den Tod der jungen Frau abgestritten und behauptet, Amini habe seit ihrer Kindheit aufgrund einer Operation gesundheitliche Probleme gehabt. Die Familie der Getöteten hat dies wiederholt bestritten. Auch die Kommission weist in ihrem Bericht diese Behauptung zurück. Das islamische Regime habe statt dessen „seine Pflicht nicht erfüllt, schnell, effektiv, umfassend, unabhängig, unparteiisch und transparent Ermittlungen zu ‚möglicherweise unrechtmäßigen Toden‘ durchzuführen. Stattdessen haben die iranischen Behörden aktiv versucht, die Wahrheit über den Tod von Frau Amini sowohl vor ihrer Familie wie auch vor der Öffentlichkeit zu verbergen“.

Der Tod von Jina Mahsa Amini hatte zu landesweiten Protesten im Iran gegen den obligatorischen Hijab sowie gegen die Innen- und Außenpolitik der Islamischen Republik und zu der Forderung nach mehr individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten geführt. Die mehrere Monate andauernden Proteste waren von Sicherheits- und Polizeikräften brutal unterdrückt worden. Dabei wurden mindestens 500 Demonstranten von Sicherheits- und Polizeikräften ermordet und mehr als 20.000 Personen festgenommen. Die UN-Untersuchungskommission betont in ihrem Bericht, dass die Islamische Republik „unnötig und unverhältnismäßig tödliche Gewalt“ zur Unterdrückung dieser Demonstrationen eingesetzt habe und dass Sicherheitskräfte Häftlinge sexuell missbraucht hätten.

Enthüllungen über Tötungen durch Sicherheitskräfte

Der Bericht betont auch, dass die Proteste aufgrund der dabei führenden Rolle von Frauen und Jugendlichen, ihrer Ausdehnung und Dauer und schließlich der beispiellos gewalttätigen Reaktion der Regierung bemerkenswert gewesen seien. Diese Gewalt hatte den UN-Menschenrechtsrat dazu veranlasst, die Untersuchungskommission im November 2022 ins Leben zu rufen. Die Aufgabe der Kommissionsmitglieder, zu denen drei weibliche Juristinnen gehören, besteht darin, die Unterdrückung der Proteste im Iran zu dokumentieren und Beweise für Menschenrechtsverletzungen zu sammeln, um die verantwortlichen Beamten zu identifizieren und rechtlich zu verfolgen.

Die iranischen Behörden haben die Einrichtung der Kommission als „feindseligen politischen Akt“ bezeichnet. Die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini hatten mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ begonnen, später richteten Demonstrant*innen ihre Parolen auch gegen Regierungsfunktionäre, insbesondere gegen  Ayatollah Ali Khamenei, den Obersten Führer der Islamischen Republik, und forderten den Sturz des gesamten Regimes.

Der Bericht der UN-Untersuchungskommission belegt, dass die Sicherheitskräfte der Islamischen Republik Schrotflinten, Sturmgewehre und Handmaschinengewehre gegen Demonstrant*innen einsetzten und dadurch „unrechtmäßige und außergerichtliche Tötungen“ begangen wurden. Die Kommission stellte auch ein Muster fest, bei dem gezielt auf die Augen von Demonstrant*innen geschossen wurde. Der Bericht betont die abschreckende und furchteinflößende Wirkung solcher Verletzungen, da sie bei den Opfern dauerhafte Schäden hinterlassen und sie als Demonstrant*innen „markieren“.

Einige Festgenommene wurden zudem sexueller Gewalt ausgesetzt, einschließlich Vergewaltigung oder Vergewaltigungsandrohung, erzwungener Nacktheit, Berührungen und elektrischer Schocks an den Genitalien. Die Sicherheitskräfte hätten gesellschaftliche und kulturelle Stigmata genutzt, die mit sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden seien, um Angst und Demütigung unter Frauen, Männern und Kindern zu verbreiten, schließt der Bericht daraus.

Armita Garavand
Armita Garavand

Untersuchung des Todes von Armita Garavand

Die Kommission gab auch bekannt, dass ihre Untersuchungen zum Tod von Armita Garavand noch andauerten. Die 16-Jährige war am 28. Oktober 2023 in einer Teheraner U-Bahn-Station mit Hijab-Wächterinnen in einen Streit geraten, weil sie kein Kopftuch trug. Sie wurden dabei gestoßen und fiel zunächst ins Koma. Später verstarb das Mädchen im Krankenhaus. Ihre Eltern erklärten im staatlichen iranischen Fernsehen den plötzlichen Tod ihrer Tochter mit „Bluthochdruck“, dem „Sturz“ oder vielleicht beidem. Wie im Fall von Amini versuchten die Behörden, die Ursachen und Umstände um Geravands Tod zu verschleiern. Dabei wurden auch Journalist*innen verhaftet und verurteilt, die über den Fall berichtet hatten.

Darüber hinaus erwähnt der Bericht auch die Welle von Vergiftungen, die im Frühjahr 2023 iranische Schülerinnen betroffen hatte, ohne dass die Ursache dafür bislang festgestellt wurde.

Laut der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press hat der Iran auf den Bericht der UN-Kommission bisher nicht reagiert. Behörden der Islamischen Republik hätten auch die Anfrage der Nachrichtenagentur nach einer Stellungnahme nicht beantwortet. Angesichts der verbreiteten Besorgnis des Westens über den Fortschritt des iranischen Atomprogramms, die militärische Unterstützung Teherans für Russland im Krieg gegen die Ukraine und die anhaltende Belästigung und Inhaftierung von Aktivist*innen im Iran, einschließlich der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, kann die Veröffentlichung des UN-Berichts zu einem erhöhten internationalen Druck auf Teheran führen.♦

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