Wappnen für den Tag  danach – Ali Chamenei und der Krieg in der Ukraine

Öffentliche Meinung hin, ausländische Medien her: Ali Chamenei bleibt sich treu. Der Iran gehöre im Ukraine-Konflikt an die Seite Russlands, darüber lässt das geistliche Oberhaupt des Iran keine Zweifel aufkommen. Seine neue Regierung unter Ebrahim Raissi, seit neun Monaten im Amt, verfolgt diese Linie konsequent. Sieben Mal besuchte Amir Abdollahian, der neue iranische Außenminister, in diesen neun Monaten Moskau. Am vierten Tag der Invasion in die Ukraine trafen 350 russische Investoren in Teheran ein und konferierten darüber, wie Iran und Russland enger und intensiver zusammenarbeiten könnten. Öffentlich erklärten die Initiatoren dieser Konferenz, Iran wolle den Gästen aus Russland Wege zeigen, wie man effektiv die westlichen Sanktionen umgehen könne. Seit 42 Jahren, seit ihrem Bestehen, ist die Islamische Republik auf diesen Umwegen unterwegs.

Ein Woche nach dem Einmarsch in die Ukraine und kurz vor der bevorstehenden Einigung über das iranische Atomabkommen erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow, sein Land könne dem Abkommen nicht zustimmen. Wegen der westlichen Sanktionen seien „in letzter Zeit Probleme für Russland aufgetreten“. Moskau brauche schriftliche Garantien, dass nach der Unterzeichnung des Abkommens seine wirtschaftlichen Interessen im Iran unangetastet bleiben. Seit dieser Erklärung sind die Atomverhandlungen mit dem Iran ausgesetzt.

Bei diesen Interessen geht es in der Tat um das Grundsätzliche. So grundsätzlich wie dieser Tage in der Ukraine. „Sollte sich je das System im Iran ändern und in diesem Land ein pro-westliches System etabliert werden, wird dies zu einem Tod Russlands führen. Das wäre der erste Schritt zum Zusammenbruch Russlands“: Diese martialische Warnung äußerte Putins Iran-Experte Rejab Safarov vor zehn Tagen in einer Talkrunde des TV-Senders Al Jazirah. Safarov ist Tadschike, Persisch ist seine Muttersprache. Der 63-Jährige gehört zu den Top-Diplomaten Russlands und ist in iranischen und arabischen Medien Dauergast. Um alle zu beruhigen, fügte er in der Talkrunde hinzu: „Gott hat dem Iran einen Führer gewährt, der göttliches Licht ausstrahlt, wenn er redet. Auch in Moskau haben wir einen weisen, starken Führer, der es versteht, Gefahren abzuwenden.“

Kurz gesagt: Russland betrachtet den Iran als seinen Hinterhof. Die islamische Revolution setzte den Iran ein für alle Mal an die Seite Moskaus. Und einstweilen bleibt es so.

Antiwestlich von der Wiege bis zur Bahre

Ali Chamenei ist der beste Garant für diesen Status Quo. Seit seiner Jugend kämpfe er gegen die westliche Kultur und Ordnung, rühmt er sich oft. Und hier spricht Chamenei tatsächlich die Wahrheit. Er muss elf oder zwölf Jahr alt gewesen sein, als er in seiner Heimatstadt Maschhad den jungen Rebellen Navab Safavi kennenlernt.

Der Geistliche Navab Safavi nach der Verhaftung im Herbst 1955
Der Geistliche Navab Safavi nach der Verhaftung im Herbst 1955

Es ist Anfang der 1950er Jahre, der gutaussehende und rhetorisch gewandte Safavi kommt gerade aus dem revolutionären Ägypten. Und er hat vieles über den politischen Islam im Gepäck. In Ägypten verinnerlichte er die Ideen der Muslimbrüder, die dort eine große Anhängerschaft haben. Ali Chamenei wird später eines der Bücher der ägyptischen Brüder ins Persische übertragen. Sein Mentor Safavi, der eine Terrorgruppe gründete und in den 1950er und -60er Jahren mehrere Anschläge verübte, wird hingerichtet. Heute wird er in iranischen Schulbüchern als Märtyrer geehrt.

„Wo wart Ihr?“

Wie der Ukraine-Krieg endet, wissen wir nicht. „Nach dem Krieg werden wir die iranischen Anführer fragen, wo sie in den Tagen des Krieges waren“, sagte am 14. April Sergey Bordiliak, ukrainischer Botschafter in Teheran, in einem Zeitungsinterview, das für große Aufregung sorgte. „Die iranische Bevölkerung ist auf unserer Seite. Aber von der Regierung erhalten wir keine Hilfe“, fügte der Botschafter hinzu und erzählte davon, wie die Menschen in den Straßen Teherans mit ihm sympathisieren.

„Vergesst nicht, dass Ihr Eure Lebensmittel in der Ukraine kauft. Die Hälfte des iranischen Speiseöls liefern wir, auch bei Getreide sind wir dabei“, sagte der Botschafter und erinnerte daran, dass die Ukraine außerdem das einzige Land sei, das in und mit dem Iran gemeinsam Flugzeuge und Helikopter baut.

Was der Krieg schon jetzt im Iran anrichtet, konnte man vergangene Woche auf der Webseite des staatlichen Funks und Fernsehen lesen: Die Preise für manche Lebensmittel, vor allem Speiseöl, steigen seit dem Ukrainekonflikt täglich.♦

© Iran Journal

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