Hat der Atomdeal mit Iran noch eine Zukunft?

Am 29. November sollen Verhandlungen zur Revitalisierung des Atomabkommens mit dem Iran beginnen. Welche Probleme einer Einigung im Weg stehen und welche Chancen das Abkommen hat, beschreibt Behrooz Bayat, ehemaliger Berater der Internationalen Atomenergiebehörde.

Die Islamische Republik Iran (IRI) hat sich seit ihrer Gründung 1979 als Staat etabliert, der nicht willens ist, internationalen Spielregeln zu folgen und irdische Realitäten anzuerkennen. Daraus folgen irrationale Haltungen, wie etwa die erbitterte Feindschaft gegenüber den USA und Israel. Diese zu Beginn ideologisch motivierte und legitimierte Politik der Animosität hat eine Metamorphose durchgemacht, die darin besteht, dass sie heute zur Kompensation der verlorenen Legitimität im Inneren der Islamischen Republik herhalten soll. Sie mutierte so zur tragenden Säule der Islamischen Republik.

Zur Aufrechterhaltung dieses Zustands von Nicht-Frieden und Nicht-Krieg benötigt das iranische Regime Druck- und Abschreckungsmittel wie die Ausweitung der geographischen Einflusssphäre im Ausland und das Streben nach der Atombombe. Mit anderen Worten: Der Atomkonflikt ist eingebettet in ein viel größeres, vom Charakter der IRI determiniertes Konfliktfeld – und zugleich dessen akutester Teil.

Die Vorgeschichte

Die Auseinandersetzung um das iranische Nuklearprogramm, die in den Jahren 2002 bis 2003 begann, gipfelte im „Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA)“, der in Wien zwischen den USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit der IRI verhandelt und 2015 beschlossen wurde. Diese Vereinbarung sorgte dafür, dass zwar ein Rest-Anreicherungsprogramm für die IRI übrig blieb, ihr aber zugleich alle Wege zu einer atomaren Bewaffnung unter normalen Bedingungen versperrt geblieben wären. Ferner war JCPOA so konzipiert, dass der zeitliche Abstand zur Herstellung von ausreichend waffenfähigem Uran für eine Atombombe – die sogenannte „breakout time“ – mindestens ein Jahr sein sollte.
Im Gegenzug sollte das diesbezüglich errichtete Sanktionsregime der USA und der Europäischen Union gegen die IRI aufgehoben, der JCPOA durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats sanktioniert und alle vorangegangenen international verpflichtenden Sanktionen dieses UN-Gremiums suspendiert werden.

Der Westen erwartete, dass der JCPOA neben der Verhinderung einer iranischen Atombombe zur ökonomischen Öffnung der IRI beitragen würde; diese Öffnung könnte wiederum die iranische Führung besänftigen und so auf einen Pfad der Normalisierung führen. Auf iranischer Seite hofften Teile des Regimes wie die Regierung des damaligen Präsidenten Hassan Rouhani, durch die ökonomische Öffnung die prekäre und durch die Sanktionen zusätzlich strapazierte Wirtschaft im Iran in eine erträglichere Situation zu versetzen.

Andererseits gab es erbitterten Widerstand gegen den Deal: Die US-Republikaner wollten zusammen mit ihren Verbündeten – wie Benjamin Netanyahu in Israel und den arabischen Scheichs auf der Südseite des Persischen Golfes – mit allen Mitteln eine Vereinbarung mit Teheran verhindern. Und auf iranischer Seite hatte der oberste religiöse Führers Ali Chamenei ein taktisches Verhältnis zum JCPOA: Er spekulierte, von den ökonomischen Vorzüge der Vereinbarung profitieren zu können, ohne Änderungen an seiner Regionalpolitik zu akzeptieren.

Somit war das Dynamit mit zwei Zündschnüren zur Sprengung des JCPOA gelegt.

"Glückliche Tage" für Irans Ex-Außenminister M. Javad Zarif, als direktes Gespräch mit seinem Amtskollegen John Kerry noch möglich war - Foto: tejaratnews.com
„Glückliche Tage“ für Irans Ex-Außenminister M. Javad Zarif (re. mi.), als direktes Gespräch mit seinem Amtskollegen John Kerry noch möglich war – Foto: tejaratnews.com

Die Lage nach Abschluss der JCPOA

Nach Abschluss der Vereinbarung wurden die US-Sanktionen teilweise gelockert und die sekundären Sanktionen vollständig suspendiert, alte Schulden der USA gegenüber dem Iran wurden erstattet, die meisten iranischen Firmen von Sanktionen befreit und einiges mehr. Allerdings blieben die Sanktionen der US-Legislative unberührt. Die Uneinigkeit in den USA bedingte, dass die Aufhebung der Sanktionen nur halbherzig erfolgte. Die Konsequenz dieser Politik war, dass die beginnende, maßgeblich von EU-Firmen betriebene wirtschaftliche Öffnung in Richtung des Iran verpuffte.

Auf iranischer Seite hat die Führung die Vereinbarung dem Text entsprechend exakt erfüllt. Das bedeutete eine massive Reduktion des bereits angehäuften, leicht angereichten Urans (LEU) auf maximal 300 kg für 15 Jahre und auf 120 Tonnen Schwerwasser, die Beschränkung des Urananreicherungsgrades auf 3,67 Prozent, ein Verbot des Einsatzes effizienterer Zentrifugen für acht bzw. zehn Jahre, keine Anreicherung in der unterirdischen Atomeinrichtung Fordo, die Überwachung der Uranförderung im Iran für 25 Jahre und nicht zuletzt die Zustimmung zum NPT-Zusatzprotokoll („Additional Protocol“, AP) auf unbegrenzte Zeit.

Aber die IRI war nicht bereit, ihre den westlichen Interessen zuwider laufende Regionalpolitik zu ändern und etwa die Feindschaft zu den USA und zu Israel zu mäßigen. Chamenei untersagte sofort nach Abschluss des JCPOA jegliche weitere Gespräche mit den USA und intensivierte parallel dazu die Stellvertreterkriege in den Nachbarländern wie etwa Syrien.

Die jetzige Situation der JCPOA

Die USA unter Donald Trump haben sich einseitig aus der JCPOA zurückgezogen, alle halbwegs suspendierten Sanktionen wiederbelebt und neue verschärfte hinzugefügt. Trump hatte gehofft, die Führung der IRI würde in direkte Verhandlungen mit ihm treten. Er wollte eine bilaterale Vereinbarung mit Teheran erzwingen. Um dieses Ziel zu erreichen, war Trump bereit, die ohnehin marode Wirtschaft des Iran ohne Rücksicht auf die leidende Bevölkerung weiter in den Ruin zu treiben. Doch selbst das militärische Zähne zeigen, das beide Länder mehrmals an die Schwelle eines Kriegs führte, brachte keine Früchte.

Die IRI ihrerseits übte sich ein Jahr lang in Geduld. In dieser Zeit erhöhte sie jedoch den Druck auf die EU mit der Forderung, sie möge die Verluste des Austritts der USA aus dem Atomdeal kompensieren. Da bis dahin alle verbliebenen JCPOA-Parteien diese mühevoll erreichte Vereinbarung mit allen Mitteln erhalten wollten, versuchten die Europäer, mit der Einrichtung des Finanztransaktionsinstruments „INSTEX“ Abhilfe zu leisten – vergeblich.
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