Ukraine-Krise: Die Islamische Republik Iran in der Zwickmühle

Einerseits sitzen die islamischen Machthaber des Irans gerade mit dem Westen an einem Tisch, um den Atomkonflikt zu lösen. Andererseits befindet sich ihr politischer Verbündeter Russland gegen alle Regeln der Vereinten Nationen im Krieg gegen ein europäisches Land.

Von Nasrin Bassiri

Laut einem Bericht der iranischen Nachrichtenagentur Farsnews hat Irans Präsident Ibrahim Raissi am Freitag mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefoniert. In dem Gespräch sagte Raissi demnach, dass die Lage „wegen der Osterweiterung der NATO“ angespannt sei und dies „eine ernsthafte Bedrohung für Stabilität und Sicherheit unabhängiger Länder in diversen Gebieten“ darstelle. Er habe seine Hoffnung ausgedrückt, dass das, was nun passiere, zugunsten der gesamten Region enden werde. Raissi sagte mit Hinweis auf die derzeit stattfindenden Atomverhandlungen des Irans mit dem Westen, dass der Iran eine dauerhafte Einigung ansteuere – mit Sicherheitsgarantien, einem Ende der „politischen Sprüche“ und einem „wirklichen Ende“ der Sanktionen.

Putin sagte laut Farsnews, der aktuelle Zustand sei eine gerechtfertigte Antwort auf jahrzehntelange Feindschaft und Bemühungen des Westens, der Sicherheit seines Landes zu schaden. Er habe auf die bilaterale Zusammenarbeit des Irans mit der Internationalen Atomenergiebehörde hingewiesen und die Notwendigkeit betont, diese fortzusetzen. Das Telefonat fand breite Resonanz in der iranischen Presse.

Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian twitterte: „Die Ukraine-Krise hat ihre Wurzeln in Nato-Provokationen. Wir denken, Krieg ist keine Lösung. Nötig sind ein Waffenstillstand und die Konzentration auf eine politische und demokratische Lösung.“ In einem Telefonat mit dem Botschafter der Islamischen Republik Iran in Kiew wies der Außenminister diesen an, sich über die Situation von Iraner*innen in der Ukraine zu informieren und für deren Sicherheit zu sorgen beziehungsweise ihnen die Ausreise zu ermöglichen.

Der Sprecher das Außenministerium, Saeed Khatibzadeh, brachte sein Bedauern über den Beginn des Militäreinsatzes und die Eskalation des Konflikts zum Ausdruck. Die Islamische Republik Iran verfolge die Entwicklung in der Ukraine mit großer Sorge, sagte er: „Bedauerlich ist, dass die Osterweiterung der NATO, die von den USA ausging, dazu führte, dass die eurasische Region nun am Rande einer umfassenden Krise steht.“ 

Auch die Freitagsprediger im Iran haben heute den russischen Angriff auf die Ukraine thematisiert. Freitagsprediger sind Vertreter des Staatsoberhaupts Ayatollah Ali Chamenei. Die Themen ihrer Predigten werden in der Regel zentral in Teheran festgelegt. Sie haben die Aufgabe, neben dem Gebet auch tagesaktuelle politische und soziale Themen anzusprechen. Der einhellige Tenor diese Woche: Die USA tragen die Schuld dafür, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Sie wiederholten damit die offizielle Stellungnahme der Regierung.

 

Irans Präsident Ebrahim Raissi (re.) besuchte im Januar seinen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau
Irans Präsident Ebrahim Raissi (re.) besuchte im Januar seinen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau

Kritische Haltungen

Anders sieht die politische Analyse der gemäßigten Kräfte und Reformer innerhalb der Islamischen Republik aus. Der reformistische politische Analyst Sadegh Zibakalam etwa sagte zur Besetzung der Ukraine durch russisches Militär, die herrschende antiwestliche Weltanschauung im Iran führe dazu, „dass wir alle unsere Eier in den Russland-China-Korb gelegt haben und notgedrungen wünschen, dass Russland und China mit dem Westen auf Kriegsfuß stehen. Es ist sehr traurig, dass unser Wohl und Wohlstand von Feindschaft, von Krieg zwischen Osten und Westen abhängt.“ Vor 43 Jahren habe man im Iran daran geglaubt, bald Zeuge der Geburt einer neuen Weltordnung zu werden, so der renommierte Wissenschaftler weiter: „Wir dachten, alle Länder in der Welt, in Ost und West, würden Schlange stehen, um uns zu kopieren. Nun sind wir so tief gesunken, dass wir dafür beten, dass Russland die Ukraine angreift, China sich mit den USA um Taiwan streitet oder die EU in eine Krise kommt. Kurz gesagt: dass die ganze Welt im Elend versinkt, damit wir davon profitieren.“

Ali Motahari, ehemaliger Parlamentarier und ein gemäßigter Islamist, schrieb in einer Erklärung, das Staatsfernsehen wiederhole den offiziellen Standpunkt der russischen Regierung „als wäre der Iran eine Kolonie Russlands“.

Shahram Fattahi ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler an der Razi-Universität in der kurdischen Stadt Kermānshāh. Zur russischen Invasion in die Ukraine sagte er Saednews: Wer auf einen NATO-Angriff auf Russland warte, solle in Betracht ziehen, dass der Westen keine Truppen in die Ukraine senden werde. „Sie haben ihre eigenen Bürger aus der Ukraine evakuiert, um eine militärische Konfrontation mit Russland zu vermeiden.“ Der Westen habe kein Interesse daran, Russland in diesem Krieg entgegenzutreten. Und Russland bereite es keine Sorgen, Gas und Erdöl nicht mehr an den Westen verkaufen zu können: China habe zugesagt, zu kaufen. Dem Westen bliebe nur, der angeschlagenen Armee der Ukraine Waffen zu liefern, so Fattahi: „Doch in Anbetracht des schnellen Handelns der russischen Armee wird das so viel helfen, wie einen gebrochenen Knochen mit einem Pflaster heilen zu wollen.“

Fattahi rät, nicht für eine Seite Stellung zu beziehen und Russlands Aggression nicht zu unterstützen: Das sei „mit hohen Kosten verbunden, die meiner Meinung nach angesichts der vorhandenen Kapazitäten unseres Landes für sehr teuer sind. Er empfiehlt einen „realistischen und berechnenden Blick“: „Jeder weiß, dass Russland nie ein strategischer Verbündeter für uns war. Priorität haben die nationalen Interessen der Regierung der Islamischen Republik Iran.“

© Iran Journal

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