Ein russischer Nationalist im Iran
Im Iran geht die eurasische Vision Putins über den harten Kern der Islamischen Republik weit hinaus. Die Geschichte des russischen Einflusses im Iran ist lang, aber die jüngsten Ereignisse bringen auch Seltsamkeiten zum Vorschein.
Von Ali Sadrzadeh
Sind Putins Raketen auch eine Art Scheinwerfer? Mit Sicherheit. Denn sie erhellen vieles, was bis jetzt im Dunkeln verborgen war. Ihr mörderisches Licht leuchtet in viele Ecken, auch jenseits des Kriegsschauplatzes. Aus den Verliesen der iranischen Revolutionsgarde etwa kommt der unglaubliche Mut jener Frauen zum Vorschein, die im Namen der politischen Gefangenen den russischen Überfall auf die Ukraine mit scharfen Worten verurteilten.
Doch Putins unsägliches Licht bringt auch jene euro-asiatischen Träume der Wirklichkeit näher, die immer jenseits der russischen Grenze schlummerten. Plötzlich entdeckt eine Koalition der Antiimperialisten die Möglichkeit, endlich den gesamten Westen samt der Nato für immer in seine Schranken zu weisen. Und diese Koalition ist viel bunter, als man je gedacht hätte. Im Iran helfen Putins Raketen einer unvorstellbaren Regenbogenallianz in ein sehr grelles Licht. Dieser Bogen reicht von schiitischen Predigerseminaren in Qom bis zum linken Professorenvortrag im deutschen Osnabrück oder einem Treffen exilierter Kommunistenkader in London.
Mit welchen Argumenten diese linken Anhänger Putins iranischer Prägung die russische Invasion in die Ukraine rechtfertigen, ist weder originell noch neu. Viel interessanter, aber auch gefährlicher ist der Schulterschluss schiitischer Gelehrter aus Qom mit Nationalisten aus Moskau. Bemerkenswert und erstaunlich ist die gemeinsame Sprache, das fast deckungsgleiche Verständnis der Welt und der Zukunftsvisionen. Dieser Schulterschluss hat eine lange Geschichte – manche sagen, er begann mit der islamischen Revolution 1979. Wie auch immer. Kehren wir zur Ukraine zurück.
Wir schreiben den 31. Januar 2016. Seit der Maidan-Revolution und der Besetzung der Krim sind zwei Jahre vergangen. An diesem Tag ist Alexander Dugin, den manche als Putins Philosophen, viele als Vordenker der euro-asiatischen Vision und wiederum andere als Faschisten bezeichnen, in Qom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit im Iran.
Der Gastgeber
Sein Gastgeber ist Ayatollah Mir Mohammad Mir Bahgeri. Der Sechzigjährige ist Chef der Akademie der islamischen Wissenschaften, er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaften. Als Theoretiker, der westlichen Wissenschaftlern Paroli bieten kann, ist er in den Medien Dauergast. Auf seiner Webseite werden zwölf Bücher gelistet, die er über verschiedene Themen publiziert hat. Mir Bagheri ist Mitglied des mächtigen Expertenrates, jener Versammlung, die den künftigen Führer des Irans bestimmt.
Wie Alexander Dugin den Weg nach Qom und zu diesem mächtigen Ayatollah gefunden hat und wer sein Türöffner in andere akademische Zirkel des Irans war, ist selbst eine interessante Geschichte, wie wir später sehen werden. Das reichlich bebilderte persische Protokoll dieser eigenartigen Begegnung und ihres Gesprächsinhalts ist in der virtuellen Welt zu besichtigen.
Ein heller Raum mit zwei Konferenztischen, an der Wand hängt ein dunkler Bildschirm. Der Ayatollah und zwei seiner Mitarbeiter sitzen auf der linken Seite, ihnen gegenüber Alexander Dugin und sein Türöffner bzw. Übersetzer. Dugin referiert, alle hören zu, offenbar interessiert, das vermittelt jedenfalls das Bild. Gesprächsinhalt des mehrstündigen Diskurses mit anschließendem Frage-Antwort-Teil sind fast alle Bereiche der Politik, der Kultur und der Familie. Dugin hat sich vorgenommen, zu erklären, wie er die Naturwissenschaften „religionisieren“ will.
Die Moderne ist der Satan
Zunächst bedankt er sich dafür, dass er in so einem „würdigen, heiligen“ Raum sprechen dürfe und kommt dann schnell zur Sache und dem Grund für seine „tiefe Sympathie“ für die Islamische Republik Iran. „Ich bin außerordentlich glücklich, heute im Zentrum des Kampfes gegen die Modernität zu sein. Die Moderne ist ein Phänomen, das sich nicht allein auf einen Ort oder auf unsere Gegenwart beschränkt. Sie ist Ideologie, Kultur, Zivilisation, Lebensweise, Philosophie und Politik in einem. Für mich ist die Modernität der Satan“, so beginnt Dugin seinen Vortrag.
Kein Zweifel, er spricht bewusst von Satan. Er weiß, dass er sich in der Islamischen Republik befindet, wo dieses Wort ununterbrochen in verschiedenen politischen und kulturellen Zusammenhängen gebraucht wird. „Nach meiner Meinung verhalten sich Tradition und Modernität wie Licht und Dunkelheit. Das ist der Rahmen meiner Denkweise, und ich bewundere den Iran für seine Verteidigung der Tradition und seinen Kampf gegen die Moderne“, so Dugin weiter. Die Moderne habe einen Ort. Das sei der Westen. Und sie begann mit der Aufklärung. Wie ein Hurrikan habe sie sich dann über die Welt ausgebreitet.
Fortsetzung auf Seite 2