Misstrauen gegenüber einem neuen Atomdeal

Die Nuklearfrage ist nicht der einzige Streitpunkt zwischen der Islamischen Republik Iran und den USA, der zu Sanktionen gegen den Iran geführt hat. Deshalb haben manche Beobachter Zweifel am Erfolg einer Einigung im Atomkonflikt.

ٰVon Sepehr Lorestani*

Jetzt liege der Ball bei den Vereinigten Staaten, sagt die iranische Regierung mit Blick auf die Antwort, die sie der Europäischen Union auf deren Vorschlag zu einer Lösung des Atomkonflikts und zur Wiederaufnahme des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), kurz Atomdeal genannt, gegeben hat.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte am 8. August einen Entwurf für eine Vereinbarung vorgelegt und mitgeteilt, dies sei das letzte Angebot des Westens. Üblicherweise verlängert die Islamische Republik gern die Deadlines des Westens bei den Verhandlungen, doch diesmal kam die Antwort Teherans Stunden vor Ablauf der festgesetzten Frist. Diesmal ist es Washington, das auf eine Antwort auf den Vorschlag der EU, der angeblich vom Iran überarbeitet wurde, warten lässt.

Die Streitpunkte

Bisher standen drei Forderungen aus Teheran einer Einigung im Weg. Sie lauteten: Die Revolutionsgarde solle von der US-Terrorliste gestrichen werden, Bidens Regierung solle garantieren, dass künftige US-Regierungen nicht wie 2018 Donald Trump einseitig das Abkommen verlassen würden – und wenn doch, solle der Iran Anspruch auf Entschädigung haben -, und drittens solle die Internationale Atomenergiebehörde IAEO auf weitere Untersuchungen in drei Einrichtungen des Iran verzichten. Sie hatte dabei Spuren von nicht angemeldetem angereichertem Uranium gefunden.

Die erste Forderung sei von Teheran fallengelassen worden, ließen informierte Kreise wissen. Der Rest ist geheim. Kein*e Außenstehende*r weiß, was in dem EU-Papier steht, mit dem sich gerade die USA schwertun. Medienberichte und Spekulationen gibt es aber ausreichend. Kürzlich schrieb Al Jazeera unter Berufung auf eine „informierte Quelle“, dass das europäische Angebot aus vier Phasen und zwei 60-Tage-Zeiträumen bestehe. Demnach sollen am ersten Tag nach der Unterzeichnung des neuen JCPOA die Sanktionen gegen 17 Banken und 150 Wirtschaftsinstitutionen des Iran aufgehoben werden. Vom ersten Tag der Umsetzung des Abkommens an werde Teheran seine nuklearen Schritte schrittweise rückgängig machen. Nach Angaben der IAEA soll der Iran mittlerweile über 43 Kilogramm an Uran verfügen, das auf 60 Prozent angereichert worden ist. Der Grad der Anreicherung im JCPOA war auf nur 3,67 Prozent festgelegt worden. Für den Bau einer Atombombe wird zu 90 Prozent angereichertes Uran benötigt.

Sobald das Abkommen umgesetzt sei, schrieb Al Jazeera, würden sieben Milliarden US-Dollar von den in Südkorea blockierten iranischen Geldern freigegeben. Nach der Wiederbelebung des JCPOA werde der Iran im Rahmen des Verifizierungsmechanismus innerhalb von 120 Tagen 50 Millionen Barrel Öl exportieren, und 120 Tage nach der Unterzeichnung des Abkommens werde das Land in der Lage sein, 2,5 Millionen Barrel Öl pro Tag auszuführen. Laut Al Jazeera sei Washington damit einverstanden, eine finanzielle Entschädigung zu zahlen, sollte sich die USA wieder aus dem JCPOA zurückziehen wollen.

Iran hat anscheinend die Forderung nach der Streichung der Revolutionsgarde aus der Terrorliste der USA aufgegeben
Der Iran hat anscheinend die Forderung nach der Streichung der Revolutionsgarde aus der Terrorliste der USA aufgegeben

Schon geeinigt?

Heshmatullah Falahat-Pisheh, ehemaliges Mitglied des iranischen Parlaments, ist der Meinung, dass der Iran und die USA „die grundlegenden Probleme untereinander gelöst haben und jetzt nur noch eine Reihe von Exekutivfragen zur Debatte steht“. Vor allem müssten noch Methoden und Bedingungen der Umsetzung des JCPOA geklärt werden, erklärte Falahat-Pisheh im Gespräch mit der Nachrichtenseite Fararu.

Das ehemalige Mitglied der Parlamentskommission für nationale Sicherheit ist wie viele andere Beobachter davon überzeugt, dass der Iran und die USA sich gegenseitig bräuchten. Das islamische Regime ist an vielen Krisen der Region beteiligt, nähert sich angeblich dem Bau einer Atombombe und unterstützt Russland bei seinem Krieg gegen die Ukraine. Also hat Bidens Regierung ein Interesse daran, die Islamische Republik durch einen Vertrag an internationalen Verpflichtungen zu binden. Andererseits haben die US-Sanktionen den Iran wirtschaftlich an den Rand des Ruins getrieben. Der Iran ist mehr denn je auf deren Aufhebung angewiesen.

Wem nützt eine Einigung?

Doch ob sich eine Einigung zugunsten des Irans und der Iraner*innen auswirken würde, kann niemand sagen, auch Falahat-Pisheh nicht. Nach dem Atomdeal von 2015 waren Milliarden von den im Ausland eingefrorenen iranischen Geldern freigegeben worden, doch hinterließ dies keine spürbaren Folgen in der iranischen Wirtschaft oder im Lebensstandard der Iraner*innen.

Mehdi Motaharnia, Analyst für internationale Fragen, sagte im Gespräch mit Fararu, Biden brauche bis zu den Kongresswahlen im November wirtschaftlichen und außenpolitischen Erfolg. Das Abkommen mit dem Iran könnte ihm dabei behilflich sein. Allerdings ist der politische Experte der Meinung, dass die Gegner der Verhandlungen sowohl im Iran wie in den USA einer Einigung nicht stillschweigend zustimmen würden. Er weist darauf hin, dass Bedenken und Sanktionen gegen den Iran nicht nur auf den Aktivitäten des Landes im Bereich der Atomenergie basierten.

In der Tat spielen dabei viele Faktoren eine Rolle: etwa das iranische Raketenprogramm, die Förderung von Stellvertreterkriegen in der Region, die Unterstützung von als terroristisch eingestuften Gruppierungen sowie Irans Feindschaft gegen Israel und andere Nachbarländer. Motaharnia fragt: „Was garantiert, dass das Weiße Haus die aufgehobenen Sanktionen nicht erneut unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung einführen würde?“

Der Dozent der Teheraner Azad-Islami Universität ist skeptisch, ob eine Einigung mit den USA die enormen Probleme der iranischen Wirtschaft lösen würde. Man müsse bedenken, dass es nach Abschluss einer Vereinbarung mindestens sechs Monate dauern werde, bis sie umgesetzt sei. Das könne ausländische Unternehmen nicht davon überzeugen, ihr Kapital in den Iran zu bringen: „Daher glaube ich persönlich, dass eine Vereinbarung nicht zuverlässig und vertrauenswürdig sein wird.“♦

*Sepehr Lorestani ist ein Pseudonym eines iranischen Journalisten, der unter verschiedenen Namen für unterschiedliche Medien arbeitet.

Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Farhad Payar.

© Iran Journal

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