Regisseurinnen im Iran – überraschend und facettenreich

Die cineastischen Rezepte, die Narges Abyar als Regisseurin und Drehbuchautorin in ihren Filmen parat hat, sind oft situationsbezogen und human und weisen implizit einen Hauch muslimischer Religiosität auf. Abyar ist die derzeit erfolgreichste und produktivste Regisseurin des iranischen Kinos. Bekannt wurde sie durch Filme wie „Track 143“, „Breath“ („Atem“) und „When the Moon Was Full“. In ihren Werken zeigt sie das Leiden von Frauen und Kindern, das durch die patriarchalen Strukturen der iranischen Gesellschaft, den achtjährigen Iran-Irak-Krieg sowie Radikalismus und Terror verursacht wurde und wird.

In „Nafas”, den der Iran 2017 ins Oscar-Rennen schickte, erzählt Abyar die Geschichte eines klugen, wachen und sensiblen Mädchen namens Bahar, das mit seinem asthmakranken Vater, der streng religiösen Großmutter und drei Geschwistern an der Armutsgrenze in einem Dorf lebt. Neben den täglichen Züchtigungen und Demütigungen durch die Großmutter wird Bahars Leben überschattet von den politischen Entwicklungen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre vor und nach der Revolution 1979 sowie von der allmählichen Islamisierung der Gesellschaft und dem Beginn des Iran-Irak-Kriegs.

Bahars Charakter passt nicht zum Klischeebild des braven Mädchens vom Land; sie ist selbständig, neugierig und wissbegierig. Mit Gewalt kann man ihren Willen nicht brechen: Sie schwänzt die Koranschule, weil die Lehrerin sie wegen jeder falschen Aussprache mit einem Lineal schlägt. Obwohl die Großmutter sie dafür bestraft und sogar auspeitscht, kehrt Bahar nicht dorthin zurück. Sie will Ärztin werden, um die Krankheit ihres Vaters heilen zu können. Eine Bombe, die irakische Kriegsflugzeuge auf ihr Wohngebiet werfen, setzt ihren Träumen ein Ende und tötet sie.

Kritik der Konservativen

Nafas” wurde aufgrund der „Antikriegstendenzen und islamkritischen Aspekte“ von den Hardlinern viel kritisiert. Besonders seine Oscar-Nominierung kam bei ihnen nicht gut an. „Der Film zeigt genau das, was unsere Feinde im Westen sehen wollen”, kritisierte der ultrakonservative Geistliche Ahmad Alamolhoda. Ähnlich äußerte sich auch Mohammed-Resa Naghdi, der Kulturbeauftragte der Revolutionsgarden: „Der Westen verbreitet schon genug negative Propaganda gegen uns, daher sollten wir nicht auch noch Steuergelder für solche Filme ausgeben“, sagte er.

Die Regisseurin Narges Abyar wird von den islamischen Hardlinern wegen ihrer Antikriegshaltung getadelt und von den Oppositionellen wegen ihrer Nähe zu bestimmten Kreisen des Regimes kritisiert
Die Regisseurin Narges Abyar wird von den islamischen Hardlinern wegen ihrer Antikriegshaltung getadelt und von den Oppositionellen wegen ihrer Nähe zu bestimmten Kreisen des Regimes kritisiert

Den Druck als Frau im Filmgeschäft hat Abyar oft erlebt, die Kritik an ihren Ansichten kennt sie ebenfalls. Landesverteidigung sei ihrer Meinung nach zwar legitim, „aber Krieg bringt nun mal auch immer Zerstörung”. Lösung und Botschaft im Film sollte immer Frieden sein, sagte sie, bevor sie 2020 als muslimische Regisseurin in die Oscar-Academy gewählt wurde. Sie sei gegen religiöse Zwänge und besonders gegen die Politisierung des Islam. „Ich bin eine gläubige Muslimin und stehe dazu, aber das sollte für jeden und jede immer etwas ganz Persönliches bleiben.” Abyar gehörte zu den 819 Künstler*innen, die 2020 eingeladen wurden, der Academy beizutreten. 36 Prozent der Einladungen gingen an People of Color, 45 Prozent an Frauen. Die Oscars stehen seit vielen Jahren wegen ihres Mangels an Diversität in Kritik.

Kritik an Academy-Auswahl

Doch nicht alle Iraner*innen waren von der Berufung Abyars begeistert. Gegenstimmen wurden besonders in den sozialen Medien laut. Sie wurde als „Liebling Khameneis“, des geistlichen Staatsoberhaupts des Iran, beschimpft. Eine Userin forderte die Academy per Twitter mit deutlichen Worten dazu auf, Abyar wieder auszuladen: „Ihre Filme unterstützen ein totalitäres Regime und verbreiten eine faschistische Ideologie. Es wäre eine Schande, wenn sie den Iran in der Academy vertreten würde.“

Eins steht, trotz aller Proteste, fest: Narges Abyar wird noch öfter wegen ihrer bildhaften Eigenart des Geschichtenerzählens auf der Weltbühne stehen; mit Kopftuch und mit der Unterstützung der staatlichen iranischen Filmindustrie. Doch vielleicht kann ihre Präsenz die Ignoranz westlicher Filmkenner*innen gegenüber iranischen Regisseurinnen aus dem Feld schlagen.♦

© Iran Journal

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