Macht und Ohnmacht der Frauen – Teil 2
Im ersten Teil ihres Essays erzählte die Frauenrechtlerin Nasrin Bassiri von der Situation der iranischen Frauen vor der islamischen Revolution. Im zweiten Teil beschreibt sie die Einschränkung der Rechte von Frauen in der Islamischen Republik und deren noch andauerndem Kampf gegen die staatliche Diskriminierung.
Auch wenn die Revolution im Iran 1979 in eine islamische Republik mündete: Es waren nicht nur streng religiöse Kräfte, die für das Ende der Schah-Ära gekämpft hatten. Auch linke, liberale, gebildete Iraner*innen hatten sich einen modernen demokratischen Staat herbei gesehnt, in dem Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Rechte von Minderheiten geachtet würden.
Die islamisch orientierten Schah-Gegner waren gespalten: in aufgeklärte Gläubige, die sich einen moderaten Staat wünschten, der sich mit den Muslimen versöhnt, keine Kopftuchverbote ausspricht und Frauen mit und ohne Schleier friedlich miteinander leben lässt. Die Traditionalisten hingegen wollten einen Gottesstaat errichten, und sie setzten dies mit brutalen Methoden durch. Im Fokus standen, wie schon zur Schahzeit, als sich die Trennlinie zwischen Tradition und Moderne an der weiblichen Bekleidung festhakte, erneut die iranischen Frauen.
Schon kurz nach der Revolution war es der islamistische Mob, der durch die Straßen zog. Bewaffnet mit Holz- und Eisenstangen lobten die Fanatiker lautstark ihren „Führer“ Khomeini und zerschlugen die Büchertische und Zeitungsstände linker Aktivist*innen. Unverschleierten Frauen drohten sie mit ihrer berüchtigten Parole einer „freien Wahl“, die lautete: „Kopftuch oder Schläge auf den Kopf!“
Scharia statt Strafrecht
Es dauerte dann nach der Revolution auch nur wenige Monate, bis die Scharia das Strafrecht ersetzte. Gebildete und Linksorientierte kritisierten dies scharf, vor allem das Prinzip der Blutrache, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Auch gegen die brutalen Rituale, die nach der Scharia an Frauen ausgeübt werden sollen, richtete sich ihre Kritik: etwa die Strafe für Ehebrecherinnen, die bis zur Brust in die Erde eingegraben und zu Tode gesteinigt werden sollen.
Doch auch weniger spektakuläre Vorschriften aus der Scharia schränkten die Rechte iranischer Frauen massiv ein, etwa im Familienrecht.
So wurde nach der Revolution das Heiratsalter für Jungen auf 15 und für Mädchen auf 13 Jahre herabgesetzt. Ein absolutes Mindestalter gibt es gemäß der Scharia nicht, so dass Eltern auch noch jüngere Kinder verheiraten dürfen.
Männer können gemäß der Scharia – anderes als vor der Revolution – wieder bis zu vier Frauen heiraten und unzählige Ehen auf Zeit schließen. Sie dürfen ihre Ehefrauen willkürlich verstoßen, ohne deren Einverständnis einzuholen oder ein Gericht einzuschalten. Die Ehefrau hingegen kann eine Scheidung nicht ohne das Einverständnis ihres Ehemannes durchsetzen.
Auch beim Sorgerecht benachteiligt das islamische Recht die Frauen: Töchter dürfen nur bis zu ihrem siebten, Söhne bis zum zweiten Lebensjahr bei der Mutter bleiben. Heiratet die Frau erneut, darf sie ihre Kinder aus früheren Ehen nicht behalten. Erwachsene Kinder dürfen selbst entscheiden, bei welchem Elternteil sie bleiben wollen.
Auch Berufstätigkeit verbietet die Scharia den Frauen, wenn ihr Ehemann oder ihr Vater nicht zustimmen. Ist er der Meinung, dass der Beruf, den seine Ehefrau oder Tochter ausübt, nicht mit den Interessen oder dem Ansehen der Familie zu vereinbaren ist, darf sie ihm nicht weiter nachgehen. Für Auslandsreisen müssen Frauen das Einverständnis ihres Ehemannes oder Vaters vorlegen, schon dann, wenn sie einen Pass dafür beantragen wollen.
Obwohl sie also auch als Erwachsene kaum eigene Entscheidungen über ihr Leben treffen dürfen, gelten Mädchen bereits ab dem 9. Lebensjahr als volljährig und damit als strafmündig und schuldfähig. Für Jungen beginnt das Erwachsenenalter erst mit 15 Jahren.
Weiblicher Widerstand
Dass viele Iranerinnen nicht bereit waren, diese Einschränkungen zu akzeptieren, sondern mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Widerstand leisteten, zeigte sich nicht nur in einer stetig sinkenden Zahl von Eheschließungen. Auch das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen stieg seit der Revolution kontinuierlich an: von knapp 20 Jahren vor der Revolution auf 24,4 Jahre im Jahr 2019, bei Männern im selben Zeitraum von 25 auf 27,5 Jahre.
Vor allem in den Großstädten verbreitete sich zudem die sogenannte „Weiße Ehe“, eine auch für Frauen leichter zu lösende Verbindung ohne Trauschein,, die viele der sie entrechtenden Heirat vorziehen.
Das führte zu Reformen des islamischen Familienrechts: So wurde das Monopol der Ehemänner auf Scheidungen aufgehoben, auch Frauen durften nun bei Familiengerichten die Scheidung beantragen. 2003 wurde auch das Sorgerecht reformiert: Seither dürfen Kinder beiden Geschlechts bis zum siebten Lebensjahr bei der Mutter bleiben. Im Anschluss kann der Vater das Sorgerecht übernehmen, wenn die Mutter einwilligt, bei Uneinigkeit entscheidet ein Gericht. Zudem darf die sorgeberechtigte Mutter wichtige Entscheidungen – etwa über notwendige medizinische Eingriffe – für ihre Kinder treffen, die zuvor dem Vater überlassen waren.
Nase vorn an den Unis
Fortsetzung auf Seite 2