„Die Gefahr der Militarisierung nimmt zu“

In einem offenen Brief an Präsident Rouhani tragen mehr als fünfhundert StudentenaktivistInnen ihre Sorge um den immer härteren Kurs gegen studentische Aktivitäten im Iran vor und warnen vor einem wachsenden Klima der Angst in der iranischen Gesellschaft.
Zu „den weltweit freiesten Universitäten in Sachen Meinungsäußerung“ sollten die iranischen Hochschulen gehören. Das versicherte Irans Präsident Hassan Rouhani Anfang Dezember kurz vor dem nationalen Studententag im Iran.
Lange musste er nicht auf Reaktionen warten. Mehr als fünfhundert AktivistInnen der Studierenden fordern ihn nun in einem offenen Brief auf, seine Versprechen in Bezug auf die freie Meinungsäußerung an den Hochschulen umzusetzen und die Forderungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen ernst zu nehmen.
Die AutorInnen erinnern an ihre vorangegangenen Warnungen bezüglich „des Schlachtens der Freiheit und der Zunahme eines polizeilichen Klimas an den Universitäten“ und fragen: „Was ist eigentlich in den vergangenen eineinhalb Jahren passiert?“ Ihr Brief beantwortet die Frage so: „Weder sind Sie noch ein anderes Regierungsmitglied ist auf die Proteste beziehungsweise die gesellschaftlichen und studentischen Forderungen eingegangen. Stattdessen nahm die Unterdrückung Tag für Tag zu, so dass heute nicht nur an den Universitäten, sondern aus allen Landesecken der Schall der Militärstiefel zu hören ist.“
Verteidiger und Richter „unter einer Decke“
Die StudentInnen erinnern den Präsidenten daran, dass er sich in seinem Wahlkampf 2013 als „Anwalt zur Verteidigung der Rechte der Bevölkerung“ bezeichnet habe: „Wir haben unsere Stimme dem Verteidiger gegeben und nicht dem Richter. Aber wir müssen jetzt sehen, dass der Rechtsanwalt und der Richter zur Verbreitung der Schreckensherrschaft und der Unterdrückung legitimer gesellschaftlicher Proteste Hand in Hand arbeiten – die Unterdrückung der Studenten, Arbeiter, Lehrer, Fernfahrer, Derwische, Frauen, Umweltaktivisten.“
Sie wollten sich künftig nicht mehr ausschließlich auf ihre eigenen Belange konzentrieren, so die Studierenden. Der offene Brief folgt auf Solidaritätskundgebungen mit protestierenden Arbeitern und Lehrern, die in den vergangenen Tagen an einigen Universitäten stattgefunden haben. An der Teheraner Amirkabir-University of Technology endete die Kundgebung nach der Intervention paramilitärischer Milizen in einer gewalttätigen Auseinandersetzung.
 
 

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Iranssche Fernfahrer protestieren seit Monaten gegen die rasante Teuerungsrate und niedrige Löhne

 
Die „Interessenverbände der MitarbeiterInnen und StudentInnen“ von 36 iranischen Universitäten hatten ihrer Solidarität mit den Lehrern und Arbeitern deutlichen Ausdruck verliehen. Ende November legten sie in einer gemeinsamen Erklärung zum Studententag am 7. Dezember ihre Sorge über die „systematische Unterdrückung“ an den Tag: „Die ständige Anwesenheit zivil gekleideter Milizen an den Universitäten, die Erstellung von Sicherheits- beziehungsweise Ordnungsakten für Studierende sowie das Verweisen von AktivistInnen aus Studentenheimen und die Einschüchterung ihrer Familien haben deutlich an Häufigkeit zugenommen.“
Der Wettbewerb der Unterdrücker
Die StudentenaktivistInnen kritisieren in ihrem Brief auch andere „nicht eingelöste Versprechen“ des Präsidenten bezüglich der Entspannung der politischen Lage im Iran: „Bedauerlicherweise konkurrieren Ihre Polizei, Ihr Geheimdienstministerium und Ihr Innenministerium mit den parallel agierenden Sicherheitsbehörden darum, die Proteste der Bevölkerung zu ersticken. Und Sie? Sie dementieren dauernd. Wie konnte es zu dieser Aufweichung Ihrer damaligen Versprechungen kommen?“
Festnahmen durch die Sicherheitsbehörden, Vorladungen durch die Justiz und staatsanwaltliche Ermittlungen gegen kritische StudentInnen hätten so zugenommen, dass jede einfache gesellschaftliche Aktivität von der Angst vor einer behördlichen Reaktion überschattet sei, stellen die AktivistInnen fest. Sie werfen der Regierung Rouhani diesbezüglich „Passivität“ und „Verschweigen“ vor.
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Protest der Zuckerfabrik Haft-Tapeh im Süden des Iran: „Wir sind Haft-Tapeh-Arbeiter und haben hunger“

 
Warnung vor der „Zerstörung“ des Landes
Die mehr als fünfhundert UnterzeichnerInnen warnen Rouhani vor der „Zerstörung des Iran und seiner territorialen Integrität“, sollte der Umgang mit gesellschaftlichen Forderungen weiterhin autoritär erfolgen. Sie bezeichnen ihren Brief als „Warnsignal der letzten Generation von StudentInnen“, die ihr Vertrauen in den Präsidenten gesetzt hätte, und fordern ihn auf, zum Grundgesetz zurückzufinden, „die verlorenen Rechte der Bevölkerung“ zu garantieren und „das zertretene Leben der schwachen Schichten“ aufzubessern, „ so lange es noch nicht zu spät ist“.
Das ist nicht der erste Brief von StudentenaktivistInnen an Rouhani. Im Frühsommer 2017 beklagten sich mehr als 8.000 AktivistInnen über „die Unterdrückung der Studentenverbände und –Zeitschriften und das Schweigen des Bildungsministeriums“. Sie schrieben, dass „die Probleme und Krisen der Hochschulen wie in vielen verschiedenen Bereichen des Landes ein alarmierendes Ausmaß erreicht haben“. Drei Monate zuvor hatten 72 islamische Studentenverbände in einer gemeinsamen Erklärung von der staatsanwaltlichen Vorladung von 50 StudentenaktivistInnen sowie der Suspendierung der Mitglieder von sieben islamischen Studentenverbänden berichtet.
Da im Iran nur islamische Parteien zugelassen werden, habenStudentenorganisationen die die Rolle von oppositionellen Parteien übernommen.
  IMAN ASLANI
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