Mir-Hossein Moussawi: ein Text und zwei Fragen aus dem Hausarrest
Der heute 80-jährige Moussawi steht seit Februar 2011 gemeinsam mit seiner Ehefrau Zahra Rahnaward unter Hausarrest. In Auszügen aus der Einleitung, die die Webseite Kaleme am Dienstag veröffentlichte, spricht Moussawi zwei existenzielle Fragen an, mit denen die Islamische Republik seit Jahren konfrontiert ist: zum einen die Nachfolge von Staatsoberhaupt Ali Chamenei und zum zweiten Irans regionale Politik.
Eine unbeantwortete Frage
Chameneis Anhänger*innen kritisieren ausschließlich Moussawis Anmerkungen zur Politik der Islamischen Republik in ihrer Region – als hätte er eine der brisantesten Fragen im Iran der letzten 13 Jahre, also die nach der Nachfolge des jetzigen Staatsoberhaupts Ali Chamenei, überhaupt nicht erwähnt. Doch das tut er ganz ausdrücklich: „Sind etwa die 2.500 Jahre dauernden Monarchien zurückgekehrt, in denen der Sohn nach seinem Vater den Thron bestieg?“, fragt Moussawi und warnt vor einer „Vererbung der religiösen Führung“.
Er bezieht sich dabei auf inoffizielle Berichte über Mojtaba (Modschtaba) Chamenei, den zweitältesten Sohn des Staatsoberhaupts. Seit den Protesten nach der Wahl im Jahr 2009 wird der 53-Jährige in einigen politischen Kreisen als möglicher Nachfolger seines heute 82-jährigen Vaters genannt. „Von dieser Verschwörung ist seit dreizehn Jahren zu hören. Wenn man nicht wirklich danach strebt, warum dementiert man es nicht ein für allemal?“, fragt Moussawi.
Über Chameneis Familie gibt es kaum Informationen. Mojtaba Chamenei ist wie seine drei Brüder und zwei Schwestern offiziell weder politisch noch wirtschaftlich aktiv; er soll ausschließlich an Theologieschulen lehren. Beobachter beschreiben ihn jedoch als sehr einflussreich im mächtigen Büro seines Vaters – und als streng konservativ. Er soll enge Verbindungen zum Geheimdienst der Revolutionsgarde pflegen und bei wichtigen politischen Ereignissen seine Hand im Spiel gehabt haben – auch bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2009, aus der Mahmud Ahmadinedschad als Sieger hervorging. Ahmadinedschads zweiter Herausforderer damals, neben Moussawi, war Mehdi Karroubi. Auch er hat bereits zwei Mal, 2009 und 2018, in Briefen an Chamenei die Rolle von dessen Sohn Mojtaba bei den Wahlen kritisiert. Auch Karroubi sitzt seit 2011 im Hausarrest.
Von Teheran nach Damaskus
Moussawi spricht in seinem Text außerdem von den „schändlichen Verbrechen“ des iranischen Regimes in der Region, die mit „prachtvollen Bezeichnungen“ rechtfertigt würden. Als „Verteidigung der Heiligtümer“ habe die islamische Regierung in fremden Ländern Blut vergossen, um ein Regime zu stützen, das Kinder umbringe. Damit meint Moussawi die Unterstützung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad durch Teheran.
Das iranische Regime rechtfertigt seine militärische Präsenz in Syrien mit der „Verteidigung der heiligen schiitischen Grabstätte“ gegen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats (IS). Fakt ist jedoch, dass der Iran zur Unterstützung des syrischen Regimes eilte, lange bevor der IS Syrien als Territorium anvisierte. Der ehemalige Kommandant der Artillerie der Revolutionsgarden, Mahmud Tschaharrbaghi, bestätigte im Januar 2021 im iranischen Staatsfernsehen, dass Chamenei die Unterstützung Assads angeordnet habe, als das syrische Regime im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings zu stürzen drohte.
In diesem Zusammenhang erwähnt Moussawi auch General Hossein Hamedani, der im Oktober 2015 in Syrien fiel. Der „unehrenhafte General“ habe sein Leben für den Despoten Assad verloren. Der General war 2009 während der damaligen Proteste gegen die Wahlergebnisse, bekannt als Grüne Bewegung, Kommandant der Teheraner Revolutionsgarde und spielte bei der Niederschlagung der Protestbewegung eine zentrale Rolle. Stolz hatte er später erzählt, dass damals in den paramilitärischen Einheiten der Revolutionsgarde auch Verbrecher eingesetzt worden seien, um die Proteste mit Gewalt aufzulösen.
Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der „Sieger“ der Präsidentschaftswahl 2009, dessen Legitimität aufgrund der umstrittenen Wahl in Frage gestellt wurde, diese Vorgehensweise kritisiert: Am 12. August tauchte ein Video von Mahmud Ahmadinedschad in den Sozialen Netzwerken auf, in dem er „die geheimdienstliche Bande“ für das Anheuern von Verbrechern gegen das protestierende Volk verantwortlich macht und kritisiert – auch bei der Präsidentschaftswahl 2009.
Moussawi als Teil des Systems
Mir Hossein Moussawis Aussagen über die Rolle der Islamischen Republik in der Region und über General Hamedani wurden in den vergangenen Tagen von den ultrakonservativen Medien und Instanzen der Islamischen Republik Iran einheitlich verurteilt. Damit unterstütze Moussawi Israel und den IS, warf ihm etwa die Teheraner Hardliner-Zeitung Kayhan vor. Auch Freitagsprediger, die als Vertreter des religiösen Führers agieren, verteidigten den Kurs der Islamischen Republik in der Region.
Moussawi hat jedoch nach wie vor eine beträchtliche Anhängerschaft im In- und Ausland. Diese lobt seine „Beharrlichkeit“ und seinen „Widerstand“ trotz über einem Jahrzehnt Hausarrest.
Moussawi und Karroubi waren bei den Präsidentschaftswahlen 2009 die Herausforderer von Mahmud Ahmadinedschad. Sie warfen Religionsführer Ali Chamenei damals gesetzeswidrige Unterstützung des Hardliner-Kandidaten vor und gingen dagegen mit ihren Anhänger*innen auf die Straße. Die Proteste führten zur Entstehung der so genannten Grünen Bewegung, die durch den Einsatz enormer staatlicher Gewalt beendet wurde.
Dennoch ist Moussawis politische Karriere nicht unumstritten – vor allem in Sachen Menschenrechte. Denn er war von 1981 bis 1989 Premierminister des Iran – in jenem Jahrzehnt in dem politische Oppositionelle massenhaft hingerichtet wurden. Es sei ausgeschlossen, dass er als Regierungschef von den Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen nichts gewusst habe, meinen seine Kritiker*innen.
Moussawi bestreitet das. Im August 2020 jedoch veröffentlichte Raha Bahreini, Iran-Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI), einen archivierten Brief auf Twitter. In dem am 16. August 1988 an die Islamische Republik adressierten Schreiben zeigt sich Amnesty über eine neue Welle von politischen Hinrichtungen im Iran besorgt.
Dies zeige, dass die Regierung, die Justiz und die Botschafter des Landes mindestens ab jenem Datum über die Vorfälle informiert gewesen seien, schrieb Bahreini auf Twitter. Die Außenpolitik der Regierung Moussawi habe aber darin bestanden, den Sachverhalt zu leugnen.
Laut seinen Anhänger*innen soll Moussawi unter anderem aus Protest gegen diese damaligen Hinrichtungen zurückgetreten sein. Die grenzübergreifenden Operationen der Islamischen Republik, über die seine Regierung angeblich nicht im Bilde gewesen war, sollen ebenso eine wichtige Rolle gespielt haben.
Moussawis neuer Text zeigt, dass er ein einflussreicher Politiker geblieben ist – auch im Hausarrest. Und das nicht nur für seine Anhänger*innen: Seine Stellungnahmen sorgen nach wie vor auch bei seinen Gegner*innen für großes Aufsehen – obwohl diese seit einem Jahrzehnt behaupten, die Grüne Bewegung und ihre Anführer*innen seien Geschichte.♦