Ein „Schreckensszenario“ für die Zeit nach Khamenei

Wird Modschtaba Khamenei zum Nachfolger seines Vaters Ali Khamenei im Amt des Staatsoberhaupts der Islamischen Republik? Für viele Iraner*innen ein Schreckensszenario.

Von Mazyar Roozbeh

13. Januar 2021. Die erstickende Teheraner Luft sorgt neben Corona dafür, dass noch mehr Menschen in der iranischen Hauptstadt zuhause bleiben. In diesen Tagen bekomme ich viel mehr Anrufe als sonst. Und alle beschweren sich über den mit den Augen wahrnehmbaren Dreck in der Luft. Am Abend klingelt erneut das Telefon. Es ist ein alter Freund, Besitzer eines Verlags und einer Buchhandlung in der Revolutionsstraße in Teheran. Die üblichen Begrüßungsfloskeln hält er knapp, verzichtet sogar auf Kommentare zur Luftverschmutzung und kommt schnell auf das aktuellste Ereignis in der Nähe seines Geschäfts zu sprechen. Die Revolutionsstraße war und ist ein Ort der Gestaltung politischer Weltanschauungen, nicht zuletzt, weil sich dort neben der ältesten Universität des Iran reihenweise Buchhandlungen befinden, die seit jeher Treffpunkte für den Meinungsaustausch politischer Aktivisten und für intellektuelle Auseinandersetzungen sind.

Mein Freund regt sich über „merkwürdige Poster“ auf, die über Nacht in der Straße aufgehängt wurden; niemand weiß, von wem. Poster, auf denen für Modschtaba Khamenei geworben werde, sagt er.

Modschtabas Name fällt in diesen turbulenten Tagen wieder häufiger, genannt wird er als Nachfolger seines Vaters, des iranischen Staatsoberhaupts Ali Khamenei. In den vergangenen zehn Jahren wurde Modschtaba immer mal wieder als Thronfolger ins Gespräch gebracht, wenn man bemerkte, dass es dem mächtigsten Mann des Iran nicht gut geht. Doch Ali Khamenei starb nicht und der Name seines Sohnes versank vorerst in Vergessenheit.

Steht auf den Postern, wer sie veröffentlicht hat?, frage ich. Nein!

Mein Freund interessiert sich überhaupt nicht für Politik, er ist ein echter Bücherwurm, wie man sie heutzutage nicht mehr so oft trifft. Sein Herz hat er an phantasievolle Romane und Sachbücher über den Kosmos verschenkt. Dennoch macht er sich Sorgen um die politische Zukunft des Iran. Denn allein die Vorstellung, dass ein mysteriöser Geistlicher aus dem Haus des herrschenden Tyrannen in den nächsten Jahrzehnten die Geschicke des Landes bestimmen könnte, ist für ihn niederschmetternd.

Bevor ich die nächste Frage stellen kann – wen hättest du gern als Khameneis Nachfolger -, sagt er: Wie es aussieht, werden viele sich weitere 40 Jahre lang die Augen ausweinen müssen. Und fügt hinzu, dass er „zum Glück“ nicht so lange leben werde. Und lacht.

Wir beide wissen, wie bitter und schmerzhaft sein Lachen ist. Besser nicht am Telefon über solche Sachen reden, schlage ich vor: Wir sollten uns bei einer Tasse Tee über Herrn Modschtaba und die Zukunft des Iran unter seiner Herrschaft unterhalten.

Modschtaba Khamenei wird gute Beziehungen zu den Revolutionsgarden nachgesagt - Foto: Mit dem getöteten General der Revolutionsgarden Ghasem Soleimani
Modschtaba Khamenei wird gute Beziehungen zu den Revolutionsgarden nachgesagt – Foto: Mit dem getöteten General der Revolutionsgarden Ghasem Soleimani

Wer ist Modschtaba?

Modschtaba ist der zweitälteste Sohn des Oberhaupts der Islamischen Republik Iran, Ali Khamenei, und der Schwiegersohn des ehemaligen Parlamentspräsidenten Gholam Ali Haddad-Adel. Offiziell bekleidet der 51-Jährige kein Amt. Oppositionelle nennen ihn „den politischsten Sohn“ des Revolutionsführers. Einige betrachten ihn als inoffiziellen Chef des einflussreichen Büros seines Vaters.

Als Mehdi Karroubi, einer der Kandidaten der iranischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005, in einem Schreiben an Ali Khamenei gegen deren Ergebnisse protestierte, tauchte der Name Modschtaba zum ersten Mal öffentlich im Zusammenhang mit Politik auf: Karroubi beschuldigte ihn der Beteiligung am flächendeckenden Wahlbetrug. Modschtaba pflege enge Verbindungen zu den Revolutionsgarden und der Basij-Miliz, schrieb damals der mittlerweile seit über zehn Jahren unter Hausarrest stehende Karroubi.

Nach und nach richteten sich auch Parolen bei Protesten gegen die Machthaber gegen Modschtaba Khamenei – zum Beispiel „Du wirst sterben, ehe du Revolutionsführer wirst“. So ließen etwa die Demonstranten bei den Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen 2009 ihrem Zorn gegen offensichtliche und versteckte Einmischungen dieser geheimnisvollen Person freien Lauf.

Man weiß, dass Modschtaba an Theologieschulen unterrichtet. Informationen über sein Privatleben gibt es kaum. Er ist bislang weder in den Medien noch bei wichtigen öffentlichen Anlässen präsent gewesen. Über seine politische Gesinnung und sonstige Einstellungen gibt es kaum zuverlässige Informationen.

Grundgesetz oder Gesetz der Gleichgesinnten?
Fortsetzung auf Seite 2