Gedanken zu Chameneis Nachfolge

Manche politische Analysten glauben, mit dem gelenkten Erfolg von Ebrahim Raissi bei der letzten Präsidentschaftswahl im Iran sei der Grundstein für die Nachfolge des religiösen Staatsoberhaupts Ali Chamenei gelegt worden. Das Iran Journal hat dazu den Theologen und reformistischen Politiker Hassan Yousefi Eshkevari um eine Stellungnahme gebeten.

In autokratischen Systemen wie der Islamischen Republik Iran stellt der charismatische Führer das Rückgrat des Regimes dar. Seine Ernennung erfolgt in der Regel durch mächtige Drahtzieher hinter den Kulissen. In solchen Herrschaften ist die Entscheidung über die Nachfolge dieses Führers äußerst wichtig und folgenreich.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass während meines Mandates als Abgeordneter in der ersten Legislaturperiode des iranischen Parlaments nach der Revolution (1980-1984) die Nachfolgerfrage für Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Chomeini immer wieder angesprochen wurde, wenn meine Kollegen und ich uns mit dem damaligen Parlamentspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani trafen. Später sprachen wir auch mit dem damaligen Präsidenten und heutigen Staatsoberhaupt Ali Chamenei darüber.

Leute wie ich, die damals an die Revolution glaubten, konnten gegenüber deren Zukunft nicht gleichgültig bleiben. Ayatollah Chomeini agierte als unumstrittener Revolutionsführer und religiöses Oberhaupt. Dass er alt und krank war und bald sterben konnte, beunruhigte deshalb alle Revolutionstreuen und Regimeanhänger. Wer könnte im Falle seines Todes in seine Fußstapfen treten? Wir erwarteten, dass sein Nachfolger mindestens vergleichbare Eigenschaften aufweisen sollte, damit das Regime von Krisen und Risiken verschont bliebe.

Imam“ als Problemlöser

Chomeini war allmächtig und stand sogar über dem Gesetz. Als das Parlament im Juni 1981 ein Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen Staatspräsidenten Abolhassan Banisadr eingeleitet hatte, warnte einer meiner parlamentarischen Kollegen den Parlamentspräsidenten Haschemi Rafsandschani in einer kleinen Runde: „Solche Methoden, wie ihr sie verfolgt, werden die Zukunft gefährden.“ Rafsandschani antwortete: „Machen Sie sich keine Sorgen. Egal was passiert, wir werden es mit einer Fatwa von Imam Chomeini lösen.“

Die noch wichtigere Frage in der Runde aber war: Was, wenn der „Imam“ nicht mehr da ist? „Keine Sorge. Es wird schon gut gehen“, beendete Rafsandschani die kurze Diskussion.

Ein paar Jahre später fragten ich und einige andere Parlamentarier bei einer Sitzung mit dem damaligen Präsidenten Ali Chamenei, ob es Überlegungen zur Nachfolge Chomeinis gäbe. „Natürlich, wie könnten wir solch ein wichtiges Thema ignorieren“, antwortete er.

Kurz darauf ernannte der Expertenrat Ayatollah Hossein Ali Montazeri zum Stellvertreter und Nachfolger des Revolutionsführers. Montazeri jedoch kritisierte die Hinrichtung von Oppositionellen, fiel deshalb beim Revolutionsführer in Ungnade und wurde unter Hausarrest gestellt.

Von Rechts: Republikgründer Ruhollah Khomeini, sein Nachfolger Ali Khamenei und Hashemi Rafsandschani
Von Rechts: Republikgründer Ruhollah Khomeini, sein Nachfolger Ali Khamenei und Hashemi Rafsandschani

Chameneis Vorstellungen von seinem Nachfolger

Nun hat der zweite Anführer der Islamischen Republik ein hohes Alter erreicht. Sicherlich stellt sich die Frage nach seinem Nachfolger nun noch ernster und intensiver. Und natürlich denken verschiedene Machtzirkel der Islamischen Republik an eine dieser Position angemessenen Person, die den Eigenheiten des jetzigen Führers in etwa entspricht. Das ist kein Geheimnis. Seit ein paar Jahren wird das offiziell und öffentlich angesprochen, das Thema ist für Ali Chamenei selbst von besonderer Bedeutung. Er bevorzugt einen Nachfolger, der von Gesellschaft und Klerus akzeptiert wird. Die Person soll darüber hinaus in der Lage sein, Chameneis Ideen und seinen Führungsstil fortzusetzen. Es gibt Grund zu der Annahme, dass er entsprechende Pläne hat. Ob sich diese jedoch wunschgemäß umsetzen lassen, hängt von vielen komplexen Faktoren ab.

Der Islamischen Republik fehlen einflussreiche Politiker wie etwa der ehemalige Chef des Schlichtungsrates, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani. Personen, über die als mögliche Nachfolger Chameneis spekuliert wird, fehlt wiederum entweder die geistliche Autorität oder die von der Verfassung vorgeschriebene politische Erfahrung. Zumindest konnte ihre Kompetenz bislang nicht auf die Probe gestellt werden. Dies erschwert die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Darüber hinaus hat sich die iranische Gesellschaft verglichen mit der Zeit von Chameneis Ernennung stark verändert – inklusive der Machtverhältnisse und der Machthaber. Es gibt nicht so viele Karten im Spiel.

Chameneis Sohn und der Präsident

Über zwei mögliche Nachfolger wird derzeit am meisten spekuliert: über den zweiten Sohn des Revolutionsführers, Modschtaba Chamenei, und den neuen iranischen Präsidenten Ebrahim Raissi.

Über Modschtaba Chamenei gibt es kaum verifizierbare Informationen. Dass er der endgültige Kandidat seines Vaters wird, ist meiner Meinung nach sehr unwahrscheinlich. Weder verfügt er über einen bedeutenden theologischen Hintergrund, noch reicht seine Kompetenz in Sachen islamische Rechtstheorie, um Idschtihad auszuüben beziehungsweise Fatwas zu erteilen. Hochrangige Rechtsgelehrte würden ihn deshalb kaum unterstützen. Dazu würde ein Sohn als Nachfolger sofort zur Assoziation einer Monarchie führen, bei der der Sohn nach seinem Vater den Thron besteigt. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Revolutionsführer Chamenei und die anderen vernünftigen Köpfe in der Islamischen Republik diese Möglichkeit in Betracht ziehen.

Ayatollah Hossein Ali Montazeri als Vorsteher des Freitagsgebetes in Teheran
Ayatollah Hossein Ali Montazeri als Vorsteher des Freitagsgebetes in Teheran

Ebrahim Raissi verfügt zwar im Vergleich zu Modschtaba Chamenei über mehr exekutive Erfahrung, weist aber trotzdem noch mehr Minuspunkte auf. Sein theologisches Wissen, falls überhaupt vorhanden, ist geringer als das von Modschtaba. Die Theologieschulen unterstützen ihn nicht. Sowohl die traditionellen Gelehrten als auch diejenigen, die der Islamischen Republik gegenüber eine kritische Haltung haben, lehnen ihn sogar ab. Im Bereich Menschenrechte hat er eine sehr dunkle Vergangenheit. Dabei geht es vor allem um seine Rolle bei den Massenhinrichtungen politischer Gefangener in iranischen Gefängnissen im Jahr 1988 – ein Ereignis, dessen Verantwortliche vom damaligen stellvertretenden Revolutionsführer Ayatollah Montazeri als „Verbrecher der Geschichte“ bezeichnet wurden.

Gut genug für den Präsidentenposten

Es ist möglich, dass die Denkfabriken des Militärs und der Sicherheitsbehörden eine solche Schwäche für die zeitlich begrenzte Präsidentschaft als nicht schädlich ansehen. Auf internationaler Ebene wären sie für eine lebenslange, scheinbar heilige religiöse Führung jedoch sehr belastend. Es scheint nicht ratsam, dass jemand wie Raissi Chamenei nachfolgt.

Tatsache ist, dass die Entscheidungsträger bei der Wahl des passenden Nachfolgers derzeit nicht so viele Möglichkeiten haben. Damit der Fortbestand der Islamischen Republik in ihrer jetzigen Form – mit einem religiösen Oberhaupt – garantiert werden kann, ist die rechtzeitige Berufung eines dritten Revolutionsführers jedoch unumgänglich. Es ist auch möglich, dass zu gegebener Zeit ein Überraschungskandidat aus der Kiste springen und alle schockieren wird.

Es scheint allerdings sicher zu sein, dass die gelenkten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen und die damit verbundene Gleichschaltung von Judikative, Exekutive und Legislative unter der Führung der Hardliner um Chamenei mehr denn je den Weg für die Berufung eines Lieblingskandidaten von Chamenei und seinen Gleichgesinnten geebnet haben. Vielleicht werden die Ergebnisse dieses Szenarios bald sichtbar.♦

  Hassan Yousefi Eshkevari

Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani

© Iran Journal

Zur Startseite

Dieses Dossier kann Sie auch interessieren:

Ein Blutrichter als Präsident