Konflikt zwischen Iran und Aserbaidschan: Glut unter der Asche

In den vergangenen Wochen erlebte die Beziehung zwischen dem Iran und seinem nördlichen Nachbarland Aserbaidschan heftige Spannungen. Es schien, als sei die Region mit einer neuen Krise konfrontiert. Mittlerweile haben die Spannungen nachgelassen, doch Beobachter glauben, sie hätten sich zu Glut unter der Asche verwandelt: ein Feuer, das jederzeit wieder entfacht werden könnte.

Von Habib Husseinifard

Das Militärmanöver der iranischen Streitkräfte nahe der Grenze zur Republik Aserbaidschan Anfang Oktober und der damit einhergehende drohende Ton aus Teheran wurden mit Gründen gerechtfertigt, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Bei den damit zusammenhängenden Spannungen beschwerte sich Teheran über hohe Transitkosten und die „Strenge“ Aserbaidschans gegenüber iranischen Lastfahrern, die das aserbaidschanische Territorium durchqueren müssen, um Armenien zu erreichen.

Teheran sieht darin eine „Verschwörung“. Demnach soll ein Transitkorridor zwischen der Republik Aserbaidschan im Osten Armeniens und deren autonomer Republik Nachitschewan im Westen Armeniens errichtet werden. Dieser Korridor würde im südlichen Armenien entlang der iranisch-armenischen Grenze im Norden des Iran entstehen und somit dessen direkten Zugang zu Armenien durchtrennen. Er ist aus der Sicht der Islamischen Republik ein Druckmittel, um die Verbindung zwischen dem Iran und der Region Kaukasus zu kappen und den Landweg Iran-Europa zu sperren.

Das iranische Regime misstraut der Republik Aserbaidschan seit langem, weil sie aus Sicht der iranischen Machthaber die Wünsche der Menschen in der iranischen Provinz Aserbaidschan nach ethnischer Selbstbestimmung reizt. Baku wiederum steht Teheran misstrauisch gegenüber, weil die Islamische Republik dort religiöse Hardliner unterstütze und ihr politisches System zu exportieren versuche. Beide Länder haben auch wegen ihrer Anteile am Kaspischen Meer Reibereien. Das Meer ist zwischen dem Iran, Aserbaidschan, Kasachstan, Russland und Turkmenistan aufgeteilt.

Tatsächlich sieht das Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan nach ihrem Krieg im Sommer 2020 unter anderem den Bau einer neuen Autobahntrasse zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan vor, die von russischen Truppen bewacht werden soll. Es ist dort allerdings nicht die Rede davon, einen Teil Südarmeniens für den Korridor zu besetzen. Außerdem betrachten Armenien und sein großer Verbündeter Russland eine Trennung Armeniens vom Iran als gegen ihre geopolitischen Interessen.

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In seiner Propaganda nimmt das Islamische Regime in Teheran außerdem radikal Stellung gegen die engen Beziehungen Aserbaidschans zu Israel und behauptet in diesem Zusammenhang, Israelis seien nahe der iranisch-aserbaidschanischen Grenze stationiert worden.

Muss Teheran tatsächlich die Muskeln spielen lassen, um das „Problem“ des Transits iranischer LKW beziehungsweise das „Problem“ der engen aserbaidschanisch-israelischen Beziehungen zu lösen? Die Frage lässt sich schwer mit Ja beantworten. Denn die Transitprobleme könnten mit einem Minimum an diplomatischen und fachlichen Verhandlungen gelöst werden. Und die bilateralen Beziehungen ​jedes Landes sind seine eigene hoheitliche Angelegenheit und nicht Sache seiner Nachbarländer.

Das Militärmanöver der iranischen Streitkräfte nahe der Grenze zur Republik Aserbaidschan soll die Stärke der iranischen Armee demonstrieren
Das Manöver der iranischen Streitkräfte nahe der Grenze zur Republik Aserbaidschan soll die Stärke der iranischen Armee demonstrieren

Vom Belagern zum Belagert-Werden

Die Islamische Republik Iran behauptet seit langem, Israel mit der Unterstützung ihrer Verbündeten „umzingelt“ zu haben, um „das zionistische Regime zu zerstören“ oder zumindest „seine Handlungsmöglichkeiten einzuschränken“. In der Praxis ist es jedoch Israel, das verschiedene Druckhebel installieren konnte, um die Islamische Republik zu isolieren und ihre militärische Macht einzudämmen – etwa die Kooperation mit den USA und die Ermutigung Washingtons, harte Sanktionen gegen das Atom- und Waffenprogramm der Islamischen Republik zu verhängen; Angriffe gegen iranische Einrichtungen in Syrien; Annäherungsversuche an politische Strömungen und Regierungskreise im Irak; Sabotage iranischer Nuklear- und Militäranlagen; intensive Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen zu den Ländern rund um den Iran; Suche nach Präsenzmöglichkeiten in der iranischen Nachbarschaft.

Ausgehend von den Erfahrungen im Bereich internationaler Beziehungen ist es unwahrscheinlich, dass die Republik Aserbaidschan um Irans Willen ihre Beziehungen zu Israel beschränkt. Selbst wenn es dazu käme, wäre der Iran mit einer anderen Realität konfrontiert und zwar den engen Beziehungen seiner anderen Nachbarländer zu Israel. Von Russland und Georgien bis zu Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten: Sie alle pflegen enge Beziehungen zu Israel. Auch Armenien, das in den vergangenen 30 Jahren aufgrund angespannter Beziehungen zu Aserbaidschan enge Verbindungen zum Iran unterhielt, sowie der Oman, der ebenfalls der Islamischen Republik nahe steht, sind auf dem Weg zu stärkeren Verbindungen zu Israel. Der Iran kann beide Länder nicht davon abbringen.

Die Stellung der Türkei

Dies könnte für Teheran verstärkte regionale und internationale Isolation auch im Norden bedeuten. Die Türkei steht aufgrund ihrer traditionell engen Beziehungen zu Aserbaidschan und ganz Zentralasien wesentlich besser da. Sie grenzt an die Autonome Republik Nachitschewan, die Teil der Republik Aserbaidschan ist, obwohl sie auf dem Territorium Armeniens liegt. Die Errichtung eines Korridors zwischen Nachitschewan und Aserbaidschan würde die Türkei praktisch mit Aserbaidschan sowie den Regionen östlich des Kaspischen Meeres und weiter mit China verbinden. So wäre die Türkei nicht mehr auf den Iran angewiesen und könnte ihre Verbindungen zu der Region weiter vertiefen, was ihr noch mehr Vorteile gegenüber ihrem regionalen Rivalen Iran verschaffen würde.

Auch die Türkei und Pakistan pflegen enge Beziehungen, die sich in ihrer Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Militär in Aserbaidschan widerspiegeln. Die Türkei arbeitet auch mit Pakistan und Katar zusammen, um engere Beziehungen zu den Taliban, den neuen Machthabern in Afghanistan, aufzubauen. Damit ist die Türkei an drei Seiten des Iran präsent. Auch in Syrien stehen sich der Iran und die Türkei gegenüber. Die Verhandlungen zwischen dem Iran, der Türkei und Russland über den Krieg dort sind dabei nicht unbedingt zielführend, insbesondere weil die von Teheran favorisierte langfristige Präsenz in Syrien großen Schwierigkeiten und hohen Hürden gegenübersteht. Die Islamische Republik betrachtet Syrien als „strategische Tiefe“ und ihre Präsenz dort als Vorteil ihren regionalen Rivalen gegenüber.

Iran verlegte in den letzten Wochen verstärkt Armee-Einheiten und Kriegsgeräte an aserbaidschanische Grenze
Iran verlegte in den letzten Wochen verstärkt Armee-Einheiten und Kriegsgeräte an aserbaidschanische Grenze

„Freunde“ mit unerwarteten Einstellungen

Ein neues Problem für die Islamische Republik Iran stellen die versöhnlichen Signale Armeniens in Richtung Türkei und Aserbaidschan dar. Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan, der in den Wahlen im Sommer 2020 seine Position stabilisieren konnte, sieht die wirtschaftliche Stärkung seines Landes und den Ausweg aus der Isolation nicht mehr darin, sich weiterhin auf den Iran und Russland zu verlassen, sondern die seit langem bestehenden Probleme mit Aserbaidschan und der Türkei zu lösen. Für den Iran würde diese Entwicklung noch mehr Isolation und zunehmende Verluste seiner Verbündeten bedeuten – wenn auch instabiler Verbündeter.

Diese Isolation und die zunehmende Einschränkung der iranischen Möglichkeiten auf der regionalen und internationalen Bühne haben ihre Wurzeln in der Politik der Islamischen Republik in den vergangenen vier Dekaden – eine Politik der Feindschaft mit den USA, dem Westen und Israel sowie der Illusion einer Alternative zum Westen durch die Etablierung einer „neuen islamischen Zivilisation“.

Die Vorstellung des Islamischen Regimes, dass es durch den „Blick nach Osten“, also eine Nähe zu Russland und China, dem Druck aus dem Westen entgehen und die erwünschte „große Zivilisation“ vollbringen kann, erweist sich als Illusion. Denn die vor kurzem geglückte Mitgliedschaft Irans in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit konnte das Problem der US-Sanktionen nicht lösen.

Die Botschaft aus China und Russland lautet, dass der Ausbau ihrer Beziehungen zum Iran von der Lösung von dessen grundlegenden Konflikten mit dem Westen abhängt, einschließlich dem Atomabkommen und dem Beitritt ins FATF-Abkommen (Financial Action Task Force on Money Laundering). Enge Beziehungen zu iranischen Rivalen oder Gegnern wie Saudi-Arabien und Israel machen Moskau und Peking noch vorsichtiger.

In der jüngsten Krise mit Aserbaidschan erwies sich auch die Erwartung, Russland würde sich mit dem Iran abstimmen, als Illusion. Bei seinem Besuch in Moskau hörte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian von seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, dass eine Grenzänderung in der Region ausgeschlossen sei. Der Iran könne versuchen, seine Probleme auf politischem Weg im Rahmen der sogenannten Gruppe 3+3 zu lösen. Diese Gruppe besteht aus den drei Kaukasusländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien sowie der Türkei, Russland und dem Iran. Die Türkei und die Republik Aserbaidschan unterstützen dies.

Die erwähnten Entwicklungen weisen auf die weitere Isolation des Iran und die Einschränkung seiner Möglichkeiten hin, mit seinen Rivalen in den Wettbewerb zu treten, nationale Interessen zu vertreten und das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Selbstverständlich führen militärische Großtuerei, eine Politik der Einschüchterung und ein „Sich verlassen“ auf dieses oder jenes Land im Osten nicht zum Ausweg aus der Sackgasse. Die Lösung liegt statt dessen in einer Politik der Deeskalation und in ausgewogenen Beziehungen auf regionaler und internationaler Ebene.

Der Islamischen Republik Iran und ihrer Führung fehlt jedoch offenbar jegliches Verständnis für den Auslöser der Probleme. Gleichzeitig leiden Wirtschaft und Bevölkerung im Iran unter exorbitantem Druck. Irreparable Schäden bremsen die Entwicklung und den Fortschritt, und immer mehr Chancen gehen von Tag zu Tag verloren.♦

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