Irans Außenpolitik unter Raissi: neuer alter Kurs?

Irans neuer Präsident Ebrahim Raissi möchte, dass alle Sanktionen gegen die Islamische Republik aufgehoben werden. Die Frage ist nur, wie will der ultrakonservative Geistliche dafür sorgen? Ihm dürfte sehr klar sein, wie wenig Macht der Präsident im Iran auf diesem Politikfeld hat. Zum anderen steht Raissi auf Sanktionslisten der Europäischen Union und der USA.

Von Kian Tabrizi

Anders als bei den Präsidentschaftswahlen 2013 und 2017 war bei der Wahl im Iran am 18. Juni 2021 die Außenpolitik nicht das wichtigste Thema in den Wahlkämpfen und TV-Debatten der Kandidaten, sondern andere Bereiche – vor allem die Wirtschaft, die Armut und die hohe Arbeitslosigkeit im Iran. Bei aller Rhetorik konnte dabei keiner der Kandidaten leugnen, welche direkten Auswirkungen die Außenpolitik auf die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes hat. Die ruinöse wirtschaftliche Lage des Iran nach dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 zeigt deutlich, dass die wirtschaftliche Lage des Landes davon abhängt, ob sich die iranische Führung von den Sanktionen befreien kann.

Vom neuen Präsidenten des Iran, Ebrahim Raissi, war bislang nicht viel Konkretes über seinen außenpolitischen Kurs zu erfahren. „Die Interaktion mit allen Ländern der Welt, insbesondere mit unseren Nachbarn, wird das außenpolitische Programm meiner Regierung sein“, twitterte er zwei Tage vor der Wahl. In einer seiner drei Wahlkampfdebatten im staatlichen Fernsehen erklärte er, der Iran solle an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dieser Länder teilhaben. Deshalb gelte sein außenpolitisches Bemühen der Aufhebung der “repressiven Sanktionen gegen den Iran durch eine machtvolle Diplomatie”. Mehr hat man über den künftigen außenpolitischen Kurs der Islamischen Republik bisher nicht erfahren.

Keine Sache der Regierung

Das geringe Interesse Raissis an der Außenpolitik ist vor allem in einer Einsicht begründet, die vom ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mohammad Bagher Ghalibaf am 28.Mai 2013 eindrucksvoll geäußert wurde: “Die Außenpolitik liegt nicht in der Zuständigkeit der Regierung und des Außenministers. Wenn jemand sagt, dass er nach dem Wahlsieg die Außenpolitik um 180 Grad ändern werde, stellt er eine falsche Behauptung auf. Denn wo erlaubt die Verfassung dem Präsidenten zu sagen, dass ich so oder so über die Außenpolitik entscheide?“ Dies beschreibt realistisch die Macht des “Revolutionsführers” Ali Khamenei. Auf Äußerungen von Außenminister Javad Zarif über die mangelnde Bedeutung seines Amtes hatte dieser am 4. Mai entgegnet, dass „die Außenpolitik auf der ganzen Welt hochrangigen Versammlungen und hochrangigen Verantwortlichen gehört. Es sind die oberen Ränge, die die Außenpolitik bestimmen … So ist es auch hier in unserem Land.“

So lässt sich leicht vorhersagen, dass Irans Präsident und sein Außenminister in der Außenpolitik auch künftig nur eine geringe Rolle spielen werden. Dennoch setzt sich Raissi dafür ein, der „Financial Action Task Force on Money Laundering“ (FATF) beizutreten. Denn er weiß, dass ohne FATF-Beitritt kein Geld ins Land kommen wird und ein Rückgang von Investitionen und Exporten und damit eine weiter steigende Inflation die Folgen sind.

Und Raissi weiß genau, warum der Iran den Beitritt zur FATF bisher nicht beschlossen hat. Die Mitgliedschaft in dem internationalen Gremium zur Bekämpfung der Geldwäsche würde ein Ende der finanziellen Unterstützung von Terrorgruppen im Libanon, im Irak, in Syrien, Gaza und Jemen bedeuten, die vom Iran durch dunkle Kanäle versorgt werden.

Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei (li.) und der neue Präsident des Iran Ebrahim Raissi
Ebrahim Raissi ist klar, dass wichtige außenpolitische Entscheidungen vom Staatsoberhaupt Ali Khamenei (li.) getroffen werden und er gehorchen muss! 

Das unlösbare Atomproblem

Als Präsidentschaftskandidat betonte Raissi in seinen wenigen Äußerungen über den Atomdeal stets Khameneis Rolle. Er ist sich sicher bewusst, dass entscheidende Machtinstitutionen im Iran alles daran gesetzt haben, die vollständige Realisierung des Abkommens zu vereiteln.

Die wohl klarste Aussage des Kandidaten Raissi zum Atomdeal war in seiner dritten TV-Debatte am 13. Juni 2021 zu hören: „Wir halten uns an die Atomvereinbarung von 2015 als einen Vertrag, der von der Führung mit neun begleitenden Klauseln genehmigt wurde, ein Vertrag und eine Verpflichtung, an die sich die Regierungen halten müssen.“

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Mit den neun Klauseln ist eine Erklärung von Ayatollah Khamenei vom 21. Oktober 2015 an die Adresse des damaligen Präsidenten Hassan Rouhani gemeint, die bereits alle Elemente zur potentiellen Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus der Atomvereinbarung enthält. Den darin erklärten neun Klauseln folgte am 1. Dezember 2020 ein Parlamentsbeschluss, der der Regierung vorschreibt, die eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr einzuhalten. Der Titel dieses Parlamentsbeschlusses lautet „Strategische Maßnahmen zur Aufhebung der Sanktionen und zum Schutz der Rechte der iranischen Nation“. Mit den darin beschlossenen Maßnahmen wollte das iranische Parlament US-Präsident Donald Trump unter Druck setzen, die mehr als 1.500 Einzel-Embargos gegen Personen, Unternehmen und Behörden des Iran aufzuheben. Die Regierung wurde vom Parlament zu folgenden Maßnahmen verpflichtet:

  1. Die iranische Atomenergie-Organisation sollte sofort mit der 20-prozentigen Urananreicherung in einer jährlichen Menge von mindestens 120 Kilogramm beginnen. Zur Deckung des vollen Bedarfs des Iran sollte die Anreicherung auch darüber hinaus eingeleitet werden.
  2. Bei der Umsetzung der 2015 erklärten Zielsetzung, das Niveau der Urananreicherung auf 190.000 SWU (Separative Work Unit) zu erhöhen, sollte die 3,67-prozentige Urananreicherung pro Monat mindestens 500 kg betragen.
  3. Um die genannte Ziele zu erreichen, wird die Atomenergieorganisation verpflichtet, innerhalb von drei Monaten nach der Verabschiedung dieses Gesetzes die Produktion mit mindestens 1000 Zentrifugen der zweiten Generation, IR-2M, zu beginnen und die Forschung und Entwicklung von 164 Zentrifugen der 6. Generation, IR-6, einzuleiten, um diese dann innerhalb eines Jahres auf 1.000 Maschinen zu erhöhen.
  1. Die Atomenergie-Organisation wird verpflichtet, innerhalb von 5 Monaten nach Verabschiedung dieses Gesetzes eine Produktionsanlage zur Herstellung von Metall-Uran in Isfahan zu betreiben.
  2. Die Atomenergieorganisation Irans wird verpflichtet, gleichzeitig mit der Optimierung und Inbetriebnahme des 40-MW-Schwerwasserreaktors zur Herstellung von Radioisotopen für den Krankenhausbedarf in der Stadt Arak zu beginnen.
  3. Die Regierung der Islamischen Republik Iran ist verpflichtet, einen Monat nach der Verabschiedung dieses Gesetzes die Kooperation bezüglich des Zusatzprotokolls zum Nichtverbreitungsvertrag zu beenden, sollte die Gruppe 4+1 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland) die übernommenen Verpflichtungen aus dem Nuklearabkommen nicht erfüllen, die Hindernisse für den Bankenverkehr und vollständigen Export/Verkauf von iranischen Öl- und Erdölprodukten nicht beseitigen und nicht für den vollständigen und schnellen Rückfluss von Verkaufserlösen iranischer Exporte sorgen.
  4. Diejenigen, die sich weigern, dieses Gesetz umzusetzen, werden gemäß dem 2013 verabschiedeten islamischen Strafgesetz verurteilt.

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