Eine „Bibel“ und der islamische „Gottesstaat“

Nach Provokation der Revolutionsgarden im Persischen Golf hat Donald Trump die US-Marine angewiesen, auf iranische Boote zu schießen. Kurz darauf erklärten die Garden, sie hätten erstmals einen Militär-Satelliten ins All befördert. US-Außenminister Mike Pompeo will den Iran dafür zur Verantwortung ziehen. Nun soll sich der UN-Sicherheitsrat der Sache annehmen. Woher kommt die neue Spannung zwischen Teheran und Washington? Und welche Rolle spielt dabei die Publikation „Foreign Affairs“?

Von Ali Sadrzadeh

Die Washington Post nannte die Zeitschrift Foreign Affairs einst die „Bibel des außenpolitischen Denkens“. Und für das deutsche Wochenmagazin Spiegel ist „Foreign Affairs“ zwar keine heilige Schrift, aber die „distinguierteste Publikation für außenpolitische und weltwirtschaftliche Fragen“.

Die Zeitschrift, die demnächst 100 Jahre alt wird, ist das Organ des Council on Foreign Relations, einer der wichtigsten und einflussreichsten Denkfabriken in der US-amerikanischen Hauptstadt. Hier publizierte1947 George F. Kennan erstmals die sogenannte Containment-Politik, die den Kalten Krieg der Nachkriegszeit prägte. Hier stellte Samuel Huntington 1993 seinen „Clash of Civilizations“ vor, lange bevor dieser Titel zum weltweiten Bestseller und geflügelten Wort aufstieg.

Autoren von Foreign Affairs sind hauptsächlich Wissenschaftler und aktive oder ehemalige Politiker. Hier erhebt jener Teil der politischen Klasse Amerikas seine Stimme, der über den Tag hinaus denkt.

Für einen „Regime Change“ im Iran

Am 13. April veröffentlichte Foreign Affairs eine ungewöhnlich lange und bemerkenswerte Analyse über den Iran, die sicherlich Geschichte machen wird. Ihr Titel ist ihr Programm: „The Next Iranian Revolution. Why Washington should seek Regime Change in Teheran“.

Die Autoren dieser unmissverständlichen Worte sind zwei anerkannte Irankenner: Eric Edelman und Ray Takeyh heißen sie und sind Wissenschaftler und Praktiker zugleich.

Provokationen im Persischen Golf: US-Flugzeugträger und die Schnellboote der iranischen Revolutionsgarde
Provokationen im Persischen Golf: US-Flugzeugträger und die Schnellboote der iranischen Revolutionsgarde

Edelman lehrt an der Johns-Hopkins-Universität, war im US-Außenministerium Unterstaatssekretär für Politik und Botschafter der USA in der Türkei und in Finnland.

Takeyh ist ein iranstämmiger Wissenschaftler, der an der Universität von Yale und der Militärakademie für Nahoststudien lehrte und viele Jahre lang im US-Außenministerium Senior Advisor für den Iran war. Beide Autoren haben bis jetzt ein Dutzend Bücher über den Iran, den Islam und den Nahen Osten publiziert. Fachkreisen gelten sie als ernstzunehmende Experten.

Ein toxischer Begriff

Vierzehn Seiten umfasst ihre gemeinsame Analyse in der Foreign Affairs. Die Autoren wissen, dass sie mit dem Thema ein sehr heißes Eisen angefasst haben. Deshalb beginnt ihr Text auch mit einer Analyse des Begriffs Regime Change: Der sei „toxisch“, da er in der amerikanischen Öffentlichkeit Bilder des Kriegs im Irak heraufbeschwöre.

Deshalb nehme niemand diesen Begriff in den Mund, wenn er über den Iran rede – nicht einmal jene, die wie US-Präsident Donald Trump massiven Druck auf den Iran ausübten. Deshalb wiederhole man unentwegt, dass man keinen Regimewechsel im Iran anstrebe, sondern nur erreichen wolle, dass die Theokraten in Teheran ihr Verhalten änderten. Doch eine solche Änderung werde niemals eintreten: Denn die Islamische Republik sei eher eine revolutionäre Bewegung als ein Staat.

Und schon in ihren ersten Sätzen stellen die Autoren klar, dass sie strikt gegen eine Invasion oder ein militärisches Vorgehen im Iran sind. Eine direkte Konfrontation, ein Krieg gegen den Iran schade amerikanischen Interessen, schreiben sie unmissverständlich.

Niemand verstand, niemand versteht den Iran
Fortsetzung auf Seite 2