Khameneis Blick nach Osten
Russland und China sollen alles ersetzen, was einst die USA und Europa im Iran taten. Seit Beginn seines politischen Engagements habe er gegen den Einfluss des Westens gekämpft, erklärte der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei wiederholt, darauf sei er stolz. Nur mit der Strategie dieses „Blicks nach Osten“ könne man die westlichen Sanktionen neutralisieren. Doch wie weit reicht dieser Blick?
Von Ali Sadrzadeh
Das Datum, das Ayatollah Ali Khamenei für sein Treffen mit Xi Jinping gewählt hatte, sagte und sagt auch heute noch viel aus: über die iranische Innen- und Außenpolitik ebenso wie über Khameneis Führungsstil und Chinas Nahostpolitik. Denn es war der 23. Januar 2016. Das historische Atomabkommen zwischen dem Iran und den sogenannten 5+1 – den fünf Atommächten im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland – war gerade in Kraft getreten. An diesem Tag also empfängt der iranische Revolutionsführer und wichtigste Mann des Staates Chinas Präsidenten, und das auch noch in seiner Teheraner Residenz.
Nicht jeder ausländische Politiker bekommt diese Ehre. Sie ist jenen vorbehalten, mit denen Khamenei eine strategische Verbindung anstrebt, wie Baschar Assad und Wladimir Putin. Xi Jinpings Besuch hat große Bedeutung: als Symbol gegen das, was seit einigen Tagen im Iran und der ganzen Welt über das frisch unterschriebene Atomabkommen gesprochen, geschrieben und spekuliert wird.
Rechnung ohne den Wirt in Teheran
In Teheran freut sich die Mehrheit der Iraner*innen über eine baldige Öffnung der Gesellschaft, Außenminister Mohammed Javad Zarif lässt sich als erfolgreicher Verhandler des Atomdeals feiern. Weltweit herrscht Euphorie über dieses Kunststück der Weltdiplomatie. Die europäische Wirtschaft träumt von nie dagewesenen Investitionen im Iran, Politanalytiker prophezeien, die USA und der Iran würden zukünftig auch über andere strittige Themen verhandeln: Eine Rückkehr des Iran in die internationale Gemeinschaft stehe bevor.
Doch die Welt scheint all diese hoffnungsvollen Rechnungen ohne den Wirt in Teheran gemacht zu haben. Khamenei hat jegliche über den Atomdeal hinausgehende Verhandlungen mit den USA mehrmals öffentlich untersagt. Zweifellos mit seinem Wissen bereiten die Revolutionsgarden Tests mit Raketen vor, beschriftet in hebräischer Sprache: „Nieder mit Israel“. Trotz des Atomabkommens sei eine politische, wirtschaftliche, geschweige denn kulturelle Annäherung an den Westen ausgeschlossen, hatte Khamenei öffentlich und unmissverständlich bereits vor seinem Treffen mit Xi Jinping klargestellt.
Die unverrückbare Strategie
Denn Khamenei hat seine eigenen Pläne: „Blick nach Osten – Allianz mit Russland und China“ nennt er seine Vision. Das sei stets seine Strategie gewesen – und heute mehr denn je. Alles, was aus dem Westen kommt, vor allem alles Kulturelle, verabscheute der Ayatollah Zeit seines Lebens: Er sei schon in jungen Jahren gegen den Einfluss westlicher Kultur und Politik gewesen, hat er wiederholt und mit unüberhörbarem Stolz gesagt.
Seine Anhänger bezeichnen ihn als Führer der islamischen Welt, und in seinen öffentlichen Ansprachen redet Khamenei oft über die Diskriminierung von Muslimen in verschiedenen Ländern. Doch in seiner mehr als drei Jahrzehnte währenden Herrschaft hat er bisher nie über Tschetschenen oder Uiguren gesprochen. Das würde den „Blick nach Osten“ trüben.
In Anwesenheit seines chinesischen Gastes erklärt Khamenei an diesem Tag also wieder einmal, warum er seinen Blick nach Osten richtet. Zunächst bedankt er sich bei Xi Jinping dafür, dass China in all den Sanktionsjahren an der Seite Irans gestanden habe und lobt ausführlich, wie sich beide Länder erfolgreich gegen Amerikas Vorherrschaft in der Welt stellten. Und dann kommt Khamenei zum Eigentlichen: „Der 25-jährige Strategieplan zwischen Iran und China muss sofort in die Tat umgesetzt werden, dieser Plan ist Kern unserer Unabhängigkeitspolitik. Denn der Westen hat es nie vermocht, das iranische Vertrauen zu gewinnen.“
Dieser Plan, von dem Khamenei in jenem Januar 2016 sprach, sollte den Weg für eine strategische Partnerschaft ebnen, die Iran für immer an China binden sollte, wirtschaftlich, militärisch und kulturell. Demnach sollte der Iran das wichtigste Bindeglied der Seidenstraße werden: Vergangenheit als Verheißung, könnte man sagen, denn Persien war ja einst die Hauptstation auf jener Route, auf der China heute wieder mit aller Macht voranschreitet – hin zur Weltherrschaft, wie viele prognostizieren.
Das ominöse Dokument
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