Russland verhindert Ausbau iranischer Flotte im Kaspischen Meer
Laut einem Vorstandsmitglied des Verbands der iranischen Reedereien lässt Russland die Vergrößerung der iranischen Marineflotte und die Erhöhung der Seetransportkapazität des Landes im Kaspischen Meer nicht zu. Der Energieexperte Dalgha Khatinoglu geht der Sache auf den Grund.
„Die Preisgestaltung im Kaspischen Meer liegt in der Hand der Russen, weil sie dort die meisten Schiffe besitzen und betreiben.“ Mit diesen Worten wurde Masoud Daneshmand, Mitglied im Vorstand des Verbands der iranischen Reedereien, vor kurzem in der Nachrichtenagentur Ilna zitiert. „Auch die Transportkosten und die Fahrtzeiten werden von den Russen festgelegt. Sie verlangen beispielsweise 45 Dollar Transportkosten für eine Tonne Ware für eine Strecke, bei der die Kosten bei höchstens 17 Dollar pro Tonne liegen. Wir haben keine Möglichkeit, dagegen zu protestieren, weil Russland die Preise bestimmt.“ Demnach kann die Islamische Republik Iran keine Schiffe kaufen und diese über den Wolga-Don-Kanal ins Kaspische Meer fahren, weil Russland dies nicht zulasse. Die künstliche Wasserstraße in Russland verbindet das Kaspische Meer mit dem Schwarzen Meer.
Aus den Aussagen von Daneshmand geht allerdings nicht hervor, ob alle Länder am Kaspischen Meer von den Restriktionen betroffen sind oder nur der Iran. Unklar bleibt ebenso, ob Russland für alle Länder die Preise festlegt oder nur für die iranischen Reedereien.
Die Lage in anderen Küstenstaaten
Betroffen scheinen die Nachbarländer jedoch nicht zu sein. Die anderen Küstenstaaten am Kaspischen Meer bauen ihre Häfen und Marineflotten seit Jahren rasch aus. Die Republik Aserbaidschan hat in den vergangenen Jahren sogar einen beachtlichen Anteil des russischen Transitmarkts für Öl und Waren aus Kasachstan und Turkmenistan für sich gewinnen können. Außerdem verfügt nicht Russland über die größte Handelsflotte im Kaspischen Meer, sondern Aserbaidschan mit 200 großen Schiffen und Tankern. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 haben Kasachstan und Turkmenistan erheblich mehr Öl und Waren über Aserbaidschan transportiert als über Russland. Nach offiziellen Zahlen der Republik Aserbaidschan ist der Transit von Öl und Waren aus Kasachstan und Turkmenistan in der ersten Jahreshälfte 2022 um jeweils 43 beziehungsweise 36 Prozent gestiegen.
In der Vergangenheit nutzten die Länder östlich des Kaspischen Meeres die russischen Routen für den Transit von Öl und Waren in den Westen. Mittlerweile schicken sie ihre Waren über Aserbaidschan zu den georgischen und türkischen Häfen und von dort nach Westen.
Turkmenistan habe in der ersten Jahreshälfte 2022 drei Millionen Tonnen Öl und Ölprodukte mit eigenen Tankern durch das Kaspische Meer transportiert und zwar über Aserbaidschan statt Russland, stellt Elham Shaban, Direktor des Forschungszentrums Caspian Oil in Aserbaidschan, gegenüber DW Farsi klar. Das Abkommen über den rechtlichen Status des Kaspischen Meeres von 2018 räume außerdem allen Ländern freien Handel und Transit ein, so der Experte. Russland habe demnach kein Recht, in der Wirtschaftszone den Handel eines anderen Landes zu beeinflussen.
Ende letzten Jahres reisten Leiter russischer Häfen am Kaspischen Meer nach Baku, um eine Kooperation und Transitkapazitäten mit Aserbaidschan auszubauen. Seit der Militärinvasion Russlands in die Ukraine haben Kasachstan und Aserbaidschan sogar ihre maritime Transitkapazität mit drei großen Frachtschiffen verdoppelt – ohne Einwände aus Russland.
Alle drei Länder – Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan – haben in den vergangenen Jahren die Kapazität ihrer Häfen und Reedereien erhöht; die beiden letzteren verfügen derzeit über die jüngste Schiffsflotte im Kaspischen Meer.
Die Realität der iranischen Häfen
Die Statistiken für den Transit iranischer Waren über das Kaspische Meer im Jahr 2021 liegen noch nicht vor. Der stellvertretende Minister für Straßen und Stadtentwicklung im Iran, Kheyrullah Khademi, gab jedoch im Oktober 2021 bekannt, dass mehr als 60 Prozent des Handelsvolumens zwischen dem Iran und Russland im Jahr 2020 per Eisenbahn sowie über Landwege der Republik Aserbaidschan abgewickelt worden sei – und der Rest über das Kaspische Meer.
Das iranische Schifffahrtsunternehmen Khazar Sea Shipping Lines betreibt etwa 22 Schiffe im Kaspischen Meer. Hinzu kommen zehn Schiffe aus dem Privatsektor mit jeweils 1.000 bis 5.000 Tonnen Transportkapazität.
Dass der Warentransit zwischen dem Iran und Russland hauptsächlich auf dem Landweg stattfindet, ist vor allem der Beschaffenheit der beiden russischen Großhäfen am Kaspischen Meer geschuldet. Der Hafen von Astrachan ist für die großen Schiffe nicht tief genug. Außerdem wird er wegen Vereisung etwa die Hälfte des Jahres stillgelegt. Auch im Hafen von Machatschkala können große Schiffe aufgrund der geringen Wassertiefe nicht anlegen.
Transitkapazität auf 10 Millionen Tonnen erhöhen?
Die Aussagen von Masoud Daneshmand und die Realität der russischen und iranischen Häfen treffen auf die Aussagen von Rostam Ghasemi. Der iranische Minister für Straßen und Stadtentwicklung kündigte vor kurzem die „Unterzeichnung eines Vertrags mit Russland über den Transit von 10 Millionen Tonnen Gütern“ an.
Offiziellen Statistiken zufolge betrug das Exportvolumen des Iran nach Russland im vergangenen Jahr 1,2 Millionen Tonnen; die Importe aus Russland circa 3,7 Millionen Tonnen. Die Kapazität der iranischen Häfen belaufen sich jedoch nach Angaben Daneshmands derzeit mit maximaler Belastung auf sechs Millionen Tonnen im Jahr. Seiner Meinung nach besteht unter den gegebenen Umständen in den nördlichen Häfen des Landes keine Möglichkeit zur Erhöhung des Handelsvolumen.
Zehn Schiffe in einer geeigneten Größe für das Kaspische Meer könnte der Iran für etwa 50 Millionen Dollar kaufen, stellt Daneshmand fest. Das sei keine unbezahlbare Summe. Das Problem sieht er allerdings an einer anderen Stelle: Russland soll den neuen Schiffen den Zugang zum Astrachan-Hafen ermöglichen. Russland zeigt derzeit allerdings seinen Widerspruch, indem es Anläufe iranischer Schiffe mit Verzögerung genehmigt.♦
Dieser Artikel wurde zuerst auf Persisch in der persischen Webseite der Deutsche Welle veröffentlicht.
Übertragen ins Deutsch und überarbeitet von Iman Aslani.
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