Einblick in die iranische Kunstszene

Mit ‚Stimmen aus Teheran‘ hat Hannah Jacobi ein einzigartiges Buch vorgelegt. Christoph Sehl hat es für das Iran Journal gelesen.
Hannah Jacobis ebenso breit recherchierte wie gefächerte Sammlung von ‚Interviews zur zeitgenössischen Kunst im Iran‘ – so der Untertitel des Buches – ermöglicht einen vielschichtigen Einblick in die iranische Kunstszene. Dass der Blick auf das iranische Kunstgeschehen der auf eine fernes, auch fremdes Geschehen ist, hat viele Gründe, zumindest zählt er nicht zu denen, die sich von selbst verstehen.
Hier die Schwierigkeiten und Problemstellungen postkolonialer Auseinandersetzungen anzuführen, ist falsch und richtig. Falsch, weil der Iran in einem spezifischen Sinne nie Kolonie war, richtig, weil die Perspektive, die vom ‚Westen‘ aufgebracht wird, nicht aus der Geschichte des Orientalismus und den daraus folgenden postkolonialen Reflexionen ausgenommen werden kann. Insofern sind diese ‚Stimmen aus Teheran‘ der Versuch, eine Brücke zu schlagen, ein Vernehmen dessen herzustellen, was sich an einem anderen Ende der Welt abspielt. Und das erscheint gerade dann von großer Wichtigkeit, wo sich dieses andere Ende, der Iran, einer erneuten Isolation ausgesetzt sieht.
Das gilt auch für die Kunst und vor allem für ihre Wahrnehmung. Hannah Jacobi setzt in dieser Hinsicht auf die richtigen Akzente, diese Wahrnehmung nicht von der Eigenlogik ‚westlicher‘ Kunstdefinitionen anzugehen, sondern aus der Selbstverständigung über die Kunst und ihre Produktionsbedingungen im Iran selbst. Die Form des Interviews, vor allem wenn sie wie die in diesem Buch auf langjährigen Begegnungen beruht, vermittelt die konkrete Erfahrungswirklichkeit der Gesprächspartner. Die Interviews wurden zum größten Teil in Teheran geführt; ihre Narrative und selbstreflexiven Auslassungen sind damit zumeist an den Ort gebunden, ausgespart wird der Blick von Außen.
Wer kommt zu Wort?

Hannah-Jacobi
Hannah-Jacobi

Die Wahl der Interviewten ist breit gefächert, sie deckt das Spektrum ab, das den Bereich der Kunstproduktion und das Nachdenken über diese ausmacht – KünstlerInnen, GaleristInnen, KunstwissenschaftlerInnen, HerausgeberInnen von Kunstmagazinen. Die politischen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Bedingungen für das Kunstschaffen kommen so in einen deutlichen Zusammenhang mit den Beteiligten. Die Rahmenbedingungen in der Islamischen Republik Iran werden so fassbar gemacht, werden aus konkretem Handeln ersichtlich und damit auch das spezifische Interesse an der Kunst, das Feld ihrer Möglichkeiten, ihr tatsächliches Auftreten wie auch ihre jüngere Geschichte. Es sind vor allem KunstakteurInnen, die zu Wort kommen, die in dieser Geschichte Erfahrungen gesammelt und sie selbst mit geprägt haben. Welche Auseinandersetzungen sie dabei geführt haben, zeigt sich in den Interviews, aber auch in ihrer Arbeit.
Hannah Jacobi gibt in der Einleitung einige hilfreiche Hinweise für diese Geschichte, vor allem seit 1979, dem Jahr der islamischen Revolution im Iran. Aus dieser Geschichte ergibt sich, dass die Haltung der AkteurInnen mit Voraussetzungen umgehen, die im ‚Westen‘ so nicht bestehen. Das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit unterscheidet sich gravierend. Erst Ende der 90er Jahre hat sich ein institutionelles Interesse an der Kunstproduktion einer jüngeren Generation artikuliert, die keinen Anteil mehr an propagandistischer Revolutionskunst oder religiös geprägter Kunst hatte. Dieses Interesse konzentrierte sich auf das TMOCA (Tehran Museum of Contemporary Art), in dem, neben den alten Sammlungsbeständen von vor 1979 – also auch ‚westliche‘ Kunst, eben die Kunst dieser jüngeren Generation gezeigt wurde, die sich zuvor in mehr privaten Zirkeln oder Galerien zu organisieren begonnen hatte.
Diese institutionelle Öffnung war von nicht allzu langer Dauer, mit der Regierungszeit Ahmadinedschads erlahmte das öffentliche Interesse und die Kunst zog sich wieder in mehr private Bereiche, Galerien, Art Spaces u.a. zurück. Nach dieser Phase versucht sich die Kunstszene neu zu formieren. Das ist das, was sich in den Interviews zeigt.
Oil on canvas, 130 x 120 cm, 2011 Iman Afsarian, 1974 in Teheran geboren, führt mit seiner Malerei eine der interessantesten Auseinandersetzungen mit der iranischen Kunst. Sein fotorealistischer Ansatz erzählt sich aus einem Denken her, das das Bild innerhalb des Selbstverständlichen des Gesichtsfeldes behält. Das Malerische tritt nicht auf, um das Abgebildete durch die Malerei auf das Gebiet des Künstlichen zu entführen oder einer Entfremdung zu unterwerfen, die der Darstellungstechnik geschuldet ist.
Ein Kunstwerk von Iman Afsarian

 
Der Blick von außen
Das Thema der Perspektive ist immer wieder Thema in den Interviews. Auch, weil Hannah Jacobi es in ihrem Vorwort aufgreift. Ruyin Pakbaz, einer von Jacobis Gesprächspartnern, schrieb an anderer Stelle einmal: „We have played no role either in the development of modernism or in its critique. Our new art – and the reaction towards it – become meaningful in the context of our cultural life and its contradictions.“
Das Thema ist also der Blick von außen und dieser Blick ist auch innen, in den Auseinandersetzungen, in den Reflexionen über die Kunst im Iran virulent. Der Blick von außen, der exotisierende Blick auf das Fremde und die damit verbundenen Erwartungshaltungen an die Kunst im Iran, ist prägend und führt weiter zu Erscheinungen der Selbstexotisierung. Die Fragestellung, die sich daran anschließt, ist die nach einer eigenen Kunst – der oben zitierte Text von Ruyin Pakbaz trägt den Titel ‚In Search of Identity‘ – oder die nach einer Selbstversicherung im Tun in der Kunst.
Iman Afsarian, auch einer der Gesprächspartner im Buch, stellt die in diesem Zusammenhang selbstdekonstruierende Frage, ob Kunst an sich nicht westlich sei. Im Interview schildert er als Künstler – er ist auch Herausgeber des Kunstmagazins ‚Herfeh Honarmand‘ (‚Beruf Künstler‘) – wie er eine konsistente, eigenständige Haltung in der Malerei entwickelt hat. Diese gründet in einer komplexen Beschäftigung mit der iranischen Kunst, ihrer Geschichte und der Selbstverständigung über seine eigene geschichtliche Situation. Auch er spricht eher von ‚neuer Kunst‘. Kunst ist hier also zu verstehen als eine Form der Selbstbestimmung, auch in der Möglichkeit einer Absetzung von europäischer Tradition.
Teile der Geschichte
In allen Interviews spiegelt sich, Teil dieser iranischen Geschichte zu sein, auch dort, wo die Annäherungen an eine sogenannte ‚globale‘ Kunst größer sind. Aber, fasst man die Interviews zusammen, wäre es sicher treffender, von einer allgemeinen Kunst zu sprechen. Dies insofern als die Voraussetzungen innerhalb der Kunst und ihre Ausformungen besser in einer inkommensurablen Dispersion zu fassen sind.
Der jetzt wieder einsetzende Ausschluss des Iran nach der Aufkündigung des Atom-Deals durch die Vereinigten Staaten und die angesetzten Konsequenzen betreffen die Kunst genauso wie die Verständigung über sie. Die Gefahr der projektiven Wahrnehmung der Kunst im Iran erhöht sich. Insofern ist es immer empfehlenswert, auf die Selbstverständigung zu hören, wie sie uns in ‚Stimmen aus Teheran‘ gezeigt wird.
CHRISTOPH SEHL
Christoph Sehl ist Autor und Kurator. Seine intensive Beschäftigung mit der Kunst im Iran geht zurück auf das Jahr 2009. Die Ausstellung ‘Tehran Mon Amour’ (2015) in München stellt darin eine konzentriertere Einlassung dar, die auf engen Kontakten mit Künstlern und Galeristen in Teheran beruht.
 
„Stimmen aus Tehran – Interviews zur zeitgenössischen Kunst im Iran“, 256 Seiten, Verlag Edition Faust.
Das Buch wurde gefördert mit Mitteln der Heinrich-Böll-Stiftung.
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