Perspektiven iranischer Kunst

Kaum etwas ist den Mullahs im Iran so verhasst wie westliche Dekadenz. Dazu zählt nicht nur freizügige Damenmode oder unverhülltes Haar, sondern auch die Auseinandersetzung ihrer Landsleute mit zeitgenössischer Kunst aus dem Westen. Doch je stärker sie gegen die kulturelle Neugier der iranischen Bevölkerung vorgehen, desto mehr müssen sie gegen Widerstände ankämpfen – nicht zuletzt auch aus dem Ausland.

Es vergeht kaum eine Woche, in der die Islamische Republik Iran nicht in die Schlagzeilen gerät: Verhaftung von KünstlerInnen, Ausreiseverbot für Kulturschaffende, Berufsverbot für regimekritische Filmemacher- und SchriftstellerInnen. Das prominenteste Beispiel ist der Filmemacher Jafar Panahi, der wegen Unterstützung der oppositionellen Grünen Bewegung zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt wurde. Deshalb verzichten viele iranische KünstlerInnen und Kulturschaffende, die im Ausland leben, auf Reisen in den Iran, selbst wenn sie dort nicht politisch verfolgt werden.

„Künstler setzen sich mit Geschlechterrollen kritisch auseinander und werfen Zweifel an der islamischen Identität auf. Das erschüttert das Selbstverständnis“, erklärt der im Iran lebende Künstler und Galerist Nima Honarmand (Name geändert) im Interview mit dem Iran Journal. Nicht nur die islamischen Hardliner, sondern auch gemäßigte Mullahs fühlten sich dadurch provoziert. Deshalb seien sie darum bemüht, möglichst wenig künstlerische Aktivitäten in „ihrem“ Land zuzulassen. „Sie verhindern Konzerte, zensieren mutwillig Filme, und die wenigen internationalen Kooperationen werden permanent überwacht“, so Honarmand. Ein ungefilterter Austausch könne höchstens in privaten Zirkeln stattfinden.

Einfluss der Exil-KünstlerInnen

Während es für Kulturschaffende im Iran schwer ist, sich über neueste Tendenzen des Kunstmarktes, neue Materialien oder provokante künstlerische Positionen zu informieren und so inspirieren zu lassen, sind iranische Exil-KünstlerInnen vom westlichen Kunstbetrieb und dessen Informationsfluss geprägt.

Kunstwerk der in Deutschland lebenden Künstlerin Parastou Forouhar
Kunstwerk der in Deutschland lebenden Künstlerin Parastou Forouhar

Dennoch zieht sich der Iran bei vielen wie ein roter Faden durch ihre Arbeiten. Man kann die Bindung an die Heimat nicht einfach so beiseite legen. Da geht es iranischen Künstlerlnnen nicht anders als dem deutschen Schriftsteller und Exilanten Thomas Mann, der sagte: „Da wo ich bin, ist auch Deutschland.“

Die Migration führt allerdings zu einer anderen Sichtweise auf den Iran und dessen gesellschaftliche, politische oder künstlerische Besonderheiten. Das schlägt sich auch im Kunstschaffen der ExilantInnen nieder, das nicht selten von einem Interesse am Sprache und anderen Codes oder dem Überschreiten von Gattungsgrenzen gekennzeichnet ist. Diese besondere Verbindung zwischen der Auseinandersetzung mit kulturellen Identitäten und künstlerischen Techniken bescherte ihnen immer wieder Aufmerksamkeit auf Kunstmessen – und wenn´s gut lief, auch internationales Renommee, wie etwa für die Künstlerinnen Shirin Neshat, Marjane Satrapi und Parastou Forouhar.

„Die Kunstszene in den iranischen Großstädten ist jung, vital und boomt seit Jahren, und natürlich interessieren sich die KünstlerInnen im Iran für ihre KollegInnen im Ausland im besonderen Maße“, erklärt Galerist Honarmand: „Sie sind in ganz spezieller Weise ein Zugang zur westlichen Moderne. Dank des Internets sind zumindest die jungen KünstlerInnen miteinander vernetzt.“

Kulturaustausch mit dem Westen

Dabei müssten Künstler und kunstinteressierte IranerInnen gar nicht das Land verlassen, um zeitgenössische europäische und amerikanische Kunst im Original zu sehen. Seit fast 38 Jahren halten die Mullahs die bedeutendste Sammlung zeitgenössischer westlicher Kunst außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten unter Verschluss.

In den 70er Jahren war das Teheraner Museum für Zeitgenössische Kunst (TMoCA) von Farah Diba, der letzten Kaiserin des Iran, mit Werken von Wassily Kandinsky bis Francis Bacon bestückt worden. 1977 wurde es feierlich eröffnet, um mit der Revolution von 1979 wieder geschlossen zu werden. Nur wenigen BesucherInnen wurde seither die Möglichkeit gegeben, sich einzelne Werke anzusehen. Auch wichtige Werke moderner iranischer KünstlerInnen lagern unbeachtet im TMoCA.                                                      

Das sollte sich diesen Winter ändern. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hatte sich gemeinsam mit dem Museo Nazionale delle Arti di XXI Secolo in Rom (MAXXI) daran gemacht, die Sammlung des Teheraner Museum aus den Katakomben ans Licht der Öffentlichkeit zu holen. 60 Werke sollten westlichen Museen zugänglich gemacht werden.

Paradoxe Einigkeit

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