Pinsel als Spiegel der Gesellschaft
Im Iran sind zwar viele KünstlerInnen politisch, sie wehren sich aber dagegen, wenn man ihre Werke als politische Ausdrucksform bezeichnet. Ein aktuelles Beispiel ist eine Ausstellung* des Bildhauers Hamidreza Eyni mit dem Titel „Imagination of a Color“. Sie besteht aus Malerpinseln, die Eyni selbst hergestellt hat.
Iran Journal dokumentiert Auszüge aus einem Interview, das die iranische Tageszeitung Etemad mit dem Künstler geführt hat.
Etemad: Wie sehen Sie die Welt?
Hamidreza Eyni: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ereignisse um uns herum keinen Einfluss auf uns ausüben. Die Iraner haben es geschafft, ihr vielfältiges, eigenartiges Land trotz aller unterschiedlichen Glaubensrichtungen in den letzten Jahrhunderten zusammenzuhalten. Dabei haben wir viele Schwierigkeiten hinnehmen müssen. Und trotzdem haben wir noch die Kraft, die dabei entstehenden Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg zu räumen.
Ist deshalb der Dialog das Motiv Ihres künstlerischen Schaffens?
Ich fühle eine Art Pflicht in mir, dafür zu sorgen, dass ein Dialog zustande kommt. Das ist der einfachste Weg, die Welt davon zu überzeugen, dass wir nicht die Orientierung verloren haben. So kann die Welt unser wahres Gesicht kennenlernen. Da bin ich allerdings nicht vom Optimismus geblendet, sondern stehe auf dem Boden der Tatsachen. Alle Schwierigkeiten, die wir durchlebt haben, sind Teil unserer Geschichte. Manchmal ist es gut, Teile davon zu vergessen. Ich finde es kindisch, nachtragend zu sein oder zu anderen Lösungen außer dem Dialog zu greifen. Es ist meiner Meinung nach unter unserer Würde.
Wir sind ein Volk, das seine eigene Rhetorik findet, egal wie es behandelt wird. Schauen Sie sich an, was für ein Gefühl die Menschen vor den Wahlen hatten und was für eins haben sie jetzt? Ich unterhalte mich diesbezüglich viel mit meiner Umgebung. Unser Volk fühlt sich jetzt besser. Auf den ersten Blick stellt man keine Veränderung fest: Herr Rouhani war Präsident und wurde in seinem Amt bestätigt. Woher stammt also die Euphorie? Sie resultiert daraus, dass sich die Menschen in einen Dialog begeben und sich gegenseitig zugehört haben.
Was haben Sie als Künstler dazu beigetragen?
Zuallererst habe ich in den ausgestellten Arbeiten versucht, das Ganze zu ästhetisieren. Manche Ereignisse kann man auch mit einem Bajonett inszenieren. Das ist aber nicht meine Art. Die Menschen bevorzugen einen Pinsel und assoziieren ihn mit dem schönen Gefühl, sie hätten ihre Wohnung farbenfroh gestrichen. Sie mögen diese Pinsel. Ein pessimistischer Mensch kann das gleiche Ereignis umgekehrt darstellen. So etwas mache ich nicht. Ich schöpfe meine Energie aus den Menschen, und wenn ich mit ihnen in Kontakt trete, stelle ich fest, dass die meisten von ihnen ebenso denken wie ich. Ich wollte meinen Landsleuten sagen, dass sie alle Weltbürger sein können.
Steht für Sie der Betrachter an erster Stelle?
Keiner kann ein Werk schaffen, das mit seiner Gesellschaft nichts zu tun hat. Wir alle und unsere Werke sind ein Spiegel der sozialen und politischen Begebenheiten unseres Landes. Unser „Weltkünstler“ – wie wir ihn nennen – ist trotzdem ein orientalischer Künstler. Auch der Charakter eines Kulturschaffenden oder eines Künstlers formt sich in dieser Gesellschaft. Auch sie sind ihr Produkt. Auch ich bin das Produkt dieser Gesellschaft und bin ihr daher ergeben, wenn ich etwas tue. Ich gebe mich aber nicht mit dem durchschnittlichen Anspruch der Gesellschaft zufrieden, um eine bessere Wirkung erzielen zu können. Ich habe Werke, die keiner zu sehen bekommt. Manche meiner sehr persönlichen Werke zeige ich niemandem. Aber wenn meine Werke so sind, wie sie hier ausgestellt sind, möchte ich gerne, dass die anderen sie auch sehen.
Sie sind ein sehr moralischer Mensch. Dies zeigt sich in ihren Werken.
Das stimmt. Moral ist für mich ein sehr umfangreiches Phänomen. Wenn es in einer Gesellschaft Sachen gibt, die mit Diskretion behandelt werden und nicht öffentlich thematisiert werden, sollten sich auch die Künstler dieser Gesellschaft an diese Diskretion halten. Von der iranischen Kunst, Dichtung und Literatur habe ich Eigenschaften gelernt, die meiner Meinung nach das die wichtigsten Merkmale der iranischen Kunst sind: sich durch die Blume zu äußern. In diesen Werken habe ich versucht, mich auf diese Art auszudrücken. Ich denke, ich komme nicht darum herum, wenn meine Werke iranisch sein sollen.
Ihre Vorliebe für Malerei ist bei den Werken das erste, was auffällt.
Das hat auch andere Gründe. Nur wenige Leute verknüpfen einen Pinsel mit Malerei. Viele Menschen assoziieren ihn eher mit dem Anstreichen. Ich als Bildhauer arbeite hauptsächlich mit Bronze. Das, was ich für diese Ausstellung gemacht habe, ist für mich wie ein Innehalten. Ich bin mir sicher, dass ich nicht noch einmal Pinsel als Arbeitsmaterial verwenden und für die nächste Ausstellung ein anderes Material zur Hand nehmen werde. Alles, was Sie hier sehen, wie etwa Tradition, Modernität und Moral, werden Sie aber auch in meinen späteren Arbeiten sehen, jedoch komplexer.
Ich finde, beim künstlerischen Schaffen muss Stillstand vermieden werden. Wenn wir einer ausländischen Galerie ein Werk verkaufen, tun wir das nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern wir definieren uns damit im Ausland. Das kann beim kulturellen Austausch eine signifikante Rolle spielen. Wir alle leben gemeinsam in einer Welt und können uns nicht von den anderen abgrenzen.
Gibt es hier ein Werk, das Sie vorziehen?
Ja, ich neige zu dem alten goldenen Pinsel und einem anderen Werk, das hier unter dem Namen „Zusammen-Denken“ ausgestellt ist. Solche Werke inspirieren mich besonders.
Und das Werk mit dem Titel „In Wut gefangen“?
In diesem Werk sieht man etwas Besonderes, das bei den anderen Werken nicht zu sehen ist: Dieser Pinsel ist entscheidungsunfähig. Er ist eigentlich sehr mächtig und seine Wut könnte alles vernichten, er ist aber gefangen.
Welches Thema nehmen Sie sich bei Ihrem nächsten Projekt vor?
Im Moment arbeite ich an meinen Bronze-Skulpturen. Der Ausstellungstermin steht allerdings noch nicht fest. Diese Werke ähneln jeweils einem Teil des menschlichen Wesens, das nicht perfekt aussieht. Sie halten alle inne und sind mit sich selbst beschäftigt. In meiner alten Werkkollektion sah nur ein einziges Stück so aus. Das Stück erregte besondere Aufmerksamkeit.
Interview: Ali Mottalebzadeh
*Die Ausstellung fand in der Teheraner Farmanfarma Galerie statt.
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