Bitte an die Weltgemeinschaft: Helft uns!

Am 19. März sah ich vor dem Krankenhaus, das angeblich als einziges Corona-Patienten aufnimmt, eine etwa fünfzigjährige Frau, die mit Atemnot den Pförtner um Eintritt anflehte. Der wiederholte stets, es gäbe keinen Platz mehr. Die Frau hatte weder Maske noch Handschuhe. Der einzige Ermutigende bei der Szene war ein Ladenbesitzer, der der Frau eine handgemachte Stoffmaske und ein Paar Gummihandschuhe gab. Sie lehnte diese jedoch ab.

Die Frau wirkte so, als ob sie nicht mehr ganz bei sich wäre oder sehr große Angst hätte. Endlich konnten die Anwesenden sie überzeugen, die Maske und die Handschuhe zu tragen und sich in häusliche Quarantäne zu begeben. Jeder gab auch noch einen Tipp ab: „Der Kot der Eselstute soll helfen“, sagte der eine. Der Rauch verbrannten Kots der Eselstute soll Bakterien und Pilze bekämpfen, heißt es im Volksmund. „Du sollst warme Milch mit Kurkuma trinken“, sagte ein anderer.

Da im Spezialkrankenhaus keine Kapazitäten mehr vorhanden sind, hat die örtliche Universität für medizinische Wissenschaften eine Sporthalle für neue Patienten umgebaut. Die Wände sind feucht und die Kälte im Innern ist selbst für gesunde Menschen schwer zu ertragen. Der Boden wird mit einer Lösung gesäubert, die unangenehm riecht und das Atmen erschwert.

Stadtverwaltung bittet Revolutionsgarde um Hilfe

Während Putz- und Desinfektionsmittel landesweit knapp sind, laufen Milizen der Revolutionsgarde durch die Stadt und desinfizieren in propagandahaft wirkenden Aktionen die Straßen. Gestern sah ich im Aufzug eines Einkaufszentrums einen jungen Mann, der Nase und Mund mit einer Kufiya (einem für die Milizen der Revolutionsgarde typischen Tuch) bedeckt hatte. Er desinfizierte den Innenraum des Fahrstuhls mit einer nach Bleichmittel riechenden Flüssigkeit. Auf die Frage der Security nach seiner Identität antwortete er, er sei von den Milizen.

Ich fragte bei der Stadtverwaltung nach, welche Mittel die Milizen zum Desinfizieren der öffentlichen Plätze benutzen würden. Am Telefon sagte mir ein Beamter, man wisse nicht, was da angewendet werde: „Wir haben die Universität für medizinische Wissenschaften um Hilfe gebeten, aber sie hatte nicht einmal geeignete Desinfektionsmittel für die Krankenhäuser. Gemeinsam mit der Uni sind wir dann zu dem Entschluss gekommen, die Revolutionsgarde um Unterstützung zu bitten. Die berät noch und wird uns in den nächsten Tagen informieren.“ Als würde das Virus auf den Bescheid der Revolutionsgarde warten …

„Die Sanktionen sind schuld“

Die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran seien schuld daran, dass das Virus sich ausbreite, verbreitete der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif. Am 18. März twitterte er, die Sanktionen sollten den Iran daran hindern, das tödliche Virus zu bekämpfen. Das löste eine Welle der Reaktionen in den sozialen Netzwerken aus. Viele sehen die Schuld für die verzweifelte Lage bei der Regierung: Sie habe Corona auf die leichte Schulter genommen, zu spät reagiert und sich geweigert, die religiösen Stätten, die Märkte und Behörden rechtzeitig zu schließen. Es habe noch Wochen nach der Ausbreitung des Virus Flüge der Mahan Air nach China gegeben. Selbst in den Sendungen des staatlichen iranischen Fernsehens kritisieren Gäste wie etwa der Schauspieler Amir Hossein Rostami die Regierung.

Viele weisen auch darauf hin, dass die Herangehensweise der medizinischen Zentren nicht den Vorschriften zur Bekämpfung solcher Krankheiten wie Covid-19 entspreche, dass die Gesellschaft unter dem Druck eines ideologischen Regimes stehe, welches die Rechte der Bürger*innen mit Füßen trete, und dass das Immunsystem vieler Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, zu schwach sei, um sich gegen das Virus zu behaupten.

Und dann das: Der Chef des Nationalen Sicherheitsrates des Iran, Ali Shamkhani, gab kürzlich bekannt, dass der Iran den Irak bei der Bekämpfung des Coronavirus unterstützen werde. Die Nachricht löste bei vielen Iraner*innen Angst und Ärger aus – auch bei meiner Familie. „Das Regime denkt lieber an seinen politischen Einfluss im Nachbarland und ist dafür sogar dazu bereit, den Schutz der iranischen Bevölkerung zu vernachlässigen“, sagte mein erkrankter Schwager.

In seinem Namen soll ich die Weltgemeinschaft deshalb bitten, die Islamische Republik dazu zu bringen, sich um ihre eigenen Bürger*innen – auch außerhalb der Metropole Teheran – zu kümmern, statt den Corona-Patienten im Irak zur Hilfe zu eilen. Das Regime soll dem Rat der Expert*innen folgen und die von dem Virus getroffen Städte unter Quarantäne stellen. Und es soll endlich damit aufhören, das wahre Ausmaß der Corona-Epidemie zu verheimlichen.♦

Aus Sicherheitsgründen werden der Name der Verfasserin und die Namen der beschriebenen Städte nicht genannt. Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen schikaniert die iranische Regierung Journalist*innen, die sich mit dem wahren Ausmaß der Corona-Epidemie befassen.

© Iran Journal

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