Iran in Angst vor dem Coronavirus
Die Zahl der Infizierten und Toten durch das Coronavirus im Iran steigt stetig. Die Todesangst und fehlendes Vertrauen zu den Regierenden und ihren Aussagen lähmen das Leben im islamischen Gottesstaat. Mina Teherani hat mit einigen Teheran*innen gesprochen.
Von Mina Tehrani
Anscheinend erschreckt meine weiße Schutzmaske die Menschen. Dabei hatte ich gehofft, durch sie ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens zu erzeugen, damit die Leute mit mir sprechen. Doch weit gefehlt: In der U-Bahn-Station laufen vier Frauen weg, als ich sie mit einem freundlichen Salam begrüße.
Nicht so Nasim. Die 22-Jährige spricht mit mir, auch wenn sie dabei auffällig um Abstand bemüht ist. Sie trägt selbst eine Maske und dazu Latexhandschuhe: „Die U-Bahn-Türen und die Knöpfe in den Fahrstühlen sollte man ohne Handschuhe nicht anfassen“, erklärt mir die Studentin. Die Universitäten sind zum Schutz der Student*innen und Lehrkräfte bis auf Weiteres geschlossen, warum ist sie nicht zuhause geblieben, will ich wissen. Sie arbeite neben dem Studium in einer Boutique und sei gerade auf dem Weg dorthin, erzählt Nasim: „Ich muss! Sonst hätte ich das Risiko nicht auf mich genommen, mit der U-Bahn oder dem Taxi zu fahren.“
Bevor der Zug kommt, gesellt sich Hanieh, Nasims Freundin, zu uns. Auch sie arbeitet neben ihrem Studium, in der Finanzabteilung eines großen Unternehmens. Aber sie hat heute Krankheit vorgetäuscht und sich frei genommen. Denn Hanieh ist auf dem Weg zu ihrem alleinstehenden Großvater. Dieser geht aus Angst vor dem Coronavirus selbst nicht mehr aus dem Haus. Hanieh will für ihn einkaufen. „Mein Opa hat in den Nachrichten gehört, dass der Coronavirus Jagd auf ältere Männer mache“, sagt sie. Käme diese Nachricht aus einer iranischen Quelle, hätte der Großvater keinen Wert darauf gelegt: „Aber wenn BBC sagen würde, der Tag ist die Nacht, würde er es glauben.“
Glaubt er alles, was ausländische Medien berichten? „Ja, aber nur, wenn es keine politischen Themen sind, wie jetzt Corona“, erwidert Hanieh. „Dann glaubt er alles.“ Ihr Großvater habe „null Vertrauen“ zur iranischen Regierung und ihren Medien. „Es geht soweit, dass er denkt, die Politiker wollten mit den Schutzmasken Geschäfte machen, deshalb hätten sie bewusst den Coronavirus durch chinesische Touristen ins Land bringen lassen.“
Tatsächlich stürzen sich die Iraner*innen derzeit auf Schutzmasken, Desinfektionsmittel, Latexhandschuhe und Papiertaschentücher. Deshalb kostete am Montag eine Schutzmaske das 16fache des Preises vor dem Ausbruch des Virus. Viele horten auch Lebensmittel, um möglichst selten das Haus verlassen zu müssen.
Kein Vertrauen zur Regierung
In einem Café versuche ich, mit weiteren Menschen in Kontakt zu kommen. Normalerweise kann man von Glück reden, wenn man in diesem Café einen Platz bekommt – doch heute ist es hier fast leer. Am Nebentisch unterhält sich ein junges Paar mit einer älteren Frau am Nachbartisch gerade – natürlich über den tödlichen Virus. Auch hier geht es um das fehlende Vertrauen der Menschen in die Regierung und die stark zensierten Medien. Die ältere Frau ärgert sich über „die Lüge“ des Gesundheitsministers Said Namaki: Einen Tag, bevor die Nachricht über die zwei ersten am Coronavirus gestorbenen Menschen in der Stadt Ghom verbreitet wurde, hatte der vor Journalisten versichert, im Iran gäbe es nicht einmal Verdachtsfälle. Innerhalb von 48 Stunden nach dieser Behauptung gab die Regierung den Tod von fünf am Coronavirus erkrankten Menschen bekannt. Sie sollen tagelang im Krankenhaus gelegen haben. Wie viele Menschen sie dort infiziert haben, wird wahrscheinlich niemand erfahren.
Meine Gesprächspartner*innen im Café gehen gar nicht auf ältere Ursachen des Misstrauens in der Bevölkerung ein – etwa den Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine, den das Regime zunächst tagelang verheimlicht hatte. Erst nach internationalem Druck gaben die Regierenden zu, die Maschine sei durch eine Rakete der Revolutionsgarde „versehentlich“ abgeschossen worden. Sie sprechen auch nicht von dem Vertrauensverlust durch das brutale Vorgehen des Regimes gegen junge Demonstrant*innen im November vergangenen Jahres. Bis heute hat die Regierung die Zahl der Opfer nicht bekannt gegeben.
Dagegen nennen die drei offen diskutierenden Menschen Beispiele aus den vergangenen zwei Wochen: „Sollen wir nun dem Ghomi glauben oder dem Minister?“, fragt etwa die ältere Frau. Mit Ghomi meint sie den Vertreter der Stadt Ghom im Parlament, Ahmad Amirabadi-Farahani. Er hatte am Montag erklärt, allein in seinem Wahlbezirk seien 50 Menschen an Covid-19 gestorben, 40 der Opfer seien dem Gesundheitsminister namentlich bekannt. Das Gesundheitsministerium dementierte diese Angaben wenig später und gab die Zahl der Opfer im ganzen Land mit 12 an.
Noch ein leeres Versprechen?
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