Bitte an die Weltgemeinschaft: Helft uns!

Von einem Freund bekamen wir den Tipp, Atemschutzmasken auf dem Markt im Zentrum der Stadt zu kaufen; ein permanenter Markt, auf dem die Händler Obst, Gemüse und Haushaltsbedarf günstiger anbieten als in den Geschäften. Dieser Markt mit seiner traditionellen Architektur ist gut besucht und kann in Zeiten von Corona schnell zu einem Epizentrum der Übertragung werden. Großer Abstand zu anderen ist dort nicht möglich.

Auf dem Markt kosteten die normalen Bauschutzmasken pro Stück 6.000 Toman (etwa 0,4 €). „Bis vor Kurzem konnte man sie für 200 Toman kaufen“, sagte mir eine Frau. Eine 12er Packung Latexhandschuhe kostete 20.000 Toman. Vor der Corona-Epidemie sollen 100 Stück 23.000 Toman gekostet haben. Die schlecht verpackten Handschuhe konnten zudem eher eine Infektionsquelle als ein Schutz sein.

Mittlerweile kann man in der Stadt überall Stoffmasken kaufen, die die Menschen selbst zuhause anfertigen. Als ich weißen Baumwollstoff kaufen wollte, um für die ganze Familie Masken zu schneidern, stieß ich in den Stoffläden auf Menschenmengen – auch ein potentieller Übertragungsort.

Mein Schwager befindet sich mittlerweile seit vier Tagen in häuslicher Quarantäne. Sein Fall brachte mich dazu, mich intensiver mit dem Missstand in der Stadt X zu beschäftigen und darüber zu berichten.

Ein Exportzentrum des Erregers

Ganz am Anfang der Verbreitung des Coronavirus im Iran Ende Februar wurde in der Kleinstadt Y, 30 Kilometer entfernt von meiner Heimstadt X, gemunkelt, dass sich einige Menschen mit dem Virus angesteckt hätten. Sie sollen den Schrein der Fatima Masuma in Qom, der „heiligen Stadt“, besucht haben. Dabei küssen die Pilger*innen den metallenen Schrein mehrere Male – der beste Weg zur Übertragung des Virus.

Als erste starb in Y eine 65-jährige Frau aus einer berühmten Familie. Die Angehörigen organisierten eine große Trauerfeier, an der Hunderte von Menschen ohne Einhaltung jeglicher Vorsichtsmaßnahmen teilnahmen. So werden bei solchen Zeremonien die Hände der Hinterbliebenen geschüttelt. Manche küssen sich gegenseitig auf die Wangen oder umarmen sich als Zeichen der Anteilnahme.

Das Geschäft mit handgemachten im Iran Stoffmasken blüht
Das Geschäft mit handgemachten Stoffmasken im Iran blüht

Ob diese Zeremonie einer der Ausgangspunkte der Epidemie in X war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht jedoch, dass die Zahl der Infizierten und Verdachtsfälle in Y derart anstieg, dass die örtlichen Gesundheitszentren keine Kapazitäten zur Kontrolle mehr hatten. Erkrankte und Verdachtsfälle mussten deshalb in das Krankenhaus von X gehen.

Sie reisten anfangs unkontrolliert mit ihren Familienmitgliedern an. Nachdem sich die Einwohner der Stadt X jedoch beschwerten, stellte die Polizei Kontrollposten auf, die bei den Einreisenden Fieber maßen. Die Betroffenen beschwerten sich jedoch über diese „Diskriminierung“ und organisierten sogar Sitzstreiks. Da einige hohe Beamte der Provinzverwaltung aus Y stammen, wurde die Aufhebung der Kontrollen in X angeordnet.

Die Lage ist schlimmer als offiziell berichtet

Das Ganze machte mir Angst. Ich beschloss, mich bei Bekannten, die in den Gesundheitszentren arbeiten, zu informieren. Eine Biologin der örtlichen Universität für medizinische Wissenschaften zitierte ihre Kolleg*innen aus dem Krankenhaus im Zentrum der Provinz: „Von den vor einer Woche 200 Infizierten sind etwa 100 gestorben.“

Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung spielte mir einen auf den 12. März datierten Brief zu. Darin verlangte der Hochschuldirektor für medizinische Wissenschaften der Provinz vom Oberbürgermeister der Stadt X, das Krankenhaus und die privaten Kliniken beim Transport der Leichen verstorbener Corona-Patienten zu unterstützen. Der Oberbürgermeister beauftragte daraufhin vier Personen damit, Nachttransporte zu organisieren. Die Leichen sollten ohne übliche Prozesse und Rituale beigesetzt werden. Die Stadtverwaltung hat darüber hinaus Todesanzeigen und Bestattungszeremonien für Corona-Opfer verboten.

Der Brief beweist, wie dramatisch die Lage in X ist.

Keine Aufnahme im einzigen Spezial-Krankenhaus
Fortsetzung auf Seite 3