Islam und Gewalt
Ist der Islam eine Religion der Gewalt? Rechtfertigt er den Tod von Zivilisten? Auf diese und andere Fragen geht der iranische Theologe Hassan Yussefi Eshkevari in seinem Gastbeitrag für Iran Journal ein.
Die Frage nach einer möglichen Verbindung zwischen Religion – in diesem Fall dem Islam – und Gewalt ist keine neue. Seit den terroristischen Attacken der letzten Jahre in Europa und den USA, besonders nach dem 11. September 2001, gerät sie verstärkt in den Fokus der Weltöffentlichkeit.
Die Frage beschäftigt sowohl die Muslime selbst als auch die BürgerInnen der nicht islamischen Länder, besonders im Westen. Nachfolgend versuche ich dem Problem an die Wurzel zu gehen.
Zwei religiöse Führer im Vergleich
Der verstorbene Großayatollah Hussein-Ali Montazeri liefert einen passenden Anhaltspunkt. Als hochrangiger Kleriker genoss er im Iran und unter Schiiten ein hohes Ansehen. Darüber hinaus war er Mitbegründer der Islamischen Republik nach der Revolution im Iran 1979. Dies alles verleiht seiner religiösen und politischen Einstellung eine beachtliche Bedeutung.
Montazeri, ursprünglich als Nachfolger des Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Chomeini vorgesehen, hatte von Anfang an Meinungsverschiedenheiten mit Chomeini selber, weshalb er nach und nach vom Kreise der Mächtigen ausgeschlossen wurde.
Einer der elementaren Unterschiede zwischen den beiden Großayatollahs bestand darin, wie hart eine islamische Führung gegen ihre KritikerInnen und Andersdenkende vorgehen sollte.
Chomeini sah in Übereinstimmung mit der islamischen Rechtswissenschaft Fiqh die Errichtung einer islamischen Herrschaft als eine religiöse Pflicht, deren Erfüllung alle Muslime immer und überall anzustreben hätten. Legitimiert würde solche Herrschaft durch die Bestätigung durch religiöse Rechtsgelehrte und nur ein Rechtsgelehrter dürfe diese anführen. Die Autorität dieser Theokratie zu gewährleisten genieße oberste Priorität und heilige jedes Mittel, so der Revolutionsführer. Darüber hinaus sei das islamische Rechtswesen der „Wegweiser der Herrschaft“ und die Gesetzgebung nichts anderes als die Bestätigung religiöser Ge- und Verbote.
Ayatollah Chomeinis Auffassung setzte den Befugnissen des führenden Rechtsgelehrten keine Grenzen: Sie ist die absolute Statthalterschaft des Rechtsgelehrten.
Demnach glaubte der Gründer der islamischen Republik Iran an eine totalitäre Theokratie – eine Herrschaft, die um jeden Preis religiöse Gebote umsetzt. In so einer Herrschaft werden Menschenrechte von Nicht-Schiitinnen oder Nicht-MuslimInnen mit Füßen getreten und die Meinungsfreiheit Andersdenkender stark eingeschränkt.
Auch Montazeri glaubte an eine religiöse Herrschaft mit einem Rechtsgelehrten an der Spitze. Seine Auffassung davon und von den Befugnissen deren Anführer unterschied sich jedoch gewaltig von der seines einstigen Lehrers.
Montazeri war der Meinung, dass der führende Rechtsgelehrte demokratisch gewählt und sich dem Gesetz und dem Volk gegenüber verantworten solle. Die Stabilität der religiösen Herrschaft solle gewährleistet werden, jedoch nicht um jeden Preis, so der Großayatollah.
Für Montazeri spielte die Meinungsfreiheit eine wichtige Rolle. Kritik Üben war für ihn ein hilfreiches Mittel auf dem Weg zu einer gesunden und transparenten Herrschaft. Der Großayatollah setzte sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte im Iran und in der islamischen Welt ein und sprach sich immer wieder für einen parlamentarischen Mehrparteienstaat aus, der freie Wahlen respektiert.
Fundamentalismus versus Liberalität
Der Vergleich zeigt, dass eine Verbindung zwischen Islam und Gewalt von unterschiedlichen Interpretationen abhängt. Wer sich am konservativen Islam orientiert und seine Auffassung von islamischer Herrschaft mit allen Mitteln verteidigen möchte, kann damit nicht Werte wie Demokratie, freie Wahlen und Menschenrechte vereinbaren.
Chomeinis Überzeugung kann als fundamentalistischer und traditioneller Islam, die von Montazeri als liberale Version bezeichnet werden.
Zeitgenössische fundamentalistische Interpretationen des Islam sind zum Teil unterschiedlich – insbesondere wenn es sich dabei um Auffassungen der beiden Glaubensrichtungen Sunniten- und Schiitentum handelt. Trotzdem unterscheiden sie sich in Sachen islamische Herrschaft und deren uneingeschränkten Machtansprüchen sowie der Meinungsfreiheit muslimischer und nichtmuslimischer Andersdenkender kaum.
Die radikalste Auffassung von Herrschaft, Politik und bedingungsloser Durchsetzung der Scharia präsentiert derzeit zweifelsohne der sogenannte „Islamische Staat“ (IS). Aber Organisationen wie die Taliban, Boko Haram, Al-Qaida, Al-Shabaab sowie manche Strömungen der Muslimbrüder im Mittleren Osten oder die radikalen Anhänger von Ayatollah Chomeini gehören zu einem eigenen Spektrum.
Diese islamistischen Gruppen verbindet die Befürwortung von Gewalt, politischer Absolutismus, religiöser Fundamentalismus und die Unterdrückung von Andersdenkenden, und sie scheuen dabei nicht vor Folter, Hinrichtungen und Terror.
Gewalt in den Anfängen des Islams
Fortsetzung auf Seite 2