Beisetzung „der Geburtsurkunde der Revolution“
Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, eine der schillerndsten Figuren der Islamischen Republik Iran, ist am Dienstag im Mausoleum des Republikgründers Ayatollah Khomeini beigesetzt worden. Nicht nur sein Leben, auch sein Tod sorgt für hitzige Diskussionen unter IranerInnen. Die Hardliner sind um einen „Störfaktor“ erleichtert, reformorientierte und gemäßigte Kräfte bangen um ihre Zukunft. Ein Kommentar.
Kaum jemand hatte mit dem Tod des 82-jährigen Politikers und Geistlichen Hashemi Rafsanjani gerechnet. Der Mann, der das Schicksal des Iran 38 Jahre lang mitgeprägt hat, erlitt am Sonntag einen Herzinfarkt und hat sich „in die Ewigkeit begeben“ – so die offizielle Bekanntgabe des Todes.
Am Dienstag haben sich PolitikerInnen aus unterschiedlichen Lagern, Kommandeure der Revolutionsgarde und Tausende IranerInnen von dem greisen Politiker verabschiedet. Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei fungierte höchstpersönlich als Vorbeter beim für Muslime obligatorischen letzten Gebet. Dass er mit diesem Ritus seinen mächtigsten Kontrahenten verabschiedete, ließ er sich nicht anmerken. Khamenei schien sichtlich gerührt. Zuvor hatte er Rafsanjani als „Freund und langjährigen Wegbegleiter“ honoriert. Also kein Anzeichen der jahrelangen, meist versteckten Rivalitäten, die den Verstorbenen nach und nach ins politische Abseits gerückt hatten.
Während Khamenei das Totengebet sprach, stritten IranerInnen im Internet darüber, ob der Iran in der post-rafsanjanischen Zeit der gleiche sein werde. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Hardliner um Khamenei mit der allmächtigen Revolutionsgarde ihre Macht noch mehr ausbauen und noch härter gegen Reformen vorgehen werden. Der Tenor: Ja, sie werden es tun.
Im Internet kursieren seit Sonntagabend ununterbrochen Stellungnahmen von Rafsanjanis Fans und GegnerInnen. Das Spektrum der Bezeichnungen für den umstrittenen Politiker ist vielfältig: „Nationalheld“, „Geburtsurkunde der Revolution“, „Massenmörder“ und so fort.
Auch wenn noch nicht genau festzustellen ist, inwieweit die „rote Eminenz“* Rafsanjani bei der blutigen Niederschlagung der Opposition Anfang der 1980er Jahre, beim Aufbau der berüchtigten Revolutionsgarde und der Geheimdienste und an der Verhaftung, Folterung und Ermordung Andersdenkender direkt beteiligt war – in einem Punkt sind sich politische Beobachter einig: Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass aus der Anti-Schah-Revolution von 1979, die von religiösen und laizistischen Gruppierungen getragen worden war, am Ende eine Theokratie hervorging. Und das Berliner Kammergericht hat nach einem mehrjährigen Prozess bestätigt: Er war zumindest vorab über das Berliner Mykonos-Attentat, bei dem vier iranische Oppositionelle im Auftrag des iranischen Geheimdienstes erschossen wurden, informiert.
Der Patriarch opponiert
Die vom dem Theologen Rafsanjani maßgeblich mitgestaltete Islamische Republik sollte ein Vorbild für alle islamischen Länder werden: Ein wirtschaftlich und politisch mächtiger Staat, gebaut auf den Grundsätzen der Scharia. Stattdessen entwickelte sich der islamische Iran zu einer wirtschaftlichen Ruine. Die Regierung ist nicht einmal in der Lage, ihre Beamten pünktlich zu entlohnen. Drei Monate Gehaltsrückstand gehören heute für im Staatsdienst beschäftigte IranerInnen zur Normalität. Die Staatskasse ist fast leer. Die marode Ölindustrie, Haupteinnahmequelle des Landes, leidet unter niedrigen Ölpreisen, Vetternwirtschaft und internationalen Sanktionen.
Natürlich gefiel das dem ehrgeizigen Rafsanjani nicht. Er hatte 1989 mit dem Anspruch die Regierungsgeschäfte übernommen, die Folgen des Krieges gegen den Irak zu beheben, den Iran wirtschaftlich zu öffnen, sich allmählich mit dem Westen zu versöhnen, die Ölindustrie zu modernisieren und damit aus seiner Heimat eine Großmacht zu machen. In den acht Jahren seiner Präsidentschaft wurden dafür zwar viele Pläne geschmiedet, doch kaum einer davon wurde auch realisiert. Mitschuld an Rafsanjanis Misserfolg waren auch seine ehemaligen Wegbegleiter, die ihr Revolutionspathos noch nicht abgelegt hatten.
Einige private Pläne hat er allerdings realisieren können. Bald stieg der Rafsanjani-Clan in die erste Liga der reichsten Familien des Landes auf. Je mehr sie ihr Vermögen mit Pistazienhandel, Hotels, Fabriken, Export-Import und der Fluggesellschaft Mahan Air vermehrten, desto stärker wurden sie angefeindet. Dennoch gaben die alten Beziehungen zu Großayatollahs, Revolutionären der ersten Stunde, hohen Offizieren der Revolutionsgarde und finanzgewaltigen Bazaris dem Familienoberhaupt die Möglichkeit, bei bestimmten politischen Debatten mitzumischen.
2009 stellte sich der gewiefte Stratege hinter den Kandidaten der Reformer Mir-Hossein Moussavi und geriet so noch mehr in die Schusslinie der Kritik der Hardliner um Ayatollah Khamenei. Danach bekämpften und erniedrigten sie ihn und seine Angehörigen, wo sie nur konnten. Zu den Strafmaßnahmen gehörte die Verhaftung zweier seiner Kinder – wegen Korruption und „Aktivitäten gegen das islamische System“ – und die Ablehnung seiner Kandidatur zur Präsidentschaftswahl von 2013.
Doch der redegewandte Alt-Politiker gab nicht nach und förderte bei diesen Wahlen, gemeinsam mit Reformern und gemäßigten Klerikern, einen seiner Anhänger – den derzeitigen Präsidenten Hassan Rouhani. Mit Rouhanis Sieg erlangte Rafsanjani wieder mehr politischen Einfluss. So viel, dass politische Beobachter ihn als möglichen Nachfolger von Revolutionsführer Khamenei sahen – wohl wissend, dass Khameneis Anhänger das mit vereinten Kräften zu verhindern versucht hätten.
Nun spekulieren politische Experten ebenso wie einfache Social-Media-AktivistInnen darüber, ob Reformer und Gemäßigte ohne diese schillernde Integrationsfigur ihre Position halten können. Dem Machiavellisten Rafsanjani war es über Jahre gelungen, auch Teile der Hardliner und Revolutionsgardisten für sich zu gewinnen und so beide politische Lager halbwegs auszutarieren. Nun fürchten manche Reformer, dass sie aus den wenigen Machtzentren, die ihnen geblieben sind, verdrängt werden. Und es bestehen Zweifel darüber, ob Rouhani ohne seinen Schutzpatron in der Lage sein wird, die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Kein ernstzunehmender Analyst wagt es derzeit, Antworten auf diese Fragen zu geben, denn das Staatsoberhaupt Khamenei ist schon seit längerem gesundheitlich angeschlagen. Sein Ableben kann nahezu täglich zu neuen politischen Turbulenzen führen. Außenpolitisch befindet der Iran sich mitten in einem sich permanent wandelnden Krisenherd. Dazu kommt, dass der „Erzrivale“ USA bald von einem neuen Präsidenten geführt wird, der versprochen hat, das Atomabkommen zu kippen und die Sanktionen gegen den Iran wieder hochzufahren.
Es bleibt also abzuwarten, wie sich das Machtgefüge in der Islamischen Republik bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen am 19. Mai noch wandeln wird. Bis dahin werden beide Lager mit harten Bandagen um mehr Macht kämpfen.
FARHAD PAYAR
* Der Publizist und reformorientierte politische Aktivist Akbar Ganji hat Rafsanjani in seinen Schriften als „rote Eminenz“ bezeichnet.