Frappierend ähnlich: Todeskulte im Iran und in Russland
Mögen ihre Geschichte, ihre Religion und ihr politisches System unterschiedlich sein: Auffallend ähnlich sind Irans und Russlands Propaganda für Todeskulte, die Instrumentalisierung der Religion inklusive.
Von Ali Sadrzadeh
Haben wir es mit kommunizierenden Röhren zu tun? Kommt hier die gemeinsame lange Gewaltgeschichte zum Vorschein oder ist es einfach die momentane Kriegskultur, die wie eine höhere Gewalt die Sprache der Mächtigen und der Medien, die Gegenwart ihrer Völker und wahrscheinlich auch die absehbare Zukunft ihrer Länder prägt? Iran und Russland mögen zwei völlig unterschiedliche Länder sein, doch frappierend ist die Gleichheit der Propagandasprache für den Todeskult, die wir von den Machthabern und Medien dieser Länder hören, einerlei ob mit russischem oder persischem Vokabular.
Ende November empfingen Wladimir Putin und Ali Khamenei beinahe gleichzeitig die „Mütter der Märtyrer“ in ihren jeweiligen Residenzen. Die Audienzen in Moskau und Teheran waren nicht nur in ihrer äußeren Einfachheit vergleichbar, verblüffend waren auch die Ähnlichkeit der Wörter und Begriffe und die Gleichheit der Kriegsrechtfertigungen.
Die Agenturen gaben den Wortlaut von Putins Rede vor den versammelten Müttern der im Ukrainekrieg gefallenen Reservisten wie folgt wieder: „Wir sind alle sterblich, wir unterstehen alle dem Herrgott, werden irgendwann die Welt verlassen müssen, das ist unausweichlich. Die Frage ist, wie wir gelebt haben. Manche leben irgendwie vor sich hin ohne Ziel, aber Ihre Söhne haben etwas erreicht, sie sind nicht umsonst gestorben: Sie starben für höhere Werte, verstehen Sie?“
In Teheran hatte Khamenei fast zur gleichen Zeit nicht nur die Kinder der Gefallenen des Irakkrieges vor sich, sondern auch die Mütter jener Milizangehörigen, die bei den jüngsten landesweiten Protesten ums Leben kamen. Er sagte: „Das irdische Leben ist vergänglich. So will es Gott. Ewig ist nur das, was danach kommt. Wir müssen die Märtyrer achten. Wer versucht, dass die Märtyrer in Vergessenheit geraten, ist ein Verräter. Begreifen Sie, dass Ihre Söhne für höhere Werte fielen und dass diese Werte es sind, die unser Land am Leben erhalten?“
Ein Propagandist des eurasischen Todeskults im Iran
Als am 21. August vergangenen Jahres Darja Dugina, die Tochter von Alexander Dugin, bei einem Attentat ermordet wurde, rief ihr Vater den in der Ukraine kämpfenden russischen Soldaten zu: „Wir brauchen nur unseren Sieg. Auf dessen Altar hat meine Tochter ihr mädchenhaftes Leben gelegt. Also siegt bitte!“ Ähnlich klang er bei der Trauerfeier für seine Tochter: „Sie hat für den Sieg gelebt, sie ist für den Sieg gestorben. Sie starb für das Volk, sie starb für Russland.“
Alexander Dugin ist ein rabiater Propagandist eines eurasischen Imperiums unter russischer Führung. Er war mehrmals im Iran und verkehrte dort in akademischen Kreisen. Unmittelbar nach der Besetzung der Krim besuchte er Qom, das Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit. Dort referierte und diskutierte er mit den Ayatollahs über Politik, Kultur und Familie und erklärte ihnen, dass er dabei sei, die Naturwissenschaften zu „religionisieren“ – ein Herzensthema auch der schiitischen Geistlichkeit.
Deshalb stieß Dugin bei Mullahs und Medien auf großes Interesse. Qom sei heute die Zentrale des Kampfes gegen die Modernität, lobte er. Die Moderne sei nicht auf einen Ort oder die Gegenwart beschränkt, sie sei ein Phänomen, Ideologie, Kultur, Zivilisation, Lebensweise, Philosophie und Politik in einem. „Für mich ist die Modernität der Satan“, sagte er wörtlich.
Kein Zweifel, Dugin sprach in Qom bewusst von Satan, er wusste, dass dieses Wort in der islamischen Republik ununterbrochen und in verschiedenen politischen und kulturellen Zusammenhängen gebraucht wird. „Wir können nur mit Aufopferung gewinnen, wir müssen der jungen Generation beibringen, das Leben in der westlichen Moderne zu verachten. Auf diesem Weg hat die islamische Republik Maßstäbe gesetzt“, meinte Dugin wörtlich. Deshalb habe er in seinem wichtigsten Buch „Die Grundsätze der politischen Geographie“ ausführlich dargelegt, warum die euroasiatische Vision Russlands durch Persien verlaufen müsse, referierte Dugin bei all seinen Auftritten im Iran. Auf seiner Webseite „Arctogaea“ befasst er sich intensiv mit Beispielen für Menschenopfer im Kampf gegen die westliche Moderne.
Religion und Todeskult
Es ist nicht allein die Verachtung der westlichen Moderne, die Putin und Khamenei kulturell, politisch und militärisch zunehmend enger zusammenrücken lässt. Die Vermengung von Politik und Religion wird in ihren Ländern ähnlich sichtbar: Bei der Instrumentalisierung des Glaubens für die Tagespolitik bedienen sie sich der gleichen Sprache und auch die Jenseitsversprechen für gefallene Soldaten sind gleich. Ende November versprach der russische Patriarch Kyrill I den Soldaten, die im Krieg gegen die Ukraine fallen, dass ihnen alle ihre Sünden vergeben würden: „Wir glauben, dass das Opfer alle Sünden abwäscht, die ein Mensch begangen hat.“
Damit schließt sich der Kreis, wir sind wieder bei Putin und Khamenei und ihrer gemeinsamen Betonung des Todeskults. Dabei scheint es für sie zunächst unerheblich, woraus sich ihr jeweiliger Todeskult speist und auf welchen geschichtlichen Hintergründen ihre Propaganda gegen das irdische Dasein fußt.
Die Verehrung der Märtyrer ist für die islamische Republik konstitutiv. Seit 1300 Jahren trauert man alljährlich martialisch und mit Selbstgeißelung einen Monat lang um den ermordeten Imam Hussein, den dritten Imam der Schiiten, der als Sinnbild des Märtyrertums gilt. Die schiitische Geistlichkeit hat immer politische Ereignisse mit religiös-propagandistischen Elementen vermischt. Und tut dies heute, wo sie die unmittelbare Macht ausübt, mehr denn je. Die „Märtyrerstiftung“ der islamischen Republik ist eine der reichsten Institutionen des Landes. Es findet sich kaum ein Wirtschaftsbereich, in dem sie nicht präsent ist: vom Straßenbau bis zum Erdölexport, von privaten Schulen und Hochschulen bis zu Einkaufszentren.
Unterschiedliche Geschichte, gleiche Sprache
Doch worauf fußt der russische Todeskult? Im Erbe der tatarischen Urahnen, oder in der Resignation über die mehr als 50 Millionen Opfer von Gewalt und ihren Begleiterscheinungen zwischen 1914 und 1953? Die britische Historikerin Catherine Merridale beschreibt in ihrem hervorragenden Buch „Steinerne Nächte. Leben und Sterben in Russland“ die Tiefe dieses Todeskults, der fast eine ähnlich lange Tradition hat wie der des schiitischen Irans.
Eine lange Geschichte fast gleicher Lebensumstände unter brutalen Diktaturen im Gefolge von Revolutionen, der mangelnden Achtung der Menschen- und Bürgerrechte und der Gefühllosigkeit gegenüber Ungerechtigkeit. Auffallend gleich ist auch die Vorliebe der Oligarchen und Neureichen beider Länder für Luxusgüter der westlichen Moderne. Gleich gierig, gleich kitschig.♦
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