Ein nacktes Bild der Wahrheit

Trotz der Widrigkeiten der Corona-Krise und der oft willkürlichen Eingriffe der Zensur erscheinen in Iran weiterhin Bücher – wie die Tagebücher des von den Nazis ermordeten David Rubinowicz. Mahmoud Hosseini Zad hat das Buch übersetzt und mit Gerrit Wustmann gesprochen.

Wie kommt Teheran durch die Corona-Krise?

Mahmoud Hosseini Zad: Am 19. Februar bestätigte die Regierung die Pandemie in Iran. Mitte März hieß es, wir sollten uns vorsichtig verhalten. Dann erfuhren wir, dass das Virus schon seit Anfang Januar im Umlauf ist. Der Iran war nach China das erste Land, in dem die Infektionen stark zunahmen. Schon im Dezember soll ein chinesischer Geschäftsmann in Iran am Virus gestorben sein. Das war ein Schock. Drei Monate haben wir mit der Krankheit gelebt ohne davon zu wissen. Wegen der Parlamentswahlen und dem Jahrestag der Revolution, beide im Februar, hatte sich die Regierung erst zurückgehalten. Kurz zuvor war ich ahnungslos für einige Wochen am Kaspischen Meer, und zurück in Teheran wurde klar, dass es dort den ersten größeren Ausbruch gegeben hatte. Seitdem bin ich nur noch zu Hause.

Und es gibt Zweifel an den Zahlen. Zuletzt wurde eine Tageszeitung verboten, die darüber berichtete…

Ja, am 11. August wurde die Zeitung Jahan-e-Sanat vom Presseaufsichtsrat verboten. Der Grund war ein Interview mit einem Mitglied des Nationalen Stabs zur Corona-Bekämpfung. Die Überschrift lautete „Traue Regierungsstatistiken nicht“. In dem Interview hieß es unter anderem, nur ein Zwanzigstel der Angaben über die Corona-Lage sei wahr.

Hossein Salami, Chef der iranischen Revolutionsgarde (re.) bei der Vorstellung des "Virusdetektors"
Hossein Salami, Chef der iranischen Revolutionsgarde (re.) stellte im April einen „Coronoavirus-Detektor“ vor, der allerdings bisher nicht zum Einsatz gekommen ist! 

Gibt es denn gesetzliche Schutzmaßnahmen?

Es wird dazu aufgerufen, Masken zu tragen und Abstand zu halten, und viele halten sich daran, zumindest hier in Nord-Teheran, wo ich wohne. Seit einem Monat darf man ohne Maske nicht mehr in U-Bahnen und Busse. Auch bei Behörden gilt eine Maskenpflicht. In Cafés steht Desinfektionsmittel auf den Tischen. Auf der anderen Seite hat man lange gezögert, eine Quarantäne zu verhängen, als das Virus in der heiligen Stadt Ghom ausbrach, und auch jetzt finden religiöse Feierlichkeiten statt, trotz Pandemie. Seit März wurde gestritten, ob dieses Jahr die Aufnahmeprüfungen der Universitäten stattfinden können. Erst sind sie verschoben worden, fanden dann aber im August doch statt. Die Regierung argumentiert mit der Wirtschaft. Man könne nicht alles schließen…

Ein kompletter Shutdown könnte für die angeschlagene iranische Wirtschaft wirklich fatal sein, oder?

Ja, das wäre sehr gefährlich. Es gibt ja auch keine staatliche Unterstützung wie die Soforthilfen in Deutschland. Wer hier nicht arbeitet, der hat nichts zu essen. Die U-Bahnen sind voll, weil die Leute zur Arbeit kommen müssen.

Wie geht die Kulturszene damit um?

Kinos und Theater sind seit Juni wieder geöffnet, aber ist gibt nicht viele Besucher. Es gab Versuche mit Drive-In-Kinos, ohne großen Erfolg. Kultur hat sich stark ins Internet verlagert. Filmpremieren finden als Stream statt, es gibt viele Online-Lesungen.

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