Deutsch-iranischer Austausch: Die Perspektive wechseln

Der kulturelle und akademische Austausch zwischen dem Iran und Deutschland ist seit der Aufkündigung des Atomabkommens durch die USA erneut ins Stocken geraten. Der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad* hat untersucht, wie er wieder in Gang kommen könnte.

Von Gerrit Wustmann

Das Verhältnis zwischen dem Iran und Deutschland ist traditionell ein vorsichtig-freundschaftliches, zumindest, wenn man es mit dem Verhältnis des Iran zu anderen Ländern wie den USA, Großbritannien, Saudi-Arabien oder Israel vergleicht. Deutschland und Iran verbindet eine lange Geschichte des intensiven Austauschs, insbesondere im akademischen und kulturellen Bereich – und dafür muss man gar nicht Goethe und Hafez bemühen, die immer wieder gerne angeführt werden. Tatsächlich wird Goethe in Iran nicht nennenswert mehr gelesen als Hafez in Deutschland. Und wie viele Deutsche kennen den West-östlichen Divan?

Anders sieht es bei der zeitgenössischen Literatur aus. Während vergleichsweise viel deutsche Gegenwartsliteratur ins Persische übersetzt wird, fallen die deutschen Übersetzungen aus dem Persischen pro Jahr in der Regel deutlich geringer aus. Das iranische Interesse an Deutschland, so scheint es, ist beträchtlich größer als umgekehrt. Was sich auch am akademischen Austausch festmachen lässt: Eine mittlere vierstellige Zahl iranischer Studentinnen und Studenten verbringt einige Semester in Deutschland, in die andere Richtung ist es eine niedrige zweistellige Zahl.

Politische Gründe

Die Gründe für diese Missverhältnisse sind vielfältig – und haben viel mit Politik zu tun. Gab es unter der Präsidentschaft von Mohammed Khatami (1997 – 2005) eher mehr Annäherung und Austausch, so kam es mit Mahmoud Ahmadinedschad (2005 – 2013) zu Stillstand und Isolation, auch wenn Deutschland den harten Kurs gegenüber Iran im Atomkonflikt nie zur Gänze mitgetragen hat.

Mit der Präsidentschaft Hassan Rouhanis (seit 2013) und dem 2015 nach langem und zähem Ringen erreichten Abkommen wurde auf beiden Seiten ein Neubeginn verbunden, eine Wiederannäherung nach schwierigen Zeiten. Dieser Annäherung widmet sich der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad in seiner unlängst publizierten Studie „The Politics of Culture in Times of Rapproachement. European Cultural and Academic Exchange with Iran (2015-16)“.**

Die Studie bezieht sich auf die Zeit vor dem diplomatischen Amoklauf von US-Präsident Donald Trump, der das Atom-Abkommen 2018 einseitig aufkündigte und härtere Sanktionen als zuvor gegen den Iran installierte, was das Verhältnis zwischen Iran und den USA erneut nachhaltig zerrüttete und den Iran in eine Wirtschaftskrise gestürzt hat. In ihren Vorworten zu Fathollah-Nejads Studie lassen der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan und der Wissenschaftler Arshin Adib-Moghaddam allerdings anklingen, dass es trotz dieser Entwicklung durchaus Chancen auf Austausch und Annäherung gibt – gerade in Bezug auf Deutschland, das den US-Kurs nicht mitträgt und nach europäischen Lösungen sucht.

Doch gänzlich frei von Misstrauen ist auch die iranische Seite verständlicherweise nicht, wie Adib-Moghaddam feststellt: „Europa kann nicht Invasionsarmeen im Jemen, in Syrien und anderswo mit Waffen versorgen und sich zugleich für Menschenrechte und Umweltfragen engagieren.“ Ein Missverhältnis, das Bahman Nirumand in einem Aufsatz von 2012 mit „Menschenrechte als Alibi“ betitelte und das ein Vorbehalt ist, den auch die arabische Welt gegenüber der EU hegt. Einen Akteur ernstzunehmen, der Menschenrechtsverletzungen im Iran anprangert, sie beim Partner Saudi-Arabien aber gleichzeitig weitgehend ignoriert, fällt schwer. 

Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu Besuch beim Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman
Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu Besuch beim Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman

Komplexität der iranischen Zivilgesellschaft

Fathollah-Nejad untersucht den deutsch-iranischen akademischen und kulturellen Austausch einerseits an handfesten Zahlen, betrachtet aber insbesondere auch die zahlreichen Konfliktfelder und stellt Überlegungen dazu an, wie sie sich aufbrechen lassen. Ein zentraler Faktor dabei: der Perspektivwechsel. Der deutsche Blick auf den Iran ist bis heute zu sehr von deutschen Interessen einerseits, von Klischees und Orientalismen andererseits geprägt. Die Vielfalt und Komplexität der iranischen Zivilgesellschaft und ihrer Akteure wird zu selten gesehen. Ein Beispiel: Zwar stimmt es, dass formal rund neunzig Prozent der Iraner dem schiitischen Islam angehören, dass Sunniten, Christen, Juden und weitere Religionsgemeinschaften Minderheiten sind. Dem ganzen Land aber den Shia-Stempel aufzudrücken und dies als Grundsatz des gegenseitigen Umgangs zu betrachten, greift zu kurz und verkennt die Realitäten.

Fathollah-Nejad plädiert für einen zivilgesellschaftlichen Austausch, der die unterschiedlichen Sektoren der iranischen Zivilgesellschaft zur Kenntnis nimmt, anstatt sie starr in Regimeanhänger und Regimegegner aufzuteilen, was ebenfalls zu kurz greift. Und er plädiert dafür, die Tatsache anzuerkennen, dass Sanktionen für einen Prozess von Öffnung, gar Demokratisierung völlig kontraproduktiv sind, da sie bestehende Machtverhältnisse nicht nur zementieren, sondern die gesellschaftliche Spaltung noch verschärfen – etwa, indem die Mittelschicht erodiert und sich jene, die die Abneigung des Regimes gegen Europa und die USA teilen, bestätigt fühlen, während staatsferne Akteure im akademischen und kulturellen Sektor es zunehmend schwer haben.

Fathollah-Nejads Fazit: „Es ist essentiell, ein Sanktionsregime zu beenden, das sich als zutiefst kontraproduktiv in Bezug auf den Einsatz für Demokratie erwiesen hat.“ Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Hardlinerfraktion ein Ende der Sanktionen und eine Öffnung des Landes eher fürchtet, weil damit für sie zwangsläufig ein Machtverlust einherginge – was insbesondere mit Blick auf die Wahlen 2021 zu berücksichtigen ist.

Vor diesem Hintergrund bleibe, so der Autor, der Austausch ein Drahtseilakt, bei dem es darauf ankomme, die große Diversität der pluralistischen iranischen Gesellschaft einzubeziehen, und „nicht in die Falle einer ‚autoritären Stabilität‘ zu gehen durch Projekte, die staatsnahe Gruppen gegenüber der Zivilgesellschaft bevorzugen“. Außerdem könne der zivilgesellschaftlich-kulturelle Austausch eher bilaterale Erfolge erzielen als der politische, der von roten Linien und verminten Themengebieten besetzt sei: „Manchmal, wenn die deutsche Seite über Politik sprechen möchte, besteht der iranische Repräsentant darauf, stattdessen über Kultur zu sprechen.“

Barrieren im deutsch-iranischen Austausch gebe es aber längst nicht nur auf iranischer Seite: Die Deutschen ihrerseits erschwerten den Austausch schon durch ihre sehr restriktiven Visa-Regelungen – wie jeder weiß, der schon einmal versucht hat, iranische Künstler*innen für Veranstaltungen nach Deutschland einzuladen. Das ist ein Faktor, der für viel Frustration sorgt, was gut nachvollziehbar ist.

Ali Fathollah-Nejads Studie analysiert knapp, kenntnisreich und zielgerichtet, wo die Probleme im deutsch-iranischen akademischen und kulturellen Austausch liegen, wie dieser oftmals von Politik verhindert wird und welche Aspekte man beachten sollte, damit eine (Wieder-)Annäherung erfolgreich sein kann. Unterm Strich identifiziert der Autor auf zahlreichen Ebenen Chancen und Möglichkeiten, die ergriffen werden können. Wenn die Akteure in beiden Ländern offen und bereit dazu sind. ♦

© Iran Journal

*Eine Korrektur von Ali Fathollah-Nejad: Leider wurde die zitierte Stelle in Bezug auf Sanktionen ungenügend kontextualisiert, was auch anscheinend bei machen LeserInnen zur Konfusion geführt hat. Der Satz stammt nämlich aus der in der Studie enthaltenen Analyse der „Dreiecksbeziehung“ zwischen Geopolitik (USA), autoritärem Staat und Zivilgesellschaft im Zuge der Atom-Annäherung, wo ich über die Erwartungen spreche:
„Finally, it has been deemed essential to end a sanctions regime that has been utterly counterproductive when it comes to the promotion of democracy. Now that these demands seem to have been largely met with the conclusion of the Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), uncertainty remains whether the desired or even expected results have materialised in its wake. These expectations foremost included détente both in Iran’s international and domestic politics, the latter involving more space for civil society as well as a cultural opening.“
Im nächsten Abschnitt wird die Dreiecks-Dynamik unter Rouhani dargestellt. In Kürze: Sanktionsaufhebung hat eben nicht zu größeren zivilgesellschaftlichen Räumen geführt – das wird an zahlreichen Zitaten aus der Zivilgesellschaft belegt. Denn aufgrund des Ausbleibens ausländischem Drucks, hat der nunmehr finanziell aufatmende Staat „business as usual“ – intern und regional – fortgesetzt.
Vor einem Jahr habe ich in Foreign Affairs in Kürze meine aktuelle Analyse formuliert:
„While the academic literature on sanctions is quite clear that they barely achieve their stated goals, given the multifacetedness of the matter—not least the nature of conflict and of the sanctioned country—a case-to-case study imposes itself. In the case of Iran, which has felt the brunt of U.S. extraterritorial sanctions, assessments on their effectiveness have starkly varied. In fact, the Iranian example offers grounds to argue in contrasting ways: Sanctions are counterproductive for conflict resolution, as they harden the opposing fronts, thus making a diplomatic settlement less likely. Or they are ultimately successful when their imposition massively tarnishes the sanctioned state’s revenues, forcing the country to provide concessions. In this vein, Iran during U.S. President Barack Obama’s “crippling sanctions” ultimately agreed to severely limit its nuclear program, and more recently we have seen signs of an Iranian outreach to President Donald Trump (as witnessed during Foreign Minister Javad Zarif’s U.S. trip). In brief, it seems the Islamic Republic can for years commit to its revolutionary rhetoric of resisting such pressures, but when state survival might be at stake “the cup of poison” to engage with the “Great Satan” will be drunk—in other words, there seems to be a threshold after which sanctions yield results. Meanwhile, sanctions remain largely detrimental to state-society relations, with the authoritarian state successfully externalizing, materially and discursively, the costs of sanctions onto the civilian population.“
https://www.foreignaffairs.com/ask-the-experts/2019-06-11/harmful-us-sanctions-strategy

Last but not least, hier noch 2 Hinweise in Bezug auf die Studie: 1) Interview über die vorläufigen Ergebnisse der Studie: https://de.qantara.de/inhalt/deutsch-iranischer-kulturaustausch-politik-der-kleinen-schritte; 2) Politikempfehlungen (s. auch das Ende der Studie): https://www.brookings.edu/research/cultural-and-academic-relations-between-iran-and-the-west-after-the-nuclear-deal-policy-recommendations/

**Die Studie von Ali Fathollah-Nejad ist hier erhältlich.

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