Irans Zukunftsgestalter*innen

Sepideh Gholian, auch Qolian genannt, ist eine iranische Journalistin, die 1994 in der Stadt Dezful, Provinz Khuzestan, geboren wurde. Dezful gilt aufgrund der Protestbereitschaft seiner Bewohner*innen seit jeher als Hauptstadt des Widerstandes. Gholian setzt sich primär für frauen- und arbeitsrechtliche Themen ein und ist deshalb eng mit iranischen Gewerkschaften verbunden. Am 20. Januar 2019 wurde sie verhaftet und später zu fünf Jahren Haft verurteilt. Vom 19. August bis zum 11. Oktober 2021 war Gholian im Hafturlaub und setzte ihre Aktivitäten fort. Am 11. Oktober wurde sie erneut verhaftet und ins Gefängnis gebracht.

Narges Mohammadi ist Menschenrechtsaktivistin, politische Gefangene, ehemaliges Mitglied des reformorientierten “Hohen Politischen Rat” der landesweiten “Union Islamischer Vereinigungen und Studentenorganisationen” sowie Vizepräsidentin und Sprecherin der “Defenders of Human Rights Association”. Als Journalistin veröffentlichte sie Artikel zu Frauen- und Studierendenthemen und Menschenrechtsfragen. Sie wurde am 8. Oktober 2020 nach fünfeinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, setzte ihre Aktivitäten fort und wurde am 23. Mai 2021 wegen „Propaganda gegen das Regime“, „Rebellion gegen die Gefängnisverwaltung“, “Verleumdung” und „Glasbruch“ zu 80 Peitschenhieben und 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Haftstrafe trat sie im November 2021 an.

Nasrin Sotoudeh ist wohl die prominenteste Frauen- und Menschenrechtlerin im Iran. Sie schloss 1995 ihr Jurastudium ab, musste aber acht Jahre auf ihre Zulassung als Anwältin warten. Daher arbeitete sie zunächst als Journalistin und schrieb für reformorientierte Zeitungen vor allem über Frauenrechte. Am 22. September 2010 wurde sie verhaftet und befand sich mehrfach im Hungerstreik. Am 9. Januar 2011 wurde sie wegen angeblicher „Angriffe auf die nationale Sicherheit“, „Propaganda gegen die Staatsführung“, Mitgliedschaft im Zentrum der Menschenrechtsverteidiger und Verstoßes gegen die islamischen Kleidervorschriften zu elf Jahren Haft verurteilt und zusätzlich mit 20 Jahren Berufs- und Ausreiseverbot belegt. Am 18. September 2013 wurden sie und ein Dutzend andere politische Gefangene vorzeitig aus der Haft entlassen. Am 13. Juni 2018 erhielt sie in Abwesenheit erneut eine Haftstrafe von fünf Jahren. Zuvor hatte Sotoudeh zwei junge Frauen verteidigt, die öffentlich gegen das gesetzlich vorgeschriebene Kopftuch protestiert hatten und inhaftiert worden waren. Am 6. März 2019 wurde Sotoudeh zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Von der Haftzeit muss sie mindestens 12 Jahre absitzen.

Vida Movahed, bekannt als “das erste Mädchen der Revolutionsstraße”, hatte sich am 27. Dezember 2017 auf einen Stromkasten in der Teheraner Revolutionsstraße gestellt, um gegen den Kopftuchzwang zu protestieren. Am 29. Oktober 2018 stand sie auf dem Platz der Revolution und hielt eine Reihe farbiger Luftballons in der Hand, woraufhin sie erneut festgenommen und später zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Zuvor waren weltweit Bilder und Videos des Mädchens mit den Luftballons in den sozialen Medien gepostet worden. Nach Movahed protestierten andere Frauen mit ähnlichen Aktionen: Narges Hosseini, Azam Jangarvi, Maryam Shariatmadari und Shaparak Shajarizadeh gehören dazu. Die symbolische Aktion der „Revolution Street Girls“ gegen den erzwungenen Hijab wurde von vielen Menschenrechtsorganisationen innerhalb und außerhalb des Irans unterstützt.

Masih Alinejad (bürgerlicher Name: Masoumeh Alinejad Qomi) ist Journalistin, Schriftstellerin, Fernsehmoderatorin und iranisch-amerikanische Aktivistin für Frauenrechte. Sie gründete die Bewegungen „Sneaky Freedom“ und „White Wednesday“ zur Abschaffung des Schleierzwangs im Iran. “Stealth liberties” ist eine von ihr betriebene Facebook-Seite, auf der iranische Frauen Fotos von sich posten und über ihre eigenen Erfahrungen mit den im Iran geltenden Kleidervorschriften sprechen. Viele Frauen und Mädchen veröffentlichen dort Bilder, die sie ohne Kopftuch an öffentlichen Orten zeigen. Die weiße Mittwoche sind eine weitere, 2017 von Alinejad ins Leben gerufene Kampagne zur Bekämpfung des erzwungenen Hijab. Mädchen und Frauen, die in der Öffentlichkeit ihren Schleier abnehmen, senden Bilder und Videos an Masih Alinejad, die diese in den sozialen Medien verbreitet. Einige dieser Videos erreichten mehr als eine halbe Million Aufrufe. Alinejad beschreibt ihre Rolle als Mitwirkende an der Kampagne, nicht als Anführerin einer Bewegung. Sie ist dennoch zu einer Leitfigur der Frauenbewegung gegen den Schleierzwang geworden.

Die U-Bahn-Feen

Yasman Ariani veröffentlichte am 8. März 2019, dem Internationalen Frauentag, ein Video von sich und ihrer Mutter Monira Arabshahi, in dem sie verschleierten Frauen in der Teheraner U-Bahn Blumen schenken. Im Anschluss an diese Aktion wurde Ariani am 12. April in Karaj festgenommen. Ihre Mutter, die am selben Tag in die Teheraner Haftanstalt gegangen war, um sich nach ihrer Tochter zu erkundigen, wurde dort sofort ebenfalls festgenommen. Ihr Gerichtsprozess fand ohne anwaltliche Vertretung statt.

Die Teheraner U-Bahn wird immer wieder von Frauen für ihre Proteste benutzt – hier singen Frauen ohne Kopftuch am internationalen Frauentag ein Solidaritätslied:

Saba Kordafshari ist Bürgerrechtsaktivistin und politische Gefangene. Am 10. Juli 2009 wurde ihre Mutter Raheleh Ahmadi festgenommen und unter Anklagen wie „Propaganda gegen das Regime“, „Zusammenarbeit mit dissidenten Medien“ und „Anstiftung zu Korruption und Prostitution“ inhaftiert. Berichten zufolge zielte ihre Festnahme darauf ab, Saba Kordafshari zu einem Geständnis vor laufender Kamera zu drängen. Sie wurde später gegen Kaution freigelassen, ihre Mutter zu vier Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde später auf 31 Monate reduziert.

Shirin Ebadi studierte Jura an der Universität von Teheran und wurde mit 29 Jahren als eine der ersten iranischen Frauen zur Richterin berufen. Nach der islamischen Revolution musste sie von diesem Amt zurücktreten und arbeitete als Rechtsanwältin. Sie ist Gründerin und Rechtsberaterin des Vereins zum Schutz der Kinderrechte im Iran. Zudem engagiert sie sich für eine neue Interpretation des Islamischen Rechts, um es mit fundamentalen Menschenrechten wie Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens- und Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen. Als Rechtsanwältin vertrat sie die Angehörigen der Schriftsteller und Intellektuellen, die in den Jahren 1999 und 2000 ermordet worden waren. Sie verteidigte auch Frauenrechtlerinnen, die wegen ihrer Teilnahme an einer Berliner Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 inhaftiert wurden. Ihr Einsatz zur Förderung der Bürger*innen- und Menschenrechte im Iran wurde 2003 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. Am 21. Dezember 2008 wurde ein Menschenrechtszentrum in Teheran, das Ebadi gemeinsam mit Abdolfattah Soltani leitete, von den iranischen Behörden mit der Begründung geschlossen, es betreibe Propaganda gegen das System. Seit Ende 2009 lebt Shirin Ebadi im Exil in Großbritannien. Von dort aus setzt sie ihre Menschenrechtsaktivitäten fort.

Mehrangiz Kar ist Anwältin, Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin. Sie kämpfte in den 1990er Jahren für Frauen- und Kinderrechte, wurde 2000 verhaftet und lebt seit 2001 in den USA. Ihre Artikel in der von einer muslimischen Feministin herausgegebenen Frauenzeitschrift Zanan artikulierten den Kampf für Gleichberechtigung in einer damals einzigartigen persischsprachigen Frauenzeitschrift. In den 1990er Jahren begann Kar, eine Reihe von Büchern zu schreiben, in denen sie die verschiedenen Aspekte der Diskriminierung von Frauen analysiert. 1997 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel „Politische Rechte iranischer Frauen“, in dem sie kritisierte, dass iranische Frauen keine gesetzlichen Rechte gegenüber ihren Kindern hätten. Im April 2000 nahmen Kar und sechzehn weitere prominente reformorientierte iranische Intellektuelle und Aktivist*innen an einer Konferenz über die iranische Reformbewegung teil, die von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin organisiert wurde. Auf dieser Konferenz sprach sie sich für eine Verfassungsreform und den Säkularismus aus. Als sie am 20. April 2000 in den Iran zurückkehrte, wurde sie festgenommen. Im Gefängnis erkrankte Kar an Krebs. Auf Druck der Europäischen Union ließ die iranische Regierung sie nach 53 Tagen gegen Kaution frei. Sie wurde im Iran operiert und einer Chemotherapie unterzogen. Am 13. Januar 2001 wurde sie wegen „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“, „Verbreitung von Propaganda gegen das Regime der Islamischen Republik“ und „Verstoß gegen die islamische Kleiderordnung“ zu vier Jahren Haft verurteilt. Ihre Gesundheitsprobleme veranlassten jedoch die Administration unter dem Reform-Präsidenten Mohammad Khatami, zu intervenieren. Kar wurde aus der Haft entlassen und verließ den Iran zur weiteren medizinischen Behandlung im Juli 2001.

Drei aus den Reihen des „Systems“

Der Journalist und Autor Mohammad Nourizad arbeitete früher für die konservative Zeitung „Kayhan“ und war jahrelang einer der wichtigsten Unterstützer des islamischen Systems. Nach und nach entwickelte er sich aber zu einem radikalen Gegner der religiösen Herrschaft im Iran. Nach den gefälschten Wahlen im Juni 2009 begann er, die Regierung und den “Obersten Führer” zu kritisieren, und wurde daraufhin mehrmals festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Er wurde erneut festgenommen, nachdem er im Juni 2019 die Erklärung von vierzehn politischen und zivilen Aktivisten für den Übergang von der Islamischen Republik in ein demokratisches System unterzeichnet und den Rücktritt von Ali Chamenei gefordert hatte. Am Februar 2020 wurde er wegen „Gründung einer illegalen Gruppe“ und “Propaganda gegen den Staat“ zu 15 Jahren Haft und drei Jahren Exil in einer abgelegenen Stadt sowie einem dreijährigen Ausreiseverbot verurteilt.

Auch Heshmatollah Tabarzadi war ursprünglich ein überzeugter Unterstützer der Islamischen Republik, wurde jedoch später zu einem radikalen Kritiker ihrer Führung. 1997 kandidierte er für das Amt des Staatspräsidenten, wurde aber vom Wächterrat der Verfassung abgelehnt. Er gehörte in den 1980er Jahren zu den ersten Mitgliedern des universitären “Büros zur Festigung der Einheit”, “Daftare Tahkime Vahdat”. 1985 trennte er sich von dieser Gruppe und gründete die „Union islamischer Vereinigungen der Studenten und Absolventen von Universitäten und Hochschulen“. Tabarzadi war zugleich Chefredakteur mehrerer studentischer Zeitschriften iranischer Universitäten. Im Sommer 1999 wurde er festgenommen und in der Haft schwer misshandelt. Er gründete verschiedene politische Organisationen, darunter die “Demokratische Front Irans”, deren Generalsekretär er ist. Am 27. Dezember 2009 wurde Tabarzadi wieder festgenommen. Im Oktober 2010 verurteilte ihn ein Revolutionsgericht wegen “Verstoßes gegen die nationale Sicherheit und Beleidigung des Obersten Führers” zu neun Jahren Gefängnis und 74 Peitschenhieben. Interessanterweise wurden der verurteilte Tabarzadi und andere immer wieder in den Hafturlaub geschickt, um bei kritischen Meinungsäußerungen wieder ins Gefängnis gerufen zu werden. Tabarzadi wurde zuletzt am 29. Oktober 2019 von Sicherheitskräften festgenommen, als er nach Shiraz reiste, um an der Zeremonie zum „Cyrus-Gedenktag“ teilzunehmen.

Qassem Sholeh Saadi war im Revolutionsjahr 1979 24 Jahre alt und ein begeisterter Befürworter der Revolution. Eine Zeit lang war der Jurist stellvertretender Leiter der Abteilung, die die Arbeit des Haager Tribunals zu Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Iran und den USA bearbeitete. In der dritten Wahlperiode der Islamischen Republik vertrat er als Abgeordneter seine Wähler*innen in der Stadt Shiraz. In den folgenden Wahlperioden des Parlaments wurde er jedoch vom Wächterrat als “ungeeignet” disqualifiziert. Er verteidigte als Rechtsanwalt mehrere oppositionelle politische Persönlichkeiten vor Revolutionsgerichten. In den Jahren 2011 und später erhielt Saadi wegen diverser kritischer Schreiben an die Führung der islamischen Republik Haftstrafen von insgesamt siebeneinhalb Jahren.

Schlusswort

Das islamische Regime im Iran hat sich durch seine Doktrin, das öffentliche Leben im Iran und in der Region zu islamisieren, innen- und außenpolitisch selbst in die Isolation getrieben. Ob es sich daraus befreien kann oder daran zugrunde geht, wird die nahe Zukunft zeigen. Sollte Letzteres zutreffen, werden die oben genannten Akteur*innen eine entscheidende Rolle in der Neugestaltung der Politik und der Gesellschaft des Iran spielen – vorausgesetzt, sie werden nicht wie Tausende andere Aktivist*innen hingerichtet oder in den Gefängnissen gesundheitlich so ruiniert, dass sie die Islamische Republik nicht überleben. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass selbst in einem solchen Fall neue Eliten aus dem beständigen Kampf gegen die Tyrannei und für Freiheit und Gleichberechtigung aller hervorgehen werden.

*Kian Tabrizi ist das Pseudonym eines der renommiertesten politischen Analysten des Iran. Er schreibt unter verschiedenen Namen für unterschiedliche Medien.

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