Gohar Eshghi, ein Symbol des Widerstands gegen Unrecht
Die Mutter des im November 2012 im Teheraner Evin-Gefängnis getöteten regimekritischen Bloggers Sattar Beheshti wurde vor wenigen Tagen mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Über die Ursache ihrer Verletzungen wird in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert: Hat die Islamische Republik wieder einmal versucht, eine Gegnerin zum Schweigen zu bringen?
Von Farhad Payar
Manche Menschen werden aus erfreulichen Gründen berühmt, andere durch ihre Gräueltaten, wiederum andere durch ihren Kampf für die Gerechtigkeit. Gohar Eshghi gehört zu den Letzteren. Ihr Kampf begann Anfang November 2012, als man ihr die Nachricht über den Tod ihres Sohnes Sattar Beheshti überbrachte. Sattar war ein einfacher Arbeiter und hatte sich mit einem politischen Blog einen Namen gemacht. Darin kritisierte er unverblümt die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zustände im Iran und betonte dabei immer wieder, wie sehr ihm das Land am Herzen liege.
Am 29. Oktober 2012 schrieb er seinen letzten Blogeintrag: „Gestern haben sie (die Sicherheitskräfte, IJ) mich gewarnt: Sag deiner Mutter, sie soll ihre Trauerkleidung vorbereiten, weil du deinen Mund nicht hältst. Ich sagte: Ich habe nichts getan, wofür ich meinen Blog schließen müsste.“ Einen Tag später wurde der Blogger festgenommen und eine Woche später musste seine Mutter Gohar Eshghi tatsächlich Trauerkleider tragen: Sattar war im Gefängnis infolge schwerer Folter gestorben.
Ein ungleicher Kampf
Das war der Beginn eines Kampfes, der bis heute andauert. Gohar Eshghi fordert seither die lückenlose Aufklärung der Todesumstände ihres Sohnes und spricht darüber mit internationalen Medien – offizielle Medien im Iran ignorieren sie. Sie bezeichnet dabei Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Chamenei als den eigentlichen Verantwortlichen für die Ermordung ihres Sohnes.
Der Staat versucht seinerseits mit allen Mitteln, sie zum Schweigen zu bringen. Die letzte Aktion des Sicherheitsapparates war die vorübergehende Verhaftung von Gohar Eshghi und einiger Mitglieder ihrer Familie Anfang November. Der in den USA lebenden Journalistin Masih Alinejad erzählte Eshghi danach: „Sie durchwühlten die Wohnung und nahmen uns mit. Sie verhörten uns die ganze Nacht und forderten uns auf, die Sattar-Stiftung aufzulösen.“ Doch die Stiftung sei das Eigentum des Volkes, sie werde sie niemals auflösen. Die Stiftung wurde nach Sattars Tod von seiner Familie und seinen Freunden gegründet.
Am 9. Dezember wurde Gohar Eshghi mit Verletzungen an Gesicht und Kopf in ein Teheraner Krankenhaus eingeliefert. Nach ihren Angaben hatten zwei Männer auf einem Motorrad sie angegriffen, einer von ihnen habe sie auf den Boden geworfen. In einem Video erzählt die 70-Jährige: „Ich wurde ohnmächtig, und als ich wieder zu mir kam, lag ich im Krankenhaus.“ Die paramilitärischen Kräfte der Islamischen Republik sind als „Motor-savar“ (Motorradfahrer) bekannt.
Die Nachricht über den Vorfall verbreitete sich im Internet viral und zwang sogar einige einflussreiche Stellen der Islamischen Republik zur Reaktion, etwa die der Revolutionsgarde nahestehende Nachrichtenagentur Fars. Sie verlangte die Aufklärung des Falls – um ein paar Tage später zu schreiben: „Die Wahrheit kommt jetzt ans Licht – ein weiterer Skandal für die Konterrevolution“.
Fars veröffentlichte einen Beitrag der Nachrichtenagentur des staatlichen Rundfunks, der nicht im Fernsehen ausgestrahlt worden war. Er soll belegen, dass Eshghi nicht angegriffen worden, sondern aus eigener Schwäche gestolpert sei und sich dabei verletzt habe. Das Video wurde von den Anhänger*innen der Islamischen Republik innerhalb und außerhalb des Iran verbreitet. Sie wiederholen Fars‘ Angaben und beschuldigen die Gegner des Regimes, Gohar Eshghi für ihre Ziele zu missbrauchen.
Brandneue Kameras?
Vier am Tatort angebrachte Überwachungskameras, die den Vorfall aufgenommen haben sollen und deren Aufzeichnungen in dem Beitrag als Beweismaterial genutzt werden, liefern Stoff für zahlreiche Fragen, die rgeimekritische Aktivist*innen in den sozialen Netzwerken stellen: „Wie kommt es, dass ausgerechnet in dieser Gasse so viele Überwachungskameras an einem Ort installiert sind?“ „Sind die Überwachungskameras einer Baustelle nicht viel schmutziger als diese im Film?“ „Warum sind die Kameras so sauber, obwohl in Teherans Süden die Luftverschmutzung über Nacht Autos dunkler färbt?“
Manche User*innen erinnern an frühere „Fake-Videos“ des Staates, etwa eins, das zeigen sollte, dass Neda Agha-Soltan bei den Massenprotesten im Iran im Jahr 2009 nicht von Sicherheitsbeamten, sondern von einer Demonstrantin erschossen worden sei. Oder ein Video, das die Hinrichtung des regimekritischen Sportlers Navid Afkari rechtfertigen sollte.
Der Rapper Tumaj Salehi, im September dieses Jahres wegen seiner kritischen Lieder verhaftet und später auf Kaution freigelassen, bezichtigt die staatliche Rundfunkanstalt IRIB der Lüge, denn bei dem „Unfall“ in dem TV-Beitrag sei nirgends das Gesicht von Gohar Eshghi zu sehen – außer nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Der Dokumentarfilmer Khashayar Mostafavi vermutet anhand der Qualität und der Weitwinkeleinstellung, dass die Aufnahmen in dem TV-Beitrag mit einer „GoPro-Kamera 5 oder 6“ gemacht worden sein könnten und nicht mit den gezeigten Überwachungskameras. Er schreibt in einem Tweet: „Regie und Darstellungskunst sind miserabel.“
Keine Angst, vor nichts!
Im Gespräch mit der Journalistin Masih Alinejad beschuldigt Gohar Eshghi das islamische Regime der Lüge und betont, sie sei auf dem Weg zum Friedhof gewesen und nicht zu einem Impfzentrum, wie in dem TV-Beitrag behauptet wird. Sie habe ihre beiden Impfungen im Sommer bekommen, erklärt sie und fragt: „Warum hat man nicht die Kameras im Gefängnis überprüft, um zu sehen, wer meinen Sohn getötet hat? Warum gab es keine Videoaufnahmen von der Tötung zahlreicher junger Menschen bei den Straßenprotesten? Ich habe vor nichts Angst, nicht vor einem Motorrad oder einem Auto oder etwas anderem.“
Bei Eshghis letzter Verhaftung soll ihr ein Sicherheitsbeamter gesagt haben: „Manche Menschen sterben im Gefängnis, und manche auf der Straße durch einen Unfall.“
Mehr zu diesem Thema:
PEN zeichnet getöteten Blogger aus