Iran-Proteste:
Offener Brief der Kulturschaffenden an Außenministerin Baerbock
Die Proteste im Iran reißen nicht ab. Parallel dazu steigt der Druck auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), praktische Schritte gegen die Tötungen und Verhaftungen von Protestierenden zu unternehmen. Auch die Unterstützung eines „Regime-Lobbyisten“ sorgt für Kritik.
Neben Nachrichten über die Solidaritätskundgebungen in deutschen Städten macht unter Diaspora-Iraner:innen im deutschsprachigen Raum gerade eine Petition in Form eines offenen Briefs an die grüne Außenministerin Annalena Baerbock die Runde – von dem deutsch-iranischen Filmemacher Ali Samadi Ahadi initiiert und bis Freitagabend von etwa 2.500 Menschen unterschrieben. Die Unterzeichner:innen weisen darauf hin, dass es bei den inzwischen 28 Tage dauernden landesweiten Protesten im Iran „längst nicht mehr nur um die Aufklärung des Mordes an Mahsa Amini“ gehe, sondern um eine Abschaffung des Islamischen Regimes: „Sie wollen es schon lange nicht mehr. Aber nun stellen sich Frauen wie Männer den Kugeln aus dem Gewaltapparat des Regimes entgegen und leisten erbitterten zivilen Widerstand.“
In dem Brief wird auch auf die „Erstürmung der Universitäten und Verhaftung von schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen, die Verletzung von Tausenden mit Schrot- oder gar Militärmunition oder die Tötung von laut IHRO 201 Menschen (davon 21 Minderjährige)“ hingewiesen.
Die Unterzeichner*innen betonen, dass „das iranische Volk ein starker natürlicher Partner des Westens in der Region“ sei – und nicht das Regime. Deshalb verlangen sie von Baerbock, die Atomverhandlungen mit Teheran „nicht um jeden Preis“ fortzuführen. Die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte im Iran solle zur Voraussetzung einer Fortführung werden, „denn ein demokratischer Staat, der die Rechte und die Interessen seines Volkes achtet, wird sicherlich am Frieden mit den Nachbarn mehr Interesse haben als an einem aufgebauschten Feindbild.“ Außerdem solle die Außenministerin den Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen suchen und dafür sorgen, dass gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen im Iran verhängt sowie der Zugang der Iraner:innen zum Internet mit dem Einsatz von Hard- und Software und von VPN-Strukturen unterstützt werden. Die Unterzeichner des Offenen Briefes bitten Baerbock, den Menschen im Iran praktische Hilfe zu leisten, denn „ihre Stimme zu hören und hinzuschauen reicht nicht“.
Zu den Erstunterzeichner*innen gehören auch Parastou Forouhar (Künstlerin), Katja Riemann, Jasmin Tabatabai, Caroline Schreiber, Marie Burchard, Melika Foroutan, Rafik Schami (Schriftsteller), Lavinia Wilson, Pegah Ferydoni, Narges Rashidi (Schauspielerinnen), Pro Quote Film, Akbar Behkalam (Maler), Kani Alavi (Maler), Siba Shakib (Autorin), Stefan Kurt, Kida Ramadan und Mohammad Farrokhmanesh (Filmproduzent).
Nasiabad, eines der ärmsten Viertel Teherans, am Mittwochabend. Demonstranten in allen Städten des #Iran versammeln sich nicht an 1 Ort, sondern an unterschiedlichen Ecken. Manchmal dauert 1 Protest nur Minuten. Eine neue Taktik. #IranProtests #IranProtests2022 #Mahsa_Amini pic.twitter.com/0zwua5WqoT
— Iran-Journal (@iran_journal) October 12, 2022
Zuvor hatten etwa 200 Universitätsprofessor*innen und -dozent*innen aus Deutschland, Schweden und der Schweiz die deutsche Außenministerin bereits zu konkreter Unterstützung der Proteste im Iran aufgerufen. Deutschland solle als wichtigster europäischer Handelspartner des Iran und zentraler Akteur bei den Atom-Verhandlungen mit der Islamischen Republik seinen politischen Handlungsspielraum gegenüber dem Iran nutzen und mit aller Entschiedenheit darauf hinwirken, dass das Regime die gewaltsame Niederschlagung der Proteste einstelle, forderten die Unterzeichner*innen in einem offenen Brief an Baerbock.
Ein „Lobbyist des Regimes“ im Fokus der Öffentlichkeit
Auch ein Artikel der Bild-Zeitung zog in den letzten Tagen die Aufmerksamkeit der Diaspora-Iraner:innen in den Sozialen Netzwerken auf sich. Darin werden die „Differenzen zwischen der Hausleitung und Beamten“ in der für den Nahen Osten zuständigen Abteilung des Bundesaußenministeriums (AA) bezüglich der Islamischen Republik Iran thematisiert. Nach Bild-Informationen werde in der Abteilung 3 des Ministeriums ein Machtwechsel im Iran als „Katastrophe“ eingeschätzt, die die „Instabilität in der gesamten Region“ zur Folge haben könne: „Dabei sind es vom Iran kontrollierte Milizen, die im Libanon, Jemen, Irak und Syrien Terror verbreiten und für Instabilität sorgen“, schreibt die Bild-Zeitung. Sie kritisiert das AA auch wegen der „Unterstützung des Regime-Lobbyisten“ Adnan Tabatabai. Dieser habe die Aufgabe, „die Bundesregierung zu einer Kooperation mit dem Regime im Iran zu bringen und dabei die iranische Opposition zu diskreditieren, die eine Veränderung in Richtung Demokratie will“, zitiert Bild Ulrike Becker vom Berliner Thinktank Mideast Freedom Forum. Tabatabais Think-Tank „Carpo Bonn“ soll allein für sein aktuelles Projekt 900.000 Euro vom Auswärtigen Amt bekommen haben.
Unterdessen hat Außenministerin Baerbock die Gewalt gegen Protestierende im Iran scharf kritisiert und Sanktionen gegen die Machthaber des islamischen Regimes angekündigt. Sie traf am Montag auch die Journalistinnen Golineh Atai, Shahrzad Osterer, Gilda Sahebi und den iranischstämmigen Starfriseur Shan Rahimkhan, um mit ihnen über die Lage der Frauen im Iran und die landesweiten Proteste zu sprechen.
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