Proteste im Iran:
Wie buchstabiert man die Geschichte?

Vergesst, was in den Büchern über Revolutionen steht, überlasst den Kommenden die Namensfindung für das, was derzeit im Iran geschieht! Das ruft eine junge Iranerin ihrem intellektuellen Publikum zu. Momentan werde Geschichte geschrieben.

Von Ali Sadrzadeh

Sucht euch neue Wörter, und wenn ihr keine Begriffe findet, solltet ihr schweigen.“ Der Satz sagt alles darüber aus, was derzeit im Iran passiert. Die Stimme zittert, im Hintergrund hört man Schreie, Parolen, Polizei- und Feuerwehrsirenen. Das junge Mädchen spricht hastig: Sie müsse bald aufhören, wiederholt sie bei jedem Satz, sie wisse nicht, was gleich passiere und wie lange ihr Handyinternet noch durchhalte.

Die Eliteuniversität und die Schergen

Es ist 11 Uhr am Samstag, dem 8. Oktober 2022. Das Mädchen steht vor der Teheraner Universität. An diesem Tag finden in fast allen Städten Irans Demonstrationen statt, heftiger als an den Tagen zuvor. In kleinen wie großen Orten sind junge Menschen, vor allem Frauen, auf der Straße, es wird geschossen, geprügelt und verhaftet. Die Schergen des Regimes scheinen heute noch brutaler vorgehen zu wollen als an den vorangegangenen Tagen. Die Protestierenden sind einem Aufruf der Studierenden der Eliteuniversität Sharif gefolgt. Grund ist ein blutiger Überfall der Basidjis, der paramilitärischen Gruppen, auf ihre Hochschule vor einer Woche.

Macht auch der Bazar mit?

Heute streikt auch der Teheraner Bazar, die Läden sind alle geschlossen, die Gänge leer, die Polizeiwache davor steht in Flammen. Der Bazar war einst das pulsierende Herz der iranischen Wirtschaft, die Händler standen geschlossen hinter Chomeinis Revolution. Doch das ist eine Ewigkeit her, und vor 43 Jahren gab es weder das Wort Globalisierung, noch wussten viele Bazaris, wo China liegt. Heute liefert China sogar Leichentücher und Gebetskränze, und auf dem Teppichweltmarkt spielt das heutige Iran keine Rolle mehr. Perserteppiche kauft man in Pakistan, der Türkei oder Indien, hergestellt natürlich aus chinesischer Wolle, Seide und Farben.

Peking umgeht die internationalen Sanktionen und nutzt Knebelverträge, die es mit der durch und durch korrupten Islamischen „Republik“ abschließt. Unter falschen Flaggen geliefertes Öl wird gegen Waren oder Dienstleistungen getauscht. Geld gibt es nicht, kann es nicht geben – selbst für die chinesischen Banken ist ein Währungstransfer mit dem Iran nicht möglich. Denn das Land ist aus dem Swift-System ausgeschlossen – all das dank Chameneis Hass auf alles Westliche und seinem Blick gen Osten.

Schließt sich diesmal auch der Bazar der Veränderungswelle an, die über das Land rollt?

In seinen letzten Herrschafts- und Lebensjahren steht der iranische „Revolutionsführer“ Ali Chamenei vor einem Scherbenhaufen. Er hat einen Namen für das, was er sieht: Er nennt es eine Verschwörung der verhassten Zionisten. Aber der Rest der Welt streitet darüber, was im Iran dieser Tage zu sehen ist.

Club House und die Revolution
Fortsetzung auf Seite 2