Die Mutter eines der Opfer der staatlichen Gewalt spricht
Hadis Najafi ist nach Mahsa Amini das zweite prominente Opfer der staatlichen Gewalt der vergangenen Tage im Iran. Ihre Mutter spricht nach acht Tagen über ihre Tochter und darüber, wie sie getötet wurde. Nasrin Bassiri hat die Aussage von Hadis Najafis Mutter für das Iran Journal übersetzt.
Vor der Kamera sitzt eine sichtlich unter Schlaflosigkeit leidende, kranke Frau am Rande des Zusammenbruchs, Mitte 40, mit offenen Haaren vor der Kamera und bemüht sich, ihr Leid Wort für Wort herauszubringen. Nach kurzer Zeit entnehmen wir aus ihren Worten, dass sie nicht nur um ihre bei den Protesten in Teheran getötete Tochter trauert, sondern auch unter „Beleidigungen“ leidet – Beleidigungen seitens des Regimes sowie von manchen Regimegegner*innen, die ihr bzw. ihrer Familie Vorwürfe machen: etwa, warum sie den Tod von Hadis nicht öffentlich beklagt haben, warum sie ein Foto von Hadis mit Schleier auf ihr Grab gestellt haben. Sie spricht, und es ist unübersehbar, wie schwer es ihr fällt, ihr Leid zu offenbaren:
„Ich bin die Mutter von Hadis Najafi. Ich habe in den letzten sieben, acht Tagen, seit mein Mädchen Hadis gestorben ist, nicht gesprochen; weil ich dazu nicht in der Lage war. Jetzt sitze ich hier aufrecht, dank der Medizin, die ich zu mir genommen habe. Wir werden beleidigt und schikaniert. Meine Tochter wurde wegen des Hijabs, wegen Mahsa Amini am 30. Shahrivar (21. September 2022) getötet.
Das Video in persischer Sprachen:
Als wir ihr Leichentuch zur Seite schoben, sahen wir ihr ganzes Gesicht und ihren Körper von einer Schrotflinte durchsiebt, dabei waren drei richtige Kugeln, die sie am Hals, Herz und Bauch getroffen haben.
Warum beleidigen Sie uns so sehr? Wir lügen nicht, wir sind nicht auf Seiten des Regimes, wir schweigen nicht, wir sind traurig, trauern um Mahsa, um Hadis und andere Mädchen, die getötet wurden, sie sind für uns wie unsere Töchter. An dem Tag, an dem Hadis getötet wurde, waren wir noch ahnungslos. Wir gingen ins Krankenhaus, um zu sehen, wie ihr Zustand war. Sie (die Sicherheitskräfte am Eingang des Krankenhauses) sagten uns: Ihre Tochter ist weggelaufen. Sie haben uns beleidigt und nicht ins Krankenhaus hineingelassen, sie sagten uns, Eure Tochter ist nicht hier!
Ein Sicherheitsdienst des Krankenhauses, der uns dabei beobachtete, hatte Erbarmen und sagte schließlich: ‚Eure Tochter ist bereits tot und liegt in der Leichenhalle des Krankenhauses. Man hat Euch hierbehalten, weil sie auch Euch festnehmen wollen.‘ Wir waren verunsichert und rannten weg, um der Verhaftung zu entgehen. Als wir uns entfernten, habe ich, weil ich nun wusste, dass Hadis nicht mehr lebt, geschrien und geschrien. Ich schrie, während ihre Schwestern sich auf Kopf und Gesicht schlugen. Wir sind so zuhause angekommen. Drei Toyotas (Spezialfahrzeuge der Sicherheitskräfte) sind gekommen, um uns abzuholen. Die Nachbarn ließen es nicht zu, haben sie vertrieben.
Hadis‘ Körper wurde uns zunächst nicht übergeben. Sie (die Sicherheitskräfte) beleidigten ihren Vater, schlugen ihn und beschimpften uns.
Das Gericht hat gesagt: ‚Wir werden Euch die Leiche Eurer Tochter auf keinen Fall übergeben.‘
Wir haben einen Bekannten, der beim Gericht arbeitet. Durch seine Bemühungen haben wir Hadis‘ Leichnam am Freitagmorgen erhalten.
Man kritisiert uns, warum wir das verschleierte Foto von Hadis auf ihr Grab gestellt haben. Deswegen verflucht man uns und wirft uns vor, regimetreu zu sein. Wären wir regimetreu, hätte Hadis‘ bei alle ihren Posts in den Sozialen Netzwerken ihre Haare offen getragen? Sie zeigte in allen ihren Posts die Haare offen. Wir haben weder religiöse Todeszeremonien abgehalten noch absichtlich ein verschleiertes Bild genommen. Das war das einzige Foto, das wir zuhause hatten, und wir haben es mitgenommen. Ich bin in Trauer. Sollte ich in der Eile noch ein unverschleiertes Foto von Hadis machen lassen? Ich trauere um mein Kind, mein Herz brennt, ich trage einen Berg von Last, auch ihre Schwestern tragen eine große Last. Lasst die Last auf unseren Schultern nicht weiter wachsen. Nennt uns nicht Lügner, wir sind keine Lügner. Meine Tochter, meine 22-jährige Hadis, starb Euretwegen! Ich weine Tag und Nacht, kann keinen Moment richtig schlafen. Hadis ist ständig vor meinen Augen, ich habe die Kugeln gesehen, die Hadis getroffen haben. Ich habe gesehen, wo jede einzelne ihren Körper durchbohrte.
Montagabend, Protest in Teheran: "Wir erobern den Iran zurück!" Diese Parole soll zeigen, dass das islamische Regime nicht gewollt ist. Der Tod der 22jährigen #Mahsa_Amini im Polizeigewahrsam hat Menschen in vielen Städten des #Iran auf die Straße gebracht. #MahsaAmini #Islam pic.twitter.com/vqRWRQhrLc
— Iran-Journal (@iran_journal) September 19, 2022
Meine Tochter ist Euretwegen gestorben. Bitte beleidigt uns nicht. Uns geht es nicht gut. Tut uns das bitte nicht an; alle Mädchen, die getötet wurden, sind meine Kinder. Ich liebe sie so, wie ich meine Hadis liebte. Hadis starb wegen Mahsa, sie rief wegen Mahsa zu einem Meeting auf, meine Hadis war wie ein kleines Kind. Sie kam nach Hause und sagte, Mama, ich habe Hunger. Meine Hadis ging aber hungrig hinaus, um Mahsas Namen lebendig zu halten. Mein Mädchen kam direkt von der Arbeit nach Hause und rief, Mama, ich bin hungrig, (sie wird lauter, schreit) meine Hadis ist hungrig weg gegangen, sie gönnte sich keine Ruhe, um etwas zu essen, mein Hadith ist gegangen. Ich konnte tagelang nicht sprechen, weil ich trauerte. Habt Ihr nie dieselben Schmerzen erfahren, Schmerzen des Kindesverlustes?
(…) Ich war abwesend, nicht da, und wusste nicht, was sich um mich abspielt, meine Töchter haben sich vergessen. Wenn ich bei vollem Bewusstsein gewesen wäre, hätte ich sicherlich meinen Schal und meinen Mantel abgelegt und mit offenen Haaren dagesessen; wegen Mahsa.
Ich kann nur mit Hilfe von Medikamenten da sitzen. Bitte veröffentlicht meine Stimme. Ich bitte Euch darum, die Stimme einer trauernden Mutter zu veröffentlichen. Hadis‘ Vater wird jeden Tag von der Sicherheitsbehörde vorgeladen und vernommen. Jeden Tag muss er vor Gericht stehen, jeden Tag wird dieser Vater zusammengeschlagen. An dem Tag, als ihm der Leichnam seiner Tochter gezeigt wurde, hat man ihn auch zusammengeschlagen. Er erhielt eine Injektion und sein Körper war lahm und er konnte nicht mehr laufen. Sie wollten, dass auch der Vater stirbt, weil er gefragt hatte: ‚Warum habt Ihr auf meine Tochter geschossen? Was hatte meine Tochter verbrochen?‘ Bitte veröffentlicht meine Stimme!“♦
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