Was es heißt, heutzutage Iranerin zu sein

Ob in den Nachrichten oder in den sozialen Netzwerken: was derzeit aus dem Iran nach außen dringt, zeichnet das Bild einer alles umfassenden Krise, in der sich das Land und damit seine Bevölkerung befinden. Für IranerInnen in der Beobachterposition der Diaspora bedeutet das eine kaum erträgliche neue Verbannung in eine ohnmächtige Sprach- und Hilflosigkeit. Ein persönlicher Essay der deutsch-iranischen Künstlerin Parastou Forouhar.


Die täglichen Nachrichten aus dem Iran und die Meldungen und Geschichten, die in den sozialen Netzwerken der IranerInnen kursieren, treffen einen mittlerweile so schmerzhaft, dass man nicht einmal mehr in der Lage ist, ein Posting zu kommentieren oder aus Verbundenheit paar Sätze zu einem Bild zu schreiben. Als ob die Begriffe nicht mehr in der Lage wären, ihren Sinn zu übertragen. Sie kratzen an der Oberfläche und ziehen weiter. Was übrig bleibt, ist Ratlosigkeit. Ein Seufzen. Oder Schimpfworte, die man aus Anstand herunterschluckt.

Den folgenden Text habe ich aus einer solchen Empfindung heraus geschrieben: eine Art Ringen, um der Stummheit zu entkommen. Und vielleicht befinden sich zurzeit viele von uns IranerInnen in einem ähnlichen Zustand. Hin- und her gerissen zwischen der Notwendigkeit einer Stellungnahme, einer Reaktion, und der Ohnmacht, die sich uns aufdrängt.
Den Alltag verbringe ich hier und jetzt. Meine Gedanken aber sind oft woanders, verfolgen jene Ereignisse, die im hiesigen Alltag keine Relevanz finden. Fasste ich mein Empfinden dieser Gegenwart in einem Wort zusammenfassen, lautete dieses: Krise. Die Krise des IranerInnen-Seins, die Krise des MigrantInnen-Seins, des Flüchtling-Seins, die Krise des Anders-Seins.
Das Bild dieser Empfindung ähnelt einem zerbrochenen Spiegel, scharf und rücksichtslos. Egal, wo ich ihn anfasse – er schneidet und verletzt.
Ich lebe und arbeite in Deutschland und reise berufsbedingt durch Europa. In der Sicherheit und dem Komfort jenes Kontinents, in dem zu leben der Traum Tausender Menschen gewesen ist, die in den vergangenen Jahren und Monaten in dessen umliegenden Gewässern ums Leben gekommen sind – und sicherlich auch weiter auf diese Weise sterben werden. In jenem Kontinent, unter dessen gepflegter Erscheinung Fremdenfeindlichkeit lauert und sich ausbreitet. Mein Zugehörigkeitsgefühl zu diesem Kontinent, das ich mir jahrelang mühsam und zuversichtlich aufgebaut habe, droht zu verschwinden.
 

Einschätzungen gehen davon aus, dass jeder dritte Iraner sowie 70 Prozent der Arbeiter unter der staatlich festgesetzter Armutsgrenze leben!
Einschätzungen gehen davon aus, dass jeder dritte Iraner sowie 70 Prozent der Arbeiter unter der staatlich festgesetzter Armutsgrenze leben!

 
Ein Land voller Wunden und Schmerzen

Es sind die Sorgen um den Iran, die mich zur Zeit erschüttern. Wenn ich an meine alte Heimat denke, kommt mir das Bild eines geliebten Körpers in den Sinn, verletzt und hilflos an einen Obduktionstisch gefesselt. Das Leben wird diesem Leib ausgesaugt. Er kann sich nicht befreien.
Ich bin den Menschen im Iran durch ihre Not hindurch weder eine Begleiterin, noch werde ich den Drang los, eben dieses Unmögliche zu sein.
Je bedrohlicher die Krise, desto dringlicher meine Anstrengung, die Lage zu verstehen und mich mit dem Ort zu verbinden, von dem ich fern geblieben bin. Fast in Hysterie renne ich den offiziellen Nachrichten und den Berichten der AktivistInnen hinterher. Häufiger denn je nehme ich Kontakt zu meinen Freunden und Bekannten im Iran auf, um auf dem Laufenden zu sein.
Alles wirkt labil und brüchig, wie kurz vor dem Zerfall. Wenn man überhaupt von einer Gewissheit sprechen kann, dann von jener über die Präsenz einer unerbittlichen Krise, die von allen Seiten zuschlägt, alles überschwemmt und etliche Abgründe freispült. Egal, wie viel Leid und Not man aufzählt: Es gibt immer jenes, das man nicht erwähnt hat.
Diese Zeit scheint wie ein Ungeheuer zu sein, das ununterbrochen Opfer verlangt. Und es birgt Tausende noch erschreckendere Gesichter, die es zeigen könnte.

Die Gefahr der täglichen Wiederholung
Fortsetzung auf Seite 2