Betondecke über dem Kopf

Zum erstem Mal seit elf Jahren hatten Frauen-Atkivistinnen für den 8. März zu einer Großdemonstration aufgerufen. Doch die Sicherheitskräfte verhinderten die Protestaktion. Mehrere Aktivistinnen wurden festgenommen. Iran Journal hat im Vorfeld mit fünf Frauen gesprochen, die an der Teheraner Demonstration teilnehmen wollten.
Am 28. Februar wurde im Messaging-Dienst Telegram von einer unbekannten Gruppe ein Kanal mit dem Namen „Aufruf zur Versammlung am 8. März“ eingerichtet. Dort wurden Frauen und Männer im Iran gebeten, sich am Weltfrauentag „gegen die Ungleichbehandlung und für die Erlangung von mehr Menschlichkeit“ vor dem Arbeitsministerium in Teheran zu versammeln. Der Aufruf wurde auf persischsprachigen Webportalen und dem Telegram-Kanal der Berufsgenossenschaft der iranischen LehrerInnen veröffentlicht. Die VerfasserInnen baten „alle ArbeiterInnen, LehrerInnen, KrankenpflegerInnen, ErzieherInnen, RentnerInnen, StudentInnen, Hausfrauen und alle AktivistInnen der Zivilgesellschaft“, an dieser Kundgebung teilzunehmen.
Sima M.
41 Jahre alt, Hausfrau, möchte sich an derartige Aktionen beteiligen. Die Voraussetzung sei allerdings, dass die Regierung sie zulässt. Sie sei eine gläubige Muslima, dennoch sei sie sich sicher, dass die Islamische Republik Iran „weder islamisch noch eine Republik“ sei. Persönlich gehe es ihr zwar gut, aber sie denke an die Mehrheit der Bevölkerung, die „unter der Misswirtschaft dieses ungerechten Systems leidet“.
Ich habe keine großen Wünsche mehr, weil ich mit meinem Leben zufrieden bin“, sagt die Mutter von drei Töchtern: „Mein Mann hat ein relativ gutes Einkommen und wir besitzen ein Haus und ein Auto. Aber die Zukunft meiner Kinder bereitet mir Sorgen. Meine älteste Tochter studiert. Die Aussichten für junge Frauen im Iran sehen nicht zufriedenstellend aus, obwohl wir die Zunahme von Akademikerinnen und gut ausgebildeten Frauen beobachten.“
Sima M., die selbst die Schule bis zum Abitur besucht hat, sieht in der steigenden Arbeitslosigkeit und „dem Fehlen von rechtlicher Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau“ die größten Hürden für die heutige Iranerin: „Obgleich die Arbeitslosigkeit für mich als Hausfrau kein Problem darstellt, heißt das nicht, dass ich die Probleme in unserer Gesellschaft nicht wahrnehme. Ich habe keine Probleme mit meinem Mann, aber Hausfrau und Mutter zu sein, bedeutet für viele junge Frauen die totale Abhängigkeit vom Ehemann. Und das verschafft ihnen ungeheure Probleme.“
Zahra A.
hat nach einem Mathematikstudium viele Jahre an Teheraner Oberschulen unterrichtet. Für sie ist die rechtliche Stellung der Frau ein wichtiger Indikator für den Grad der Entwicklung einer Gesellschaft. „In Anbetracht der Tatsache, dass Frauen etwa die Hälfte der iranischen Bevölkerung ausmachen, ist das Bemühen zur Erfüllung ihrer Forderungen unumgänglich“, sagt die 62-Jährige. Sie bekommt zwar Rente, aber ohne Privatunterricht zu erteilen, könnte sie finanziell nicht über die Runden kommen. Doch für sie ist die rechtliche Benachteiligung der Frau „viel gravierender als finanzielle Probleme oder Arbeitslosigkeit“.

Tun, was die Männer auch tun!
Iranische Frauen stehen in nichts den Männern nach

 
Die pensionierte Lehrerin weist empört auf eine Nachricht des regimetreuen Internetportals Tabnak hin: „Kürzlich schrieb Tabnak, dass der Anteil der zwischen 15- und 65-jährigen Frauen in der nationalen Wirtschaft vor der Revolution 1979 bei 13,5 Prozent lag und heute bei etwa 14 Prozent liegt. Das ist ein Unterschied von nur einem halben Prozent innerhalb von vier Jahrzehnten. Das ist keine gute Entwicklung.“
Zahra A. verbringt viel Zeit im Internet und weiß deshalb, dass auch in den westlichen Ländern Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind: „Die gebildeten Frauen dort haben eine gläserne Decke über dem Kopf, die sie an der Weiterentwicklung hindert, wir haben hier eine Betondecke, die so hartnäckig ist, dass dadurch sogar die gesellschaftlichen Freiheiten und Forderungen der Frau nicht gesehen werden.“
Sie ist der Überzeugung, dass iranische Frauen sich das Recht für friedliche Proteste erkämpfen werden. Der Weltfrauentag biete ihnen die Gelegenheit, „den Machthabern zu zeigen, dass Frauen diesen Tag für sich in Anspruch nehmen und für ihre Rechte auf die Straße gehen wollen.“ Sie betont jedoch, dass Frauen in der ganzen Welt nicht nur am 8. März, sondern jeden Tag „gegen die Ungleichbehandlung und Diskriminierung“ kämpfen sollten.
Fataneh S.
wurde kurz vor der Fertigstellung ihrer Doktorarbeit von der Universität ausgeschlossen, denn sie gehört der religiösen Minderheit der Baha’i an. „Wie kann man mit der eigenen Situation zufrieden sein, wenn man selbst die privatesten Entscheidungen wie etwa die über seine Religion nicht treffen kann? Über all deine privaten und gesellschaftlichen Angelegenheiten entscheiden die Machthaber; von der Bekleidung bis zum Zuschauen bei Sportwettbewerben im Stadion. Gibt es noch selbstverständlichere Rechte als die, die uns genommen worden sind?“, fragt sie.
Die 29-Jährige ist arbeitslos und wohnt bei ihren Eltern. Sie wird an der Demonstration am 8. März teilnehmen, selbst wenn sie damit eine Verhaftung riskiert. Ihr Vorbild sei ihre Mutter, die 1979 aktiv an der Revolution teilgenommen hat, sich später für die politische und gesellschaftliche Entwicklung von Frauen einsetzte und dafür vier Jahre im Gefängnis verbrachte.
Erste große Frauendemonstration in Teheran - 8. März 1979
Erste große Frauendemonstration in Teheran gegen den Kopftuchzwang – 8. März 1979 

 
Parvin M.
ist ebenfalls 29 Jahre alt und hat Geschichte studiert. Sie möchte gerne an der Protestaktion am 8. März teilnehmen, aber sollten Sicherheitskräfte eingreifen, würde sie schnell „das Feld verlassen“. Sie will keine Auseinandersetzung mit der Polizei riskieren, denn sie hat Angst, ihre Arbeit zu verlieren.
Parvins wichtigstes Anliegen, das sie auf die Straße treibt, ist die Gleichberechtigung: „Ich stelle bei mir auf der Arbeit keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen fest. Auf niedrigeren Stufen haben wir die gleichen Chancen, aber auf den Führungsebenen werden die Frauen benachteiligt. Diese Positionen bekommen nur die Männer.“
Parvin ist ledig und wohnt mit einer Kollegin zusammen. „Der 8. März ist der Tag, an dem in den meisten Ländern Veranstaltungen zu Ehren der Frauen und der Verteidigung ihrer Rechte organisiert werden. Aber im heutigen Iran wird offiziell der Geburtstag von Fatima (der Tochter des Propheten Mohammad) als Tag der Frauen gefeiert. Auch hierbei hat uns das Regime vom Rest der Welt abgesondert.“
Die Historikerin weist darauf hin, dass es im alten Iran einen Tag „zu Ehren der Frau und der Erde“ gegeben hat, den Tag Esfandgan (24. Februar).
Schafaq P.
19 Jahre alt, Verkäuferin bei einer Kaufhauskette. Sie ist froh, dass die Frauen endlich auf die Straße gehen werden, um ihre Wut herauszulassen. Sie würde sich auch wehren, falls die Polizei gegen die Demonstranten gewaltsam vorgehen würde. „Als Frau möchte ich genauso wie ein Mann den Sonnenschein ohne Schleier genießen, meine Schönheit und Weiblichkeit genießen. Ich möchte meine Jugend ausleben“, sagt sie. Shafaq hatte eine Weile mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern. Doch mittlerweile glaubt sie, dass die Islamische Republik bald unter dem Druck aus dem In- und Ausland stürzen wird. „Diesen historischen Moment möchte ich gern mit meinen Freunden und meiner Familie live erleben.“♦
  MINA TEHRANI

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