Irdische und himmlische Aufgaben des neuen Präsidenten

Die Pandemie und die Ausweglosigkeit

Die Umstände dieses Tages in Teheran sprechen Bände über den Zustand des gesamten Landes. Es wird ein Präsident inthronisiert, der für einen großen Teil der Iraner wegen seiner Mitwirkung an Massenhinrichtungen der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts schlicht ein Mörder ist.

Konfrontiert ist der neue Präsident aber nicht mit der Geschichte, sondern mit einer harten Gegenwart. Das Land steckt mitten in der fünften Welle der Coronapandemie – und weniger als drei Prozent der Iraner sind vollständig geimpft. In Teheran mit seinen etwa 12 Millionen Einwohnern gibt es kein leeres Bett in den Krankenhäusern mehr. Offiziell gibt es täglich etwa 300 Tote und um die 20.000 Neuinfizierte, doch die amtliche Statistik im Iran war, ist und bleibt immer Politik.

Es sei ein Verbrechen, wie die Machthaber in Teheran mit der Pandemie umgingen, sagen anerkannte Virologen. Erst habe man die Krankheit negiert, und als es so nicht weiterging, konnte man nicht ausreichend Impfstoff bestellen, weil Revolutionsführer Ali Chamenei den Kauf der Vaczine aus Großbritannien und den USA verboten hatte.

Das Land ist durstig

Zur Coronakatastrophe gesellt sich unterdessen eine Wasserknappheit, die das ganz Land seit Wochen in den Protestmodus versetzt. In dreihundert Städten sei das Wasser rationiert, 8.000 Dörfer würden mit Tankwagen versorgt, sagt Alireza Janbaz, Leiter der Wasserversorgung des Landes.

Proteste in Chuzestan gegen Wasserknappheit, Corona-Missmanagement und Armut gibt es allabendlich!
Proteste in Chuzestan gegen Wasserknappheit, Corona-Missmanagement und Armut gibt es seit Mitte Mitte Juli allabendlich!

Brisant, ja explosiv ist die Lage in der Provinz Chuzestan, an der Grenze zum Irak, wo tagsüber das Thermometer auf bis zu 50 Grad steigt. Seit drei Wochen kommt es allabendlich zu Protesten gegen die daraus resultierende Wasser- und Stromknappheit. Inzwischen ist Chuzestan praktisch von der Außenwelt abgeriegelt, das Internet wurde abgeschaltet, Sondereinheiten der Polizei und die Revolutionsgarden haben dort das Regiment. Fast das gesamte Erdöl des Iran liegt unter der Erde Khuzestans.

Der Karun, wichtigster Fluss der Region und wasserreichster des ganzen Landes, der einst der Trinkwassergewinnung und der Bewässerung der Felder und Plantagen diente, ist durch mehrere Talsperren aufgestaut. Einen guten Teil des Wassers leiten die Revolutionsgarden für Industrieprojekte in den Norden weiter.

Nichts deutet darauf hin, dass Ibrahim Raissi für diese existenziellen Probleme des Landes eine Lösung hat.

Universelle islamische Zivilisation

Doch der neue Präsident tritt nicht an, um nur solche irdischen Fragen zu lösen. Er hat eine wichtigere Mission. Er solle das Land für eine universelle islamische Zivilisation vorbereiten, sagt Revolutionsführer Ali Chamenei. Angesichts dieses himmlischen Ziels sind Wirtschaft und Corona, Wasserknappheit oder Stromausfälle banale Angelegenheiten.

Am vergangenen Mittwoch setzte das Parlament das Gesetz zur „Nationalisierung des Internets“ in Kraft, um alle westlichen Apps zu verbannen.Tags darauf registrierte Google eine 700-prozentige Steigerung der Internetsuche mit dem Stichwort Emigration.

Die Signale sind eindeutig. Alle sollen begreifen, dass wir an diesem Donnerstag die Schwelle eines neuen Zeitalters erreichen. An diesem Tag beginne die reine Herrschaft des Islam, um eine islamische Zivilisation aufzubauen, sagt Ali Amir Hajizadeh, der Luft- und Raumkommandeur der Revolutionsgarden.

Dass ein Luftwaffenkommandeur mit dem neuen Präsidenten eine islamische Zivilisation errichten möchte, zeugt zwar von seinem universellen Anspruch, doch im Inneren hat Raissi eine andere, sehr wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die Islamische Republik bereitet sich längst auf die Post-Chamenei-Ära vor, und der neue Präsident soll diesen existenziellen Übergang managen. Ein Manager war Raissi jedoch nie: Er war stets ein Richter, der die politischen Entscheidungen anderer exekutierte.

© Iran Journal

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