Irdische und himmlische Aufgaben des neuen Präsidenten

An diesem Donnerstag findet die Amtseinführung von Ibrahim Raissi statt. Der neue iranische Präsident ist mit einer Vielzahl irdischer Probleme konfrontiert: die grassierende Corona-Epidemie, landesweite Wasserknappheit und internationale Isolation. Sein eigentlicher Auftrag aber lautet: Er soll das Land für eine universelle islamische Zivilisation vorbereiten.

Von Ali Sadrzadeh

Geschichte ist Datum: Besetzt man es, besitzt man die Geschichte. Das ist das Geschichtsverständnis der Islamischen Republik seit ihrem Bestehen. Der 5. August ist nach iranischem Kalender der 14. Mordad: ein besonderer Tag für alle Iraner, einerlei, welcher politischen Richtung, Religion oder Ethnie sie auch angehören mögen. Es ist der Tag der konstitutionellen Revolution vor 115 Jahren – der Tag, an dem sich die Iraner eine neue Verfassung gaben und in die Moderne einzutreten versuchten.

Diese Verfassung beschränkte die Macht des Königs, führte die Gewaltenteilung ein und erkannte jeden Iraner als Bürger an. Später berief sich jeder, Königstreuer oder -gegner, auf diese Verfassung, wenn er irgend etwas Politisches äußern wollte. Bis zur islamischen Revolution vor 42 Jahren war der Tag ein nationaler Feiertag.

Doch Ayatollah Ruhollah Chomeini, der Gründer der neuen Ordnung, machte aus seiner Verachtung für diese relativ moderne Verfassung nie einen Hehl. Unmittelbar nach seiner triumphalen Rückkehr aus dem Exil ließ er eine der großen Hauptstraßen Teherans nach Ayatollah Nuri benennen, jenem Geistlichen, der wie Chomeini selbst gegen die Verfassung und für einen Gottesstaat war. Ayatollah Nuri war wegen seiner Aktivitäten gegen diese Verfassung hingerichtet worden. Die Fatwa zu seiner Hinrichtung hatten zwei andere Großayatollah erlassen.

So gesehen sei die islamische Revolution auch eine Rache an der konstitutionellen Revolution, meinen namhafte Historiker.

Es würde weit führen, wollten man alles aufzählen, was die neuen Machthaber unternahmen, um diesen Tag mit ihren Symbolen zu besetzen und ihm ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Auch die Zeremonie zur Amtseinführung des neuen Präsidenten der islamischen Republik findet am 14. Mordad statt.

Am 3. August wurde Ebrahim Raissi (re.) vom Staatsoberhaupt Ali Chamenei offiziell als Irans neuer Präsident bestätigt
Am 3. August wurde Ebrahim Raissi (re.) vom Staatsoberhaupt Ali Chamenei offiziell als Irans neuer Präsident bestätigt

Radikale unter sich

Doch das diesjährige Ritual ist einmalig. Der Teheraner Luftraum bleibt an diesem Donnerstagnachmittag gesperrt. Früher waren die Flughäfen gerade an diesem Tag emsig damit beschäftigt, die Einreise ausländischer Politiker und Journalisten abzuwickeln, die in Teheran eintrafen. Noch weiß man nicht, ob, und wenn ja, welcher Präsident oder Regierungschef in diesem Jahr dabei sein möchte. Denn die Anreise zur Amtseinführung eines Präsidenten, den viele „Massenmord-Ayatollah“ nennen, ist eine mehr als heikle Angelegenheit.

Es werden sich trotzdem ausländische Politiker, Journalisten und sonstige Gäste finden, die an dieser Veranstaltung teilnehmen. Wer sie sein werden und wie sie nach Teheran gelangen, ist ungewiss. Ganze elf Parlamentskommissionen sind jedenfalls mit der Vorbereitung der Zeremonie beauftragt.

Vielleicht ist eine Begebenheit dieses Tages aus der Zeit von Ex-Präsident Mahmud Ahmadinejad interessant. Er hatte gehört, dass der Präsident der Komoren ein Schiit sei und bei seiner Amtseinführung anwesend sein möchte, aber kein Flugzeug habe. Ahmadinejad schickte eine Maschine vom Typ Falcon und ließ den Gast abholen.
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