Warnung vor übereilten Todesurteilen gegen Protestierende

330 Tote und Tausende Verletzte hat es seit dem Ausbruch der landesweiten Proteste im Iran gegeben. Über 14.000 Protestiernde sind verhaftet worden, darunter Dutzende Journalist:innen. Reporter Ohne Grenzen startet ein „Iran Media Help-Desk“ für bedrohte Journalist:innen und Medien.

Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtsaktivist:innen warnen vor der Möglichkeit „übereilter und unangekündigter“ Hinrichtungen von inhaftierten Protestierenden im Iran. Sie fordern in mehreren Erklärungen und in den Sozialen Netzwerken die internationale Gemeinschaft auf, die Entwicklungen im Iran genauer zu beobachten und das Regime nicht durch Wegschauen zum Töten von Protestierenden zu ermutigen.

Bisher sind viele der Verhafteten mit dem Vorwurf „Krieg gegen Gott“ und „Verderben der Erde“ konfrontiert. Auf solche Delikte steht in der Islamischen Republik die Todesstrafe.

Menschenrechtsorganisationen werfen dem islamischen Regime vor, in Schauprozessen und ohne die grundlegenden Kriterien eines fairen Verfahrens einige der Protestierenden verurteilt, aber die Urteile noch nicht öffentlich gemacht zu haben. Mehrere Informationsquellen nennen den Rapper Saman Yassin sowie Mahan Sadrat Madani, Manouchehr Mehmanawaz. Mohammad Ghobadloo, Mohsen Rezazadeh Gharaghlou, Saeed Shirazi, Abolfazl Mehri-Hossein Hajilou, Mohammad Broghni und Sahand Noor Mohammadzadeh. Sie sollen auch keine Strafverteidiger gehabt haben.

Das iranische Parlament hatte am 6. November von der Justiz verlangt, „die Anführer“ der Proteste sowie Demonstrant:innen, die „ein Verbrechen“ begangen haben, zum Tode zu verurteilen.  

Die Proteste gehen weiter

Die Demonstrationen begannen als Protest gegen den Tod  der 22jähirgen Mahsa (Jina) Amini im Polizeigewahrsam am 16. September. Doch sie wurden bald zu landesweiten Protesten gegen das islamische Regime. Sie gingen auch am Freitag in einigen Städten weiter.

Besonders in der Provinz Sistan und Belutschestan gingen wieder wie die zwei Freitage zuvor Teilnehmer des Freitagsgebets auf die Straßen und riefen Parolen gegen das Staatsoberhaupt Ali Chamenei. Die „Sicherheitskräfte“ reagierten mit Schrotflinten und Tränengas.

Die Menschenrechtsorganisation HRANA hat seit dem Beginn der Proteste bisher 330 Tote registriert, davon mehr als 50 Minderjährige und etwa 40 sogenannte „Zivilgekleidete“, die die Demonstrant:innen mit warmen und kalten Waffen angreifen. Tausende wurden verletzt und mehr als 14.000 verhaftet.

Mindestens 42 Journalist:innen inhaftiert

„Dass immer mehr Journalistinnen inhaftiert werden, zeigt das Vorhaben des iranischen Regimes: Es will die Stimmen von Frauen systematisch unterdrücken“, sagt der Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF), Christian Mihr: „Wir sind zutiefst besorgt über das Schicksal dieser mutigen Journalistinnen. Sie gehen ein hohes Risiko ein und nehmen sogar die Todesstrafe in Kauf, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, die das Regime mit aller Macht zu verbergen versucht.“

In den letzten sieben Wochen wurden mindestens 42 Journalist:innen in allen Landesteilen des Iran inhaftiert. Acht  von ihnen sollen freigelassen worden sein. Fünfzehn von ihnen seien Frauen, so Mihr: „Damit sind nun fünfmal mehr Journalistinnen inhaftiert als vor Beginn der Proteste. Die Zahl der inhaftierten Journalistinnen ist höher als jemals zuvor – ein trauriger Rekord.“

In den Erklärungen der RSF werden zwei Fälle als „besonders besorgniserregend“ eingestuft: Niloufar Hamedi und Elahe Mohammadi. Sie hatten als erstes öffentlich auf den Tod von Mahsa Amini aufmerksam gemacht und sitzen seit mehr als einem Monat in Haft. Ihnen wird „Propaganda gegen das System und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“ vorgeworfen. Delikte, die ebenfalls mit dem Tod bestraft werden können.

RSF startet Iran Media Help-Desk

Auf „diese Besorgnis erregenden Entwicklungen“ im Iran reagiert RSF in Zusammenarbeit mit der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi mit einem persischsprachigen Help-Desk. Der Schwerpunkt liege dabei auf der Unterstützung von Journalist:innen und Medien, die durch ihre Berichterstattung über die Ereignisse im Land gefährdet seien.

Laut RSF stellt der Helpdesk unter anderem „zügig sichere VPN-Zugänge“ bereit. Außerdem soll er Medienunternehmen bei der Umgehung von Zensur helfen, „indem geblockte Seiten im Rahmen des RSF-Projekts Collateral Freedom wieder zugänglich gemacht werden.“

Auch sei finanzielle Unterstützung für iranische Medien innerhalb und außerhalb des Landes, die in Not sind, vorgesehen.

Hilfesuchende iranische Medienvertreter:innen können sich über RSFIran@rsfsecure.org oder iran@rsf.org an den Help-Desk wenden. (fp)

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