Kurze Anatomie eines Sicherheitsapparates
Noch halten sich die Sondereinheiten der Revolutionsgarden zurück. Deshalb sprechen einige Beobachter von Rissen innerhalb des iranischen Unterdrückungsapparats. Doch das ist ein Irrtum: Von einem Riss kann noch keine Rede sein. Die Drecksarbeit wird momentan hauptsächlich von jenen Gruppen erledigt, die nichts mit Heiligkeit, Politik oder Religion gemein haben.
Von Ali Sadrzadeh
Noch hat er sich nicht gemeldet. General Sibaii Nejad (زیبایی نژاد) schweigt. Seinen Nachnamen könnte man mit „von der Rasse der Ästhetik“ übersetzen. Das muss in manchen Ohren merkwürdig, ja sinnlos klingen, ist aber ein ganz normaler Nachname, über den sich kein Iraner wundert. Ein rein persischer Name, ohne eine Spur des Islam oder der arabischen Sprache.
Sinnbild der Brutalität
Der Mann, der vor 65 Jahren in der Stadt Shiraz das Licht der Welt erblickte, ist heute einer der mächtigsten Generäle der Islamischen Republik und der Kommandant jener Truppe, die im Falle eines Falles in Aktion tritt – ein Mann für die letzten Stunden.
Der Herr „von der Rasse der Ästhetik“ hat seinen Namen inzwischen geändert. Er nennt sich heute General Nedjat (Rettung). Das ist ein arabisches Wort mit islamischer Konnotation. Nedjat und Nejad klingen ja ähnlich. Doch wie auch immer: Bar jeglicher Ästhetik oder Poesie zeigte der General bei allen vorangegangenen Krisen, dass er den islamischen Gottesstaat mit ausreichender Brutalität zu retten weiß.
General Nedjat ist der oberste Soldat im Stützpunkt Sar-allah (Blut Gottes). Hier ist die wichtigste Einheit der Revolutionsgarden stationiert; eine Sondereinheit, die im äußersten Notfall die Sicherheit der Hauptstadt Teheran und der umliegenden Städte mit mehr als 30 Millionen Menschen gewährleisten soll. Sollte der Ausnahmezustand verkündet werden, mutiert dieser Stützpunkt zum eigentlichen Staat: Ihm unterstehen dann laut Statut alle Ministerien, sämtliche staatlichen Einrichtungen inklusive Funk und Fernsehen und alle „gewählten“ Organe.
General Nedjat ist kein Mann der leeren Propaganda. Er erklärt oft und mit einer trockenen, ja beängstigenden Rationalität, warum seine Truppe hart vorgehen muss; wie etwa im Herbst 2019, als nach der plötzlichen Verdreifachung des Benzinpreises in 120 iranischen Städten Massenaufstände ausbrachen. Zwei Tage lang durften sich die meist jungen Protestierenden auf den Straßen austoben, dann traten Sondereinheiten der Garde und der Polizei, genannt NOPO (نوپو), auf den Plan und zeigten, wie weit sie gehen können. NOPO ist eine Art GSG 9 der islamischen Republik, die bei sehr kritischen Situationen mit ihrer martialischen Ausrüstung und Erscheinung eingesetzt wird. Sie hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie bis zum Äußersten geht und niemand ihr eine Grenze setzen kann. Innerhalb von drei Tagen töteten sie nach Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters mindestens 1.500 Menschen. Tausende wurden verhaftet, Unzählige verwundet, all das unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit. Erst zwei Wochen später, als das Internet langsam wieder anlief, erahnte die Außenwelt, was sich in jenen Tagen auf den Straßen des Iran ereignet hatte. Es tauchten grausige Bilder auf, die einen beispiellos blutigen Abschnitt der jüngsten Geschichte des Landes dokumentieren.
Eine erhellende Erfahrung
Noch sind wir aber nicht dort. Noch erledigen andere Gruppen die Unterdrückungsmission; Banden, von denen man kaum glauben kann, dass sie für eine heilige Sache kämpfen.
Eine Momentaufnahme erhellt manchmal ein ganzes Universum. Hier ist der Moment, ein Nachmittag auf der Teheraner Revolutionsstraße. Sie ist eine der längsten Straßen der Hauptstadt, eine in jeder Hinsicht pulsierende Gegend. Gegenüber der Teheraner Universität in der Mitte dieser Straße finden sich Dutzende alteingesessene Buchhandlungen und Verlagshäuser. Auch auf den Bürgersteigen beiderseits der Straße verkaufen Straßenhändler Bücher, allerdings gebrauchte, verbotene und vergriffene.
Die erzählte Momentaufnahme ist beim Niederschreiben dieser Zeilen drei Tage alt. Sie beleuchtet einen dunklen Teil des unübersichtlichen iranischen Sicherheitsapparats. Der Erzähler ist über jeden Verdacht der Parteinahme erhaben. Er ist weder Regimegegner noch Journalist und selbstverständlich auch kein Protestierer. Er heißt Shahram Gilabadi, war Vizebürgermeister der Stadt Teheran sowie Leiter eines Radioprogramms für Jugendliche und Autor zahlreicher offizieller Propagandabroschüren. Hier seine erlebte und erzählte Momentaufnahme, die seit drei Tagen auf vielen Webseite zu lesen ist:
„Auf der Höhe der Uni suchte ich ein Buch, als ein Motorradfahrer mich von hinten anfuhr. Ich wandte mich zurück und sagte ironisch, verzeihen Sie bitte. Du bist ein dummes verrücktes Arschloch, antwortete er. Verzeihen Sie bitte, sagt ich wieder und drehte mich ganz um. In dem Augenblick umzingelten mich sechs weitere vermummte Zivilisten, stießen mich gegen die Wand und begannen mich zu verprügeln; sie waren dabei, mich zu verhaften. Hat dieses Land keine Gesetze, fragte ich. Das Gesetz sind wir, du Hurensohn, sagte einer von ihnen. Meine Mutter ist die Mutter eines Märtyrers, ich selbst war mit 14 an der Front und kämpfte gegen den Irak. Halt dein Scheissmaul und verschwinde schnell von hier, sagte ein anderer. Drei Polizisten schauten sich die Szene an, in diesem Augenblick kam einer von ihnen, reichte mir eine kleine Wasserflasche und sagte leise in mein Ohr: Geh schnell weg, verzeih, wir können nichts tun.“
Das Lumpenpack
Fortsetzung auf Seite 2