Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd: „Die deutsche Regierung muss handeln“

Interview mit der Tochter des im Iran zum Tode verurteilten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd.

Am Dienstag ist der deutsche Staatsbürger Jamshid Sharmahd im Iran zum Tode verurteilt worden. Die Bundesregierung hat als Reaktion darauf zwei iranische Diplomaten ausgewiesen.

Der 67-jährige Sharmahd kam vor 42 Jahren zum Studium nach Deutschland und besitzt die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft. Der IT-Ingenieur und Software-Entwickler arbeitete zunächst viele Jahre in Deutschland, unter anderem bei Siemens. Später zog er mit seiner Familie nach Los Angeles, wo er eine eigene IT-Firma gegründet hatte. Im August 2020 wurde er bei einer Reise entführt und in den Iran verschleppt, wo er seither in Einzelhaft festgehalten wird.

Nasrin Bassiri sprach für das Iran Journal mit seiner Tochter Ghazaleh Sharmahd.

Wann haben Sie erfahren, dass Ihr Vater zum Tode verurteilt wurde?

Eigentlich wussten wir bereits am ersten Tag, als mein Vater entführt wurde, dass es so kommen wird. Sie haben uns schon damals angedeutet, was sie mit ihm vorhaben. Nun wurden wir am Dienstag um 5 Uhr früh von unserer Tochter geweckt. Mein Mann schaute auf sein Handy und sagte: Dein Vater ist zum Tode verurteilt worden! Und auch, wenn wir das bereits im Vorfeld wussten – als wir es nun hörten, war es völlig unglaubwürdig! Ich war genauso überrascht wie vor zweieinhalb Jahren, als wir erfuhren, dass mein Vater entführt worden war. Damals fragte ich mich: Wie geht das?! Ein Regime sendet seine Handlanger an einen Ort außerhalb des Landes, entführt dort einen Menschen und verschleppt ihn in den Iran! Genauso ein Schock durchfuhr mich, als ich von dem „Todesurteil“ hörte! Ein Urteil kann ich das nicht nennen, denn ein Urteil setzt Ermittlungen und einen Prozess voraus. Hier handelt es sich eher um einen Mordbefehl.

Wer hatte Ihnen damals gesagt, dass Ihr Vater ermordet werden würde?

Nach den Aussagen des Regimes war klar, was sie mit meinem Vater vorhatten. Bereits 2009 hatte das Regime jemanden in die USA geschickt, um meinen Vater zu töten; dass sie ihn umbringen wollten, war für uns nicht neu. Auch mein Vater hat damit gelebt.

Ghazal Sharmahd und ihr Vater Jamshid Sharmahd
Ghazaleh Sharmahd und ihr Vater Jamshid Sharmahd

Von wem hatten Sie 2009 erfahren, dass das iranische Regime Ihren Vater ermorden will? Hatten US-Behörden Sie darüber informiert?

Ja. Polizei und Sicherheitsbehörden hatten in Erfahrung gebracht, dass ein Agent des islamischen Regimes, Mohammadreza Sadeghnia, in die USA geschickt worden war, um meinen Vater durch einen Terroranschlag zu töten. Durch glückliche Umstände gelang ihm dies nicht. Der Agent saß ein Jahr in Los Angeles in Haft und wurde später bei einem Gefangenenaustausch freigelassen und in den Iran geschickt. Das war aber nicht der letzte Versuch. Sie haben öfter versucht, meinen Vater ins Ausland zu locken oder ihn in den Vereinigten Staaten durch einen Terroranschlag zu töten. Alle diese Versuche begannen, nachdem mein Vater eine Webseite für die iranische Bevölkerung gestaltet hatte, auf der die Menschen alles sagen konnten, was sie wollten. Mein Vater hatte ihnen eine Stimme gegeben. Von dem Tag an wurde er permanent terrorisiert; zuerst versuchten sie, die Webseite zu schließen, und dann, ihn selbst zu eliminieren. Schließlich haben sie ihn 2020 entführt und in den Iran geschleppt, wo er nun seit zweieinhalb Jahren in Isolationshaft sitzt.

Was war das für eine Webseite?

Mein Vater ist Ingenieur für Softwareentwicklung und arbeitete viele Jahre für Siemens, bevor er vor etwa zehn Jahren seine eigene Firma gründete. Er hat für den Satelliten-TV-Sender Your TV eine Webseite gestaltet. Diese Webseite war auf dem Server der Firma meines Vaters, Sharmahd Computer. Er hat damit den Menschen im Iran per VPN die Möglichkeit gegeben, im Internet zu surfen, ohne ihre ID preiszugeben. So konnten sie ihre Meinung offen äußern, ohne dass jemand weiß, wer sie sind. Aber durch den Server, der seinen Namen trug, wurde die Identität meines Vaters offengelegt.

Was geschah dann?

Die Handlanger des Regimes haben Nachforschungen angestellt, Lügengeschichten über ihn erzählt, ihn bedroht und öffentlich gegen ihn agitiert. Als sie mit verbalen Attacken und Drohungen nicht weiterkamen, gingen sie zu Taten über: Es wurde in sein Büro eingebrochen, er wurde bestohlen, es wurde eine Cyberattacke gegen ihn gestartet. Weil sie die Webseite nicht vernichten konnten, haben sie versucht, ihn zu vernichten – was sie eben mit den Menschen machen, die ihre Stimme erheben, ob sie in der Diaspora leben oder im Iran.

Hat Ihr Vater mit einer politischen Organisation gearbeitet?

Nein! Mein Vater arbeitete nicht mit oder für eine politische Organisation. Aber er stellte dem Sender Your TV, der von Foroud Fouladvand betrieben wurde, den Server zur Verfügung. Fouladvand war Vorsitzender des Vereins iranischer Monarchisten.

Ihr Vater musste damit rechnen, dass er Gefahren ausgesetzt ist – ist das der Grund, warum er aus Europa in die USA zog: Weil es dort sicherer ist?

Nein. Mein Vater hat in Deutschland gar nicht politisch gearbeitet. Wir waren alle politisch sehr interessiert, haben die Nachrichten aus dem Iran genau verfolgt und auch demonstriert. Aber er hat damals nichts Spezielles gemacht. Erst in den USA hat er Fouladvand kennengelernt und ihm vorgeschlagen, einen Server zur Verfügung zu stellen. Das war sein erster Schritt in Richtung Politik.

Wurde Ihrem Vater in den USA nicht ausreichend Schutz geboten?

Sie konnten den ersten Versuch, ihn zu töten, erfolgreich abwenden. Aber sie haben sich nicht ausreichend bemüht, seine Entführung zu verhindern. Mein Vater ist sicher nicht der Einzige, der solchen Bedrohungen ausgesetzt ist. Derjenige, der ihn umbringen wollte, ist nicht wie bei Masih Alinejad mit einem Gewehr vor dem Haus erschienen: Er wollte meinen Vater mit einem Auto überfahren. Wäre das gelungen, hätten wir gar nicht bemerkt, dass es sich um einen politisch motivierten Terroranschlag handelte. Wir hätten es als Autounfall betrachtet, der sich zufällig ereignet hat. Die Regierung tut kaum etwas, damit wir hier sicher leben. Es kann nicht sein, dass wir auf einer Webseite etwas Kritisches sagen und gleich um unser Leben fürchten müssen! Es kann nicht sein, dass die Verantwortlichen die Hände in den Schoß legen und dabei zusehen.

Wie ging die Entführung Ihres Vaters vonstatten?

Die erste iranische Version war, mein Vater sei freiwillig in den Iran gereist. Aber mein Vater besitzt weder ein iranisches Reisedokument, noch hat er je beabsichtigt, freiwillig in den Iran zu reisen, besonders nach dem Anschlag, der 2009 in Los Angeles auf ihn verübt werden sollte. Dann haben die iranischen Behörden gesagt, er sei in Tadschikistan gewesen. Aber zu der Zeit gab es keine Flüge dorthin, und Tadschikistan dementierte umgehend, dass mein Vater dortigen Boden betreten hätte. Daraufhin brachten die Iraner erst den Irak, dann die Türkei ins Spiel. Beim letzten Videocall mit meiner Mutter Ende Juli 2020 befand sich mein Vater in einem Hotel am Flughafen Dubai. Er wollte eigentlich nach Mumbai, konnte aber wegen der Pandemie nicht weiterreisen. Am 31. Juli kam dann eine Nachricht, es gehe ihm gut und er werde sich melden. Die war wahrscheinlich bereits von seinem Kidnapper verfasst. Denn am 1. August 2020 tauchte ein Foto von ihm mit einer Augenbinde in einem Gefängnis auf. Seither sitzt er im Iran in Isolationshaft; er hatte in dieser Zeit nur einige Male die Gelegenheit, kurz mit uns zu sprechen; seit sechs Monaten haben wir keine Nachricht mehr von ihm erhalten. Und nun ist er zum Tode verurteilt!

Was meinen Sie, was man nun tun kann?

Ich bin nicht in der Politik aktiv, ich weiß nicht, was getan werden sollte. Ich weiß aber, dass die Staaten genau wissen, was sie tun müssen, um dem Terrorstaat nicht den Rücken zu stärken. Deutschland soll für meinen Vater nicht alleine handeln, kann aber die Führung übernehmen. Schon einmal mal hat die deutsche Regierung den damalige Außenminister Guido Westerwelle in den Iran geschickt, um Journalisten zu retten. Auch diesmal müssen sie handeln. Worte allein reichen nicht aus.♦

Ghazaleh Sharmad hat einen drigenden Appel an Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz gestartet. 

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