„Islamischer Sozialismus“ statt Islamische Republik

Die gesellschaftliche Rolle der Organisation

Doch selbst, wenn man die ideologische und hierarchisch aufgebaute Struktur der MKO außer Acht lässt, gibt es keine Garantie dafür, dass sie sich dem wohltönenden Zehnpunkteplan nach einer Machtübernahme verpflichtet fühlen würde. Nicht wenige weisen in diesem Zusammenhang auf Chomeinis Versprechen vor der Revolution hin: Auch er hatte allen Menschen im Iran Freiheit und Wohlstand garantiert und versprochen, die Geistlichen würden sich von der Politik fernhalten. Er hatte sogar zunächst eine Zivilregierung berufen, die teils aus laizistischen und nationalistischen Politikern bestand. Doch nach einer kurzen Phase war diese Regierung Makulatur, und Chomeini selbst nahm alle Fäden in die Hand. Bald stand er verfassungsgemäß über allen staatlichen Organen.

Diese Erfahrung hat die Iraner*innen misstrauisch gemacht gegenüber den Versprechungen von Islam-Anhänger*innen. „Wer einmal von einer Schlange gebissen wurde, erschrickt  sich auch beim Anblick von schwarzen und weißen Seilen“: Dieses alte iranische Sprichwort umreißt die Stellung der „sozialistisch-islamischen“ MKO im heutigen Iran gut.

Nase voll von islamistischen Revolutionären

Zahlreichen Umfragen zufolge wollen die meisten jungen Iraner*innen heute ohne die strengen Regeln des Islams oder einer anderen Ideologie leben. Sie sehnen sich wie Menschen überall in der Welt nach persönlicher Freiheit. Nicht ohne Grund wollen laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage mindestens 33 Prozent der iranischen Bevölkerung das Land verlassen. Unterschiedlichen Berichten zufolge haben in den vergangenen Jahrzehnten bis zu acht Millionen Iraner*innen ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Die Angst, wegen „moralischer Vergehen“, wegen Kritik an den Missständen im Land oder den islamischen Gesetzen verhaftet zu werden oder gar ihr Leben zu verlieren, sitzt den Iraner*innen Tag und Nacht im Nacken.

Die Zusammenarbeit mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein (re.) während des Krieges gegen den Iran hat den Ruf der Organisation Volksmudschahedin und ihres Anführers Massoud Rajavi (re.) in der iranischen Gesellschaft nachhaltig geschädigt
Die Zusammenarbeit mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein (re.) während des Krieges gegen den Iran hat den Ruf der Organisation Volksmudschahedin und ihres Anführers Massoud Rajavi (re.) in der iranischen Gesellschaft nachhaltig geschädigt

Es ist deshalb schwer vorstellbar, dass sie sich für eine islamische Organisation interessieren, deren weibliche Mitglieder nicht eine Haarsträhne zeigen dürfen und deren Kader vor ihrer Vorsitzenden in Habacht-Stellung antreten müssen. Junge Frauen im Iran kämpfen seit langem gegen die islamischen Bekleidungsvorschriften und tragen das Kopftuch längst als losen Schal am Hinterkopf auf modernen Frisuren und auffällig gefärbten Haaren. Nach Meinung vieler unabhängigen Beobachter*innen im Iran glaubt die Mehrheit der jungen Generation weder an einen Schöpfer noch an eine Religion. Laut einer Umfrage der Meinungsforschungsgruppe Gamaan vom August 2020 hat mehr als die Hälfte der Iraner*innen den Glauben an den Islam verloren und bezeichnet sich als religionslos.

Schreckenerregende Worte für die Kritiker*innen

Die MKO hat im Vergleich zu den meisten anderen oppositionellen Gruppierungen klare Vorstellungen von der Zeit nach dem Sturz der Islamischen Republik. Ihrem Plan zufolge wird der NWRI, dem sie vorsteht, eine Übergangsregierung bilden, die nur sechs Monate an der Macht bleiben soll. Ihre Hauptaufgabe würde darin bestehen, freie Wahlen zur Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung vorzubereiten. Der provisorischen Regierung sollen 25 Kommissionen angehören, die von den Mitgliedern des NWRI geführt werden. Diese sind mehrheitlich ältere Männer, die seit Jahrzehnten nicht im Iran gewesen sind und die Entwicklungen des Landes nicht vor Ort erlebt haben.

Die Kulturkommission etwa wird von dem 87-jährigen Manouchehr Hezarkhani geführt, der beim letzten Kongress des NWRI Ende Dezember 2021 kaum zusammenhängende Sätze herausbringen konnte. Er erinnerte an den senilen Ayatollah Dschanati, der mit 95 Jahren wichtige staatliche Posten im Iran innehat: So wie die Islamische Republik Posten nach dem Grad der Treue zum „Führer“ verteilt, tut es auch die MKO. Alle Verantwortlichen ihrer „Übergangsregierung“ gehören zur treuen Gefolgschaft des „Führers“ und der „Präsidentin“.

Es ist schwer vorstellbar, dass die strengen älteren Damen und Herren des NWRI die weltoffenen, internetaffinen, jungen Iraner*innen für sich begeistern können. Zudem zeigten die Mitglieder des NWRI auf ihrem Kongress im Dezember deutlich ihren Hass gegenüber Kritiker*innen der Organisation. Als der Dirigent Mohammad Shams Kritiker*innen innerhalb der iranischen Opposition mit üblen Worten beschimpfte, bekam er langanhaltenden Beifall. Seine Wortwahl dabei ließ Zweifel daran aufkommen, dass die begeistert klatschenden Führer*innen des NWRI nach einer Machtübernahme im Iran ihren Kritiker*innen mit demokratischen Mitteln begegnen werden.

Hat die MKO eine Chance?

Die MKO hat stabile internationale Netzwerke aufgebaut und genießt die Sympathien mancher Regierungen innerhalb und außerhalb der Region – am meisten von Israel und Saudi-Arabien. Auch die US-Republikaner pflegen gute Beziehungen zu der „islamisch-sozialistischen“ Organisation. Sollten sie in drei Jahren die US-Wahlen gewinnen, und sollte die Islamische Republik bis dahin keine Chance mehr zum Weiterbestehen haben, wird die MKO gute Karten für die Machtübernahme oder zumindest zur Machtbeteiligung im Iran haben. Und es wird für die genannten Staaten kein Problem sein, den Ruf der Organisation mit geschickter Propaganda zu verbessern – vorausgesetzt, sie bekommen dafür die Garantie, dass die MKO ihren Interessen entspricht.

Und wie werden die beiden Unterstützer des aktuellen iranischen Regimes, Russland und China, handeln? Das kommt darauf an, wie stark die Proteste der Iraner*innen in den kommenden Jahren sein werden. Sollten sie zunehmen, wird es für Moskau und Peking kein Problem sein, über Nacht umzuschwenken und sich mit einer chancenreichen Alternative im Iran zu arrangieren. Wer einem Blutrichter wie Ebrahim Raissi zum Sieg bei einer Scheinwahl gratuliert, ist auch in der Lage, jede andere Regierung als Freundin zu akzeptieren.♦

Übertragen aus dem Persischen von Farhad Payar

*Farid Fatemi ist ein Pseudonym. Der Politologe und Publizist schreibt unter verschiedenen Namen für persischsprachige und internationale Medien.

© Iran Journal

Hier finden Sie das gesamte Dossier „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“. 

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