„Islamischer Sozialismus“ statt Islamische Republik

Im Rahmen des Dossiers „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“ stellt das Iran Journal mögliche Kandidaten für die Zeit nach einem eventuellen Sturz des islamischen Regimes vor. Der Politikwissenschaftler Farid Fatemi* analysiert die Stellung der Volksmudschahedin in der iranischen Gesellschaft und ihre Chancen, an die Macht zu kommen. 

Über die Organisation der Volksmudschahedin (Mojahedin-e-Khalq-Organization, kurz MKO) zu schreiben, ist schwer. Noch schwerer ist es, eine Einschätzung ihrer Beliebtheit im Iran abzugeben. Das islamische Regime dort reagiert besonders sensibel und brutal, wenn es um die MKO geht. Deshalb wagt niemand selbst engsten Familienmitgliedern gegenüber zuzugeben, ein Mudschahed oder Anhänger dieser Organisation zu sein.

Zweifelsohne ist die MKO die größte, durchorganisierteste und politisch aktivste Gruppe der iranischen Opposition. Da die MKO im Iran nicht agieren darf, hat sich die Organisation ein großes Netzwerk von Sympathisant*innen außerhalb des Landes aufgebaut. Dazu gehören auch Regierungen und namhafte Politiker*innen aus den USA und Europa – etwa der ehemalige US-Außenminister Mike Pompeo und die Ex-Präsidentin des Deutschen Bundestags Rita Süssmuth. Die meisten iranischen Oppositionsgruppen und -persönlichkeiten distanzieren sich dagegen von der MKO.

Die Verwandlung

Doch das war nicht immer so. Unter den Gegner*innen des islamischen Regimes im Iran waren nach der Revolution von 1979 die Volksmudschahedin und Volksfadaiyan die stärksten und unter jungen Iraner*innen beliebtesten politischen Organisationen. Andere linke Gruppierungen, wie etwa die moskautreue Tudeh-Partei und die Nationaldemokraten, hatten auch ihre Anhängerschaft. Doch deren Anzahl war eher bescheiden. Die beiden letzteren waren beliebt vor allem bei den älteren Generationen. Die MKO, 1965 von einigen Studenten gegründet, hatte den Vorteil, dass sie die Lehren des Islams und den Marxismus-Leninismus miteinander verband.

Besonders ihre antiimperialistischen – sprich antiamerikanischen – Ansichten waren bei jungen Muslimen sehr beliebt. Sie boten eine ernsthafte Alternative zu den islamischen Machthabern. Deshalb wurden sie von den islamistischen Hardlinern um Revolutionsführer Ayatollah Chomeini von Anfang an gehasst – obwohl sie wie die meisten anderen politischen Strömungen gegen das Schah-Regime und für die Revolution gekämpft hatten. Doch Chomeinis Clique beanspruchte die Alleinherrschaft und war bereit, dafür Tausende Menschen zu töten, zu verhaften und zu foltern.

Die Attacken der paramilitärischen Kräfte des neuen Regimes gegen die MKO begannen relativ früh, dann erst folgte die Unterdrückung anderer politischen Gegner. Der bewaffnete Kampf der MKO gegen die neue revolutionäre Regierung im Sommer 1981 war die Folge des Ausschlusses aller Oppositionellen von der politischen Macht, auch der MKO. Die Mudschahedin verübten Anschläge gegen bekannte Mitglieder des Regimes. Sie hatten schon aus der Zeit vor der Revolution in dieser Hinsicht Übung: Als militante Gruppe hatten sie im Iran Terroranschläge insbesondere gegen ausländische Militärberater des Schah-Regimes ausgeführt. Ihnen werden mehrere tödliche Anschläge gegen US-Offiziere und Mitarbeiter von US-Firmen zugeschrieben.

Die Anführer der Volksmudschahedin Masoud Rajavi (li.) und Mussa Khiabani (re.) beim Revolutionsführer Ruhollah Chomeini
Die Anführer der Volksmudschahedin Masoud Rajavi (li.) und Mussa Khiabani (re.) beim Revolutionsführer Ruhollah Chomeini

Die schrittweise Vernichtung der Opposition

Mit einem gerissenen Plan hat es das Regime geschafft, alle Oppositionsgruppen zu eliminieren. Mithilfe der Tudeh-Partei und einem Teil der Volksfadaiyan, der sich „Fadayian-Mehrheit“ nannte, beseitige es zunächst alle anderen Gruppierungen. Zum Schluss waren Tudeh und die „Fadiyan-Mehrheit“ selbst an der Reihe. Dieser Vernichtungskampf war allerdings ein langer Prozess. Ein Teil der aktiven Regimegegner schloss sich dem bewaffneten Kampf der Autonomiekämpfer in Kurdistan an und führte den Widerstand gegen das Regime weiter. Doch auch dort hatten sie keine Chance und wurden getötet, vertrieben oder verhaftet.

Die MKO-Führer*innen gingen 1981 mit einigen anderen Gruppierungen eine Koalition ein und bildeten den „Nationalen Widerstandsrat“ (NWRI). Dort hatten sie die Oberhand und beanspruchten Sonderrechte. Deshalb trennten sich nach und nach einige Mitglieder wieder vom NWRI. Dass die MKO 1986 die Zentrale ihres Widerstandes in den Irak verlegt hatte und mit Saddam Husseins Regime kooperierte, führte zu einer Spaltung im NWRI, denn die irakische Armee hatte im September 1980 den Iran überfallen, dort Landesteile zerstört und Zehntausende Iraner*innen getötet oder verstümmelt. So schrumpfte der NWRI weiter, bis nur die MKO und einige ihr hörige Politiker*innen übrigblieben.

Mit Saddam Husseins Hilfe starteten die Mudschahedin mehrere Feldzüge gegen die iranische Armee. Sie wollten den Iran vom islamischen Regime befreien und ein neues islamisches Regime einrichten, in dem es keine Klassen mehr geben soll: Manche nennen ihre Ideologie einen „islamischen Sozialismus“. Diese Feldzüge brachten nur noch mehr Tod und Vertreibung und verschafften der MKO bei der Bevölkerung einen schlechten Ruf, der ihr bis heute anhaftet. Anders als die deutschen oder italienischen Widerstandskämpfer, die während des Zweiten Weltkrieges auf der Seite der Alliierten gegen Hitlers und Mussolinis Regimes kämpften, wurden und werden die Mudschahedins von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als „Befreier“, sondern als „Landesverräter“ und Freunde des Schlächters Saddam Hussein gesehen. Vielleicht wäre es anders gekommen, hätten sie ihr Ziel erreicht und Chomeinis Regime besiegt – doch niemand kann sagen, wie ihr „islamisch-sozialistisches“ Regime heute ausgesehen hätte.

Versprechen und Taten

Vor etwa acht Jahren stellte Maryam Rajavi, die Chefin der MKO und zugleich Präsidentin des NWRI ist, einen Zehnpunkteplan vor. Dieser sieht die Errichtung einer Republik im Iran vor, die auf den Stimmen der Bevölkerung basieren, Pluralismus und individuelle Freiheiten fördern, die Todesstrafe abschaffen, Religion und Staat trennen, die Gleichheit zwischen Männern und Frauen sowie eine unabhängige und faire Justiz garantieren soll. Menschenrechte sollen geachtet, jegliche Diskriminierung verboten, gleiche wirtschaftliche Chancen für alle Bürger*innen geschaffen und auf ein friedliches Zusammenleben aller gesetzt werden. Der Iran soll überdies zum nuklearfreien Land erklärt werden.

Liest man die Publikationen der MKO oder sieht ihre eigenen Videobeiträge, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass diese Organisation für Demokratie, Freiheit und Gleichheit aller Menschen, eine florierende Wirtschaft, gute Beziehungen zu allen Staaten der Welt, den Schutz der Umwelt sowie Transparenz kämpft. Doch wie sieht die Machtstruktur innerhalb der MKO aus? Die Organisation hat ähnlich wie die Islamische Republik einen Führer – Masoud Rajavi – und eine Vorsitzende oder Präsidentin – seine Frau, Maryam Rajavi -, sowie eine Armee, bestehend aus gläubigen Männern und Kopftuch tragenden Frauen. Masoud Rajavi tritt seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit auf; viele Berichte sprechen von seinem Tod. Doch darüber schweigt die MKO.

Googelt man „Volksmudschahedin sect“, bekommt man zahlreiche haarsträubende Medienberichte über die Organisation. Glaubt man den Schilderungen ehemaliger Mitglieder, die die Organisation verlassen haben, herrschen in ihrem Camp, das sich heute in Albanien befindet, unglaubliche Regeln, die eher an den dystopischen Roman „1984“ von George Orwell erinnern als an eine weltoffene, moderne Organisation.
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