Frauen im Iran: Durch Probleme wachsen
In der Islamischen Republik Iran unterliegen Frauen großen rechtlichen und gesellschaftlichen Benachteiligungen. Seit mehr als vier Jahrzehnten wehren sie sich dagegen – und immer mehr Männer unterstützen sie dabei. Eine Übersicht zum Internationalen Frauentag.
Von Nasrin Bassiri
Vor der Revolution war die iranische Gesellschaft vor allem für Frauen eine gespaltene: Es gab moderne, studierte, berufstätige Frauen, Künstlerinnen, Sängerinnen und Schauspielerinnen, die öffentlich aufgetreten sind. Und es gab die religiösen Frauen, die sich nur in Moscheen, heiligen Stätten oder bei religiösen Veranstaltungen in ihren Häusern trafen. Ihr Leben fand im Verborgenen statt.
Die Gesellschaft hat sich seither kaum geändert, sie ist weiterhin gespalten. Nur haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Frauen in schwarzen Umhängen feiern heute öffentlich religiöse Anlässe. Die moderne Version des Lebens findet dagegen im Verborgenen statt – etwa in Luxusvillen und privaten Gärten außerhalb der Stadt, wo Frauen mit großzügigen Ausschnitten Alkohol konsumieren, oder in Kellerräumen oder Garagen, wo Jugendliche Rockmusik und Heavy Metal spielen. Es gibt dort immer einen Vorraum, in dem die weiblichen Gäste sich in Party Girls verwandeln: ihre heutzutage bunten und kurzen Mäntel ausziehen, die durchsichtigen Schals ablegen, die draußen ihre Haare bedecken. So wird heute in den Großstädten im Norden und Süden, im Osten und Westen des Irans gelebt.
Ein Rückblick
In der vorrevolutionären Ära der Pahlavi-Schahs, Vater Reza und Sohn Mohammad Reza, galt im Iran ein Zivilrecht, das der Historiker Ahmad Reza Naini ein „Meisterwerk der rechtswissenschaftlichen Literatur“ nennt. Eingeflossen waren Rechtsgrundsätze diverser europäischer Länder, zugleich wurde es den Ansprüchen der islamischen Gelehrten gerecht.
Kurz nach der Revolution wurden zahlreiche Gesetze neu verfasst oder komplett durch islamische Gesetze ersetzt, etwa durch das schiitische Strafrecht. Danach sind etwa Mord und Körperverletzung keine öffentlichen Delikte, die vom Staat geahndet werden, sondern Privatangelegenheiten, die durch Vergeltung – Auge um Auge, Zahn um Zahn – und die Zahlung von „Blutgeld“ direkt zwischen Opfer und Täter geregelt werden.
In Europa treten Opferangehörige als Nebenkläger*innen in Prozessen wegen Tötungsdelikten auf. Im Iran ist der Nebenkläger stets männlich – und er ist der Hauptkläger. Er entscheidet, ob ein Mordfall mit Hinrichtung bestraft oder durch Vergeltung in Form eines „Blutgeldes“ geregelt wird. In entsprechende Verhandlungen wird der Vater des Opfers, und wenn er nicht mehr lebt, der Großvater oder ein Onkel des Opfers einbezogen.
Diskriminierende Gesetze
Der Mann gilt nach diesem Recht als Familienoberhaupt, er ist Herr und Eigentümer ihrer Mitglieder. Tötet er eine*n seiner Familienangehörigen, etwa seine Tochter, wird er freigesprochen. Doch das gilt nur für den Vater. Eine Mutter muss sich für die gleiche Tat voll verantworten. Sie wird, wenn der Vater es verlangt, dafür hingerichtet. So entscheidet der Mann über Leben und Tod seiner Familie. Er darf einen „Ehrenmord“ begehen oder ungestraft seine Frau töten, wenn er den begründeten Verdacht hat, dass sie ihn betrügt.
Wurde eine Frau von einem nicht verwandten Mann getötet und ist ihre Familie nicht bereit, sich mit einem halben Blutgeld zufrieden zu geben – das Leben einer Frau gilt nach diesem Recht halb so viel wie das eines Mannes – muss die Familie der ermordeten Frau ein halbes Blutgeld an die Familie des Mörders zahlen, um seine Hinrichtung fordern zu können. Wurde ein Mann von einer Frau auf einem Auge geblendet, könnte der Mann als Vergeltung dementsprechend verlangen, beide Augen der Frau zu blenden. Solche grausamen Praxen geschehen im Iran selten, sind aber nach islamischem Strafrecht vorgesehen. Dazu muss ein Arzt eingesetzt werden – und kaum ein Arzt, der bei seinem Berufsabschluss geschworen hat, der Gesundheit der Menschen zu dienen, ist bereit, solch grausamen Richtern zu assistieren.
Der steinige Weg, sich zu wehren
Täterinnen gibt es bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten nur wenige. Meist sind das junge Frauen, die etwa versucht haben, sich gegen eine Vergewaltigung zu wehren, und die Täter dabei verletzt haben, selten mit Todesfolge. Ein bekannter Fall ist der von Reyhane Jabbari, einer 19-Jährigen, die sich mit einem Obstmesser gegen ihren Peiniger verteidigte. Dabei kam der 47-Jährige, ein verheirateter Mann und Ex-Mitarbeiter des iranischen Nachrichtendienstes, ums Leben. Reyhane wurde mit 19 Jahren festgenommen und mit 27 hingerichtet.
Die zweite Täterinnengruppe sind Frauen, die oft jahrelang versucht haben, sich gegen häusliche Gewalt zu wehren. Manche von ihnen überschütten sich mit Benzin und töten sich durch Selbstverbrennung. Andere setzen sich zur Wehr und greifen ihre Männer an.
Häufig sind diese Frauen bereits im Kindesalter Männern überlassen worden, die besser situiert und um ein Vielfaches älter sind als sie. Oder sie wurden in entlegenen Dörfern gegen ihren Willen verheiratet, sind zu jung für harte Arbeit, werden schwanger, gebären Kinder und der Mann ist mit ihrer Leistung nicht zufrieden. Er schlägt sie, ihre Familie ist im Nachbardorf, sie kann mit kleinen Kindern das Dorf nicht verlassen, ihre Kinder nicht zurücklassen – wohin soll sie gehen? Sie erträgt die Schläge, ist verzweifelt, kann sich nicht scheiden lassen, weil sie nirgends Schutz findet oder die Gerichte ihr nicht glauben. In Großstädten kommt es vor, dass Töchter von ihren drogensüchtigen Eltern für Geld dem Dealer überlassen werden, der sie dann zu sexuellen Diensten an diversen Männern zwingt, und sie keinen anderen Ausweg sehen, als ihm Gewalt anzutun.
Zahlreiche NGOs oder Frauengruppen, auch prominente Schauspieler- und Sportler*innen nutzen ihre Popularität, um zur Tatzeit minderjährige Jugendliche oder hilflose Frauen vor der Todesstrafe zu bewahren.
Nach der Revolution wurde das Heiratsalter für Mädchen von 18 auf 13 Jahre herabgesetzt. Auch ein noch jüngeres weibliches Kind darf verheiratet werden, wenn ein Gesundheitszeugnis seine Reife bescheinigt. Die frühe Heirat, ob mit einem wildfremden Menschen oder jemandem aus dem Umkreis des Kindes, ist der häufigste Grund, warum sich Mädchen zur Wehr setzen. Sie verletzen oder töten ihre gewalttätigen Ehemänner, sie flüchten, werden geschnappt und getötet, weil die Gesetzeslage ihren Vater und ihren Ehemann ohne Strafe davonkommen lässt. Schuld daran sind Eltern und deren Vorstellung, dass man einem Kind einen Ehemann aussuchen und einem erwachsenen Mann erlauben darf, es zu vergewaltigen.
Wenn ein Kind sich vor einer Vergewaltigung retten will und dabei einen Menschen tötet, ist das eine vorprogrammierte Katastrophe, die durch eine Reihe von Ursachen verschuldet ist: soziale Ungerechtigkeit, Armut, mittelalterliche Gesetze, Mangel an gezielter Familienbildung für Eltern – und vor allem Staatsmänner, die das zu verantworten haben. Am wenigsten ist ein Kind schuld, wenn es in Notwehr einen Vergewaltiger tötet und damit vor dem Beginn des Erwachsenenlebens das eigene ruiniert.
Was Frau nicht umbringt, macht sie stärker
Frauen wurde nach der Revolution im Iran folgende Kleiderordnung auferlegt: ein dunkler Umhang, der den ganzen Körper bedeckt, oder ein schwarzer bzw. dunkler weiter Mantel, weite Hosen, blickdichte Strümpfe, kein Nagellack, kein Parfüm, keine Stöckelschuhe, ein kurzer Umhang mit einem Loch in der Mitte, der das Gesicht zeigt, ohne dass Haarsträhnen zu sehen sind, und der Blicke auf die Brust versperrt. Heute, nach über 40 Jahren Straßenjagd, Festnahmen, Belehrung und Inhaftierungen tragen die Iranerinnen farbenfrohe Kleidung, sind geschminkt und fröhlich. In den meisten Straßen Teherans sieht man Frauen, die keine Angst mehr haben, ihre Kopfbedeckung locker auf die Schulter fallen zu lassen. Nicht selten trifft man eine junge Joggerin mit ärmellosem Shirt und ohne Kopfbedeckung, nicht einmal eine auf die Schulter herabgelassene, wie Augenzeugen berichten. In kurzer Hose joggen sie und hören dabei Musik.
Frauen im Iran haben männliche Verbündete wie kaum sonst andere Frauen in einem Land der Welt. Es sind ihre Väter, Brüder, Freunde, aber auch Journalisten, Liedermacher, Drehbuchautoren, Dokumentarfilmer und Spielfilmregisseure, Hochschullehrer und männliche Frauenrechtsaktivisten, die von den Nöten der Frauen berichten, sich ihrer Probleme annehmen und in ihren Drehbüchern und Romanen damit auseinandersetzen. Das negiert nicht, dass im Iran Frauenpeiniger leben, die „Ehrenmorde“ begehen, ihre Frauen und Kinder schlagen, sexuell belästigen und vergewaltigen. Es gibt aber sensibilisierte Männer, die für Frauenrechte demonstrieren, sich gegen den Schleierzwang einsetzen und Fotografien von sich selbst mit Schnurrbart und Kopftuch in die sozialen Netzwerke stellen.
Kürzlich beanstandete ein Menschenrechtsaktivist in Facebook, dass in seinem iranischen Ausweis der Name seines Vaters, aber nicht der seiner Mutter stehe. Er sei schließlich der Sohn von zwei Personen, bemerkte er ironisch, einem Mann und einer Frau! Und seine Mutter habe an seinem Leben mehr teilgehabt als sein Vater.
Frauen dürfen nicht öffentlich tanzen!
https://youtu.be/50wNMporgYY
Obwohl die islamische Regierung das Heiratsalter von Frauen auf 13 und für Jungen auf 15 Jahre in der Hoffnung herabgesetzt hat, dass dadurch mehr Kinder geboren würden, ist 43 Jahre nach der Revolution das durchschnittliche Heiratsalter im Iran um sieben Jahre gestiegen und liegt heute bei Frauen bei 25 und bei Männern bei 30 Jahren. In den vergangenen 40 Jahren sank die Geburtenzahl um beinahe 70 Prozent – in den USA, in Israel, England und Frankreich werden mehr Kinder geboren als im Iran.
Trotz aller rechtlichen Benachteiligung von Frauen – oder gerade deswegen – stellen sie über 60 Prozent der Hochschulabsolventinnen. Vieles dürfen sie nicht tun: diverse Sportarten ausüben, allein reisen. Also konzentrieren sie sich auf das, was sie dürfen: aufs Lernen! Und beweisen dabei, dass sie die Männer überholen können. Vor 10 Jahren war die Zahl der Absolventinnen sogar noch höher: Damals wurden Männerquoten für bestimmte Studienfächer festgesetzt, um zu verhindern, dass Frauen die Männer aus der Bildungsschicht verdrängen. Die Zahl der iranischen Schriftstellerinnen ist nach der Revolution von 11 auf über 28.000 gestiegen. Von den 17.000 Verlagen im Iran werden 4.000 von Frauen geführt. Und kaum noch ein Kinofilm entsteht, der nicht direkt oder indirekt die Diskriminierung der Frauen thematisiert und anklagt.
Die diskriminierenden Gesetze und Maßnahmen, die iranische Frauen aus der Gesellschaft verbannen und an Haus und Herd binden sollten, sind zum Bumerang geworden, der den Machthabern ins Gesicht fliegt.♦
© Iran Journal
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