Prostitution in der Islamischen Republik Iran

Wie gingen die islamischen Revolutionäre mit der Prostitution und den Sexarbeiterinnen im Iran um, und wie funktioniert das Geschäft mit dem Sex im Iran heute? Haben sich Angebot und Nachfrage vier Jahrzehnte nach der Machtübernahme der Ayatollahs verändert?

Von Nasrin Bassiri

Im Zuge der Revolution im Iran marschierten am 30. Januar 1979, knapp zwei Wochen vor der Machtübernahme von Ayatollah Ruhollah Chomeini, islamische Fanatiker in das traditionsreiche Rotlichtviertel von Teheran, Shahreno, ein. Zwar wurde der aufgebrachte Mob zunächst durch Soldaten des Schahs gestoppt. Doch die Tageszeitung Ettelaat berichtete am 31 Januar 1979: „Einigen gelang es trotz der Bemühung der Sicherheitskräfte, sich den Weg in das Viertel freizumachen. Sie setzten Geschäfte und Häuser in Brand. Infolgedessen wurden einige Menschen getötet und zahlreiche verletzt.“ Die Zeitung schrieb aber auch: „Gleichzeitig stellten manche der Demonstranten sich gegen den Mob und erklärten, die Prostituierten seien Opfer, die in Schutz genommen werden müssten.“

Der liberale Ayatollah Taleghani erklärte am 31. Januar 1979 den Angriff auf Shahreno zum „Unrechtssakt“: Die Frauen dort seien „Opfer der korrupten und vom Ausland abhängigen Diktatur“. Sie sollten sich künftig sicher fühlen können, so Taleghani: „Ihnen soll endlich die ihnen gebührende Menschenwürde zuteil werden.“ Der Ayatollah vermutete „Handlanger der Regierung“ hinter dem Sturm auf das Rotlichviertel und fragte: „Warum haben sie unsere ahnungslosen islamischen Brüder animiert, das Viertel zu stürmen? Das müssen wir herausfinden.“

Außer 2.400 Frauen samt ihren Kindern sollen damals auch etwa 9.000 Männer in dem Viertel gelebt haben, die in den Geschäften und Cafés oder als private Sicherheitsleute für die Chefinnen der Häuser gearbeitet hätten, wie Aligholi Foadzi, der Kommandant des zuständigen Revolutionskomitees, einige Monate nach der Revolution berichtete.

Sexualität und Islam

Nach dem Islam ist ein monogames Leben eine heilige Pflicht für muslimische Frauen. Ein männlicher Sunnit darf vier Frauen heiraten, schiitische Männer – im Iran leben hauptsächlich Schiit*innen – dürfen sich außerdem mit unzähligen weiteren Frauen in so genannten Zeitehen verbinden. Beim Abschluss einer Zeitehe legen die Partner im Vorfeld deren Dauer fest, die einige Minuten bis 99 Jahre betragen kann, und verständigen sich über eine feste Geldsumme, die der Gattin zusteht. Einen Anspruch auf weiteren Lebensunterhalt erhält sie, anders als bei der regulären Ehe, nicht.

Für junge und moderne Menschen im Iran, vor allem für die Frauen, klingt das gut. Sie können mit ihren Geliebten zusammenleben, ohne von Sittenwächtern belästigt zu werden, und sich ohne Einverständnis des Partners von ihm trennen, wenn sie es wünschen. Sie können lieben und geliebt werden, ohne dabei wegen sie benachteiligender Gesetze zu Menschen zweiter Klasse zu werden.

Für Traditionelle bedeutet die Zeitehe hingegen, dass ein gut situierter Mann, auch wenn er verheiratet ist, die Dienste von einer oder mehreren Frauen in Anspruch nehmen kann, die ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit verdienen. Diese erhalten für ihre Dienstleistungen einen einmaligen Geldbetrag. Die Gründe dafür, warum Frauen sich darauf einlassen, sind vielfältig. Sie gehören in der Regel unterprivilegierten Schichten an und handeln aus Not – um Schulbücher für ihren Kindern kaufen oder ein paar Monate sorglos leben zu können.

Prostitution im heutigen Iran

Es gibt keine amtliche Statistik über die Zahl der Sexarbeiterinnen im Iran. Das persischsprachige Onlineportal Eghtesaad24 schätzte im April 2021 die Zahl der iranischen Frauen, die diesem Beruf nachgingen auf „mehrere Millionen“: auf der Straße, durch Online-Inserate oder Agenturen. Die Nachrichtenseite Rouydad24 gab vor zwei Jahren die Zahl der „Vermittlungszentren“ in Teheran mit 8.000 an. Das Durchschnittsalter der Frauen ist demnach in den vergangenen acht Jahren von  20 Jahren auf „18 bis 12 Jahren“ gesunken. Laut Eghtesaad24 böten zudem häufiger auch verheiratete Frauen wegen der miserablen wirtschaftlichen Lage im Iran sexuelle Dienste an: mit Zustimmung des Ehemannes, um die Familie durchzubringen.

Die Nachrichtenagentur Rokna berichtete im Dezember 2019 von Frauen, die auf dem Teheraner Friedhof Beheshte Zahra in Grabhöhlen übernachteten und Sex für ein Falafelsandwich anböten. Sie nähmen die Kunden mit ins „Grab“ und bedienten sie dort. Didar News berichtete vor einem Jahr von Frauen, die so verzweifelt seien, dass sie ihre Körper für 50.000 Rial oder sogar für 20.000 Rial (umgerechnet 16 Cent und 6 Cent) verkauften.
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