Die Sehnsucht nach dem alten König
Im Rahmen des Dossiers „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“ stellt das Iran Journal mögliche Kandidaten für die Zeit nach einem eventuellen Sturz des islamischen Regimes vor. Beobachtungen des Politikwissenschaftlers Farid Fatemi* zur Stellung der Monarchisten in der iranischen Gesellschaft und zu ihren Chancen, wieder an die Macht zu kommen.
Eine alte Anekdote beschreibt treffend den gesellschaftlichen Stand der Monarchisten im Iran. Sie lautet so: Einen tyrannisch herrschenden König überkam im Sterbebett eine seltsame Frömmigkeit, die ihn seine Brutalität gegenüber dem Volk bereuen ließ. So bat er seinen Sohn, den Kronprinzen, als künftiger König dafür zu sorgen, dass das Volk ihm, dem Vater, verzeihen und im Guten an ihn denken werde. Der Vater starb und überließ dem jungen König eine Aufgabe, mit der er nicht fertig werden konnte. Er bat den erfahrenen Hofminister um Hilfe. Dieser riet ihm, noch despotischer zu regieren als der Vater. Diesem Vorschlag folgend drehte der junge König weiter an der Schraube der Gewalt und verbreitete im ganzen Land mehr als je zuvor Angst und Schrecken. So war sein Vater rehabilitiert. Selbst die Menschen, die den alten Despoten nicht erlebt hatten, dachten nun im Guten an ihn und sehnten sich nach den alten Zeiten zurück.
Die Könige der Pahlavi-Dynastie regierten den Iran mit eiserner Hand und schauten tatenlos zu, wie in einem der erdölreichsten Länder der Welt Armut und Ungerechtigkeit um sich griffen. Der letzte Schah, Mohammad Reza, hatte es mit seinem Geheimdienst SAVAK geschafft, jede Kritik im Keim zu ersticken. Am Ende seiner Herrschaft gab es offiziell nur eine – seine – Partei namens Rastakhiz, Wiederauferstehung. Der Schah schlug sogar vor, wer gegen diese Partei sei, solle das Land verlassen und in ein Land seiner Wahl auswandern.
Eine kastrierte „Zivilisation“
Die Pahlavi-Dynastie führte die „westliche Zivilisation“ in einem konservativ-paternalistischen Land ein, ohne zu berücksichtigen, dass diese „Zivilisation“ auf Reformen der Kirche und Gesellschaft basiert, auf politischen Freiheiten und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz; dass überdies unabhängige NGOs, Parteien und Gewerkschaften wichtige Bestandteile des westlichen Lebensstils sind. Den Iraner*innen wurde unter Mohammad Reza Schah nur die Oberfläche der westlichen Kultur zuteil. Sie durften Jeans tragen, in Bars Alkohol trinken, sich in modernsten Kinos die neuesten Hollywood-Produktionen anschauen, ausländische Autos fahren und den Sommer in modischen Badeanzügen am Kaspischen Meer verbringen. Aber sie hatten kein politisches Mitspracherecht, mussten sich statt dessen dem Slogan „Gott, Schah, Volk“ unterwerfen und nach den Vorstellungen des Regimes leben. Wer von Demokratie und Volksherrschaft sprach, wurde verhaftet und gefoltert. Es war sogar verboten, politische, sozialkritische oder aufklärerische Bücher zu schreiben oder zu lesen.
Und so verwandelten sich die Moscheen in konspirative Orte für einen Großteil der unzufriedenen Jugend – wo sie von der Geistlichkeit für deren eigenen Zwecke ausgenutzt wurde. Das Schah-Regime trieb die Mehrheit der Bevölkerung in die Arme der Ayatollahs. Diese genossen bis zur Revolution im Jahr 1979 bei unterschiedlichen Schichten der iranischen Gesellschaft hohes Ansehen – als Seelsorger und als Hüter des Islam, der als Religion des Friedens gepriesen wurde.
Der Ruf nach Reza Schah
43 Jahre später sieht der Iran wie das fiktive Land unter dem erwähnten jungen König aus: Die iranische Bevölkerung hat noch weniger politische Freiheiten, ist ärmer als vor der Revolution und wurde jeder persönlichen Freiheit beraubt.
So sehnen sich heute viele Iraner*innen nach den alten Zeiten.
Die Parole „Reza Schah, ruhe in Frieden“ ertönte 2017 erstmals auf Demonstrationen in verschiedenen Städten. Videos der sie rufenden, mehrheitlich jungen Protestierenden machten in den sozialen Netzwerken die Runde. Auch bei den Protesten im Jahr 2018 riefen vereinzelt Menschen Parolen für den gestorbenen König. Dies waren keine Wunschäußerungen, sondern verzweifelte Schreie einer verarmten, unterdrückten Masse, die keine Aussicht auf eine bessere Zukunft hat.
Es waren Hilfeschreie, und sie wurden gehört: von allen Schichten der Gesellschaft, allen Medien des Landes und allen Machtzirkeln der Islamischen Republik. Doch statt nach den Gründen der Proteste zu suchen und sie zu beheben, wappnete sich das Regime für die nächsten Demonstrationen, deren baldiges Aufkommen politische Expert*innen vorausgesagt hatten. Im November 2019 gingen Menschen, hauptsächlich aus der Unterschicht, in mehr als 100 iranischen Städten auf die Straße. Nun hörte man die Parole für den Gründer der Pahlavi-Dynastie noch häufiger und noch lauter als zuvor. Die Antwort des Regimes auf die Hilferufe der Unzufriedenen war scharfe Munition, Verhaftung und Folter. Mindestens 1.500 Menschen wurden getötet, mehrere Tausend verhaftet.
Schöne Bilder der Vergangenheit
In den sozialen Netzwerken nimmt die Zahl der Videos und Fotos aus der Zeit vor der islamischen Revolution rasant zu. Bilder von Frauen in Bikinis und Männern in Shorts, von tanzender Jugend in gemischten Diskos und glitzernden Talkshows im staatlichen
Fernsehen, von freizügig gekleideten Sängerinnen mit wunderschönen Stimmen oder Werbespots jener Firmen, die in den 1970er Jahren die neueste Mode, moderne Haushaltsgeräte und Auslandsreisen für einen erschwinglichen Preis anboten – kurz, von allem, wovon etwa 85 Prozent der Iraner*innen heute träumen. Warum diese Zahl? Weil zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung – Angehörige des Regimes und der superreichen Bazaris – in Saus und Braus leben.
Ein Kollege erzählte von einem Vorfall, der typisch ist für die Denkweise vieler junger Iraner*innen heute. In einem Seminar hatte er unter anderem erwähnt, in den sozialen Netzwerken und den Programmen der populären, im Ausland stationierten persischsprachigen Fernsehsender würden erschreckende Bilder der Zeit vor der Revolution nicht gezeigt, etwa von den verarmten Massen in den Slums am Rande der Großstädte und den hingerichteten oder gefolterten politischen Gefangenen. Die Mehrheit seiner Student*innen habe ihn daraufhin gefragt, ob ihm nicht bewusst sei, dass die Armut heute ein unvorstellbares Ausmaß angenommen habe, dass die Qualität und Quantität der staatlichen Gewalt das Vorstellbare überschritten hätte, Verhaftung, Folter und Hinrichtung an der Tagesordnung seien und dass der Iran damals im Vergleich zu heute ein Paradies gewesen sein müsse.
Wir sind also wieder bei der anfangs erwähnten Anekdote. Ja, die Brutalität und die Verbrechen des islamischen Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung und in der Region erzeugen Nostalgie, Sehnsucht nach persönlicher Freiheit, nach völlig selbstverständlichen Rechten wie tanzen oder über die eigene Kleidung selbst entscheiden zu können – wie in der Zeit der Herrschaft des Diktators Mohammad Reza Schah.
Fortsetzung auf Seite 2