Meilensteine auf dem Weg zur Gleichstellung

Seit vierzig Jahren kämpfen iranische Frauen gegen islamische Gesetze, die sie diskriminieren – mit unterschiedlichen Kampagnen und wechselnden Erfolgen. Ein Überblick.

Von Mansoureh Shojaee*

2006 wurde im Iran die Kampagne „Eine Million Unterschriften“ ins Leben gerufen, die sich gegen Gesetze wendet, die Frauen diskriminieren. Sie erlangte innerhalb von drei Jahren internationalen Ruhm und stellte der Welt zugleich einflussreiche Aktivistinnen aus dem Iran vor. Damals wurde weder nach dem Entstehungsprozess noch den Hintergründen dieser fortschrittlichen Kampagne gefragt.

Davor gab es unter Iranerinnen traditionell Aktivitäten in Form von Wohltätigkeitsaktionen oder Zusammenkünfte von Müttern politischer Gefangener oder von Opfern der Todesstrafe. Anders als diese waren und sind die Protestkampagnen für gesetzliche Gleichstellung jedoch strukturierte und flächendeckende Bewegungen.

Die Kampagne „Eine Million Unterschriften“ ging aus dem „Symposium der Frauen“ hervor, das 2003 stattfand, nachdem die iranische Anwältin und Menschenrechtlerin Shirin Ebadi mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. An der aus diesem Anlass organisierten Veranstaltung nahmen Vertreterinnen verschiedener Frauenvereine – darunter islamische ebenso wie säkulare – teil.

Im praxisorientierten Programm des Symposiums ging es unter anderem um die Priorisierung der Forderungen der iranischen Frauenbewegung. Eines der Ergebnisse war eine große Kundgebung, die am 12. Juni 2005, in der letzten Amtswoche von Präsident Mohammad Khatami, vor der Universität Teheran stattfand. Dieser Protest richtete sich gegen diskriminierende Paragrafen des iranischen Grundgesetzes, darunter der Paragraf 115, demzufolge ausschließlich Männer das Amt des Präsidenten bekleiden dürfen.

Der reformorientierten Regierung von Mohammad Khatami folgte die von Mahmoud Ahmadinedschad (2005 – 2013). Die Schritte der Unterdrücker waren ab diesem Zeitpunkt immer deutlicher zu hören. Die Teilnehmerinnen des Symposiums entschlossen sich deshalb, 2006 den 12. Juni als Jahrestag ihres Protestes zu feiern. Diesmal wurden das Familiengesetz und die Polygamie an den Pranger gestellt. Die Initiatorinnen waren der Meinung, dass ein öffentlicher Straßenprotest die Gefahr der Niederschlagung verringern würde.

Die Dichterin Simin Behbahani (re.) war eine der prominenten Unterstützer*innen der Kampagne Eine Million Unterschriften - im Foto interviewt Mansoureh Shojaee die berühmte Dichterin
Die Dichterin Simin Behbahani (li.) war eine der prominenten Unterstützer*innen der Kampagne Eine Million Unterschriften – im Foto interviewt Mansoureh Shojaee die berühmte Dichterin!

Marokkanische Feministinnen als Vorbild

Kurz vor der Zusammenkunft wurden die Menschen auf den Straßen mit Broschüren über die Diskriminierung informiert. Doch der Protest am 12. Juni 2006 wurde brutal niedergeschlagen. Viele Teilnehmer*innen wurden verhaftet. Weniger als drei Monate später meldete sich die Protestbewegung jedoch mit der Kampagne „Eine Million Unterschriften“ im Kampf zur Beseitigung diskriminierender Gesetze zurück.

Vorbild war eine Kampagne marokkanischer Feministinnen gegen die Mehrehe. Ziele und Programm wurden entsprechend den Bedürfnissen von Frauen insbesondere in islamisch regierten Ländern definiert. Zwar erreichte die Kampagne ihre Ziele nicht, doch wurden die Bedürfnisse iranischer Frauen ins kollektive Bewusstsein gebracht und verschiedene gesellschaftliche Schichten damit konfrontiert. Dies rief in der öffentlichen Haltung zu dem Thema tiefgreifende Veränderungen hervor.

Diese positive Erfahrung entwickelte sich zum Ausgangspunkt weiterer Kampagnen, etwa gegen die Steinigung von Frauen. Diese konnte die Öffentlichkeit erfolgreich gegen die barbarische Bestrafung sensibilisieren.

Auch die Langzeit-Kampagne für den Zutritt von Frauen in Sportstadien wurde im Jahr 2006 gegründet. Sie trug 2019 Früchte: Die Iranerinnen durften bei einem Fußballländerspiel in Teheran unter Einschränkungen dabei sein – gleichwohl nach einem bitteren Vorfall, den die Frauenbewegung im Iran nie vergessen wird: Kurz vor dem Länderspiel hatte sich Sahar Khodayari aus Protest gegen ihre Freiheitsstrafe in Brand gesetzt. Die junge Frau war wegen des Besuchs eines Fußballspiels zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Die Kampagne „Nein zum Entwurf des Familiengesetzes“ zeigte im Gegensatz zu der für den Zutritt von Frauen in Stadien kurzfristig Wirkung. Sie blockierte im Sommer 2008 erfolgreich einen Gesetzentwurf, der den Weg zur Polygamie für Männer noch einfacher gemacht hätte. Im Bürgerlichen Gesetzbuch des Iran ist Polygamie für Männer erlaubt.

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