Iran – Israel: Folgen der gegenseitigen Angriffe aus Sicht der Teheraner

Iranerinnen und Iraner beschäftigen dieser Tage hauptsächlich zwei Themen: wie zerstörerisch die Vergeltungsaktionen Israels gegen ihr Land sein werden und wie weit die verheerende Inflation durch den drohenden Krieg noch steigen kann. Ein Bericht der Sozialaktivistin Afra* aus Teheran.

Der Drohnen- und Raketenangriff der Islamischen Republik Iran auf Israel hat unter Iranern Ängsten und Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Eine riesige Flut von Gerüchten überschwemmt den Cyberspace und bestimmt die Gespräche in der iranischen Hauptstadt Teheran. Auch der Gegenangriff Israels auf eine Militäreinrichtung in der iranischen Stadt Isfahan in der Nacht zum Freitag beruhigt die Menschen nicht.

Der Mangel an glaubwürdigen und zuverlässigen Medien im Iran, die genaue und aktuelle Informationen liefern können, das Fehlen einer wirklichen Opposition im Parlament sowie die große Zahl von Politikern und Beamten, die nur die Worte des Staatsoberhaupts Ali Khamenei und seiner Anhänger wiederholen, veranlassen die Menschen dazu, die gefährlichen Vorfälle in beiden Ländern selbst zu analysieren und zahlreiche Schlussfolgerungen zu ziehen.

Das Regime hat alle, die den „Erfolgs“ des iranischen Angriffs auf Israel, sei es in den Medien oder in den sozialen Netzwerken, infrage stellen, zu „Handlangern Israels“ erklärt und angekündigt, diese juristisch zu verfolgen. Dass die Menschen sich auf den Straßen, in den U-Bahnen, Taxis, Supermärkten, Universitäten und sogar in alltäglichen Gesprächen in den Familien ständig mit dem Thema beschäftigen, zeigt ihre Verwirrung und Angst. Sie sind verunsichert, denn sie wissen nicht, was als Nächstes mit ihnen geschieht, und verstehen nicht den Sinn eines Krieges gegen Israel und seine Verbündeten.

Der Iran ist isolierter

Viele Iraner haben jedoch bemerkt, dass sich kein Land bei dem Angriff vom 14. April auf die Seite des Irans gestellt hat. Selbst die syrische Regierung , für deren Überleben die Islamische Republik Milliarden von Dollar aus den Taschen der iranischen Bevölkerung hat, oder die Regierungen des Irak, Russlands und Chinas, die sich als Freund und Unterstützter der Islamischen Republik etabliert haben, schweigen. Jordanien und nach Angaben mancher Beobachter auch Saudi-Arabien haben Israel beim Abfangen und Neutralisieren der Drohnen und Raketen des iranischen Regimes geholfen. Die Menschen fragen sich, warum mit Ausnahme der Taliban in Afghanistan keine Regierung und nicht einmal  gemäßigte palästinensische Gruppen sich über den Angriff des iranischen Regimes gefreut haben. Das Gegenteil ist geschehen: Zahlreiche Länder haben den Angriff verurteilt und beteuern ihre Solidarität zu Israel.

Die Teheraner wissen, dass der Iran jetzt mehr als vor dem Angriff isoliert ist.

„Zufrieden stellen der Anhänger“

 Einige Menschen auf den Straßen Teherans glauben, dass die Islamische Republik den Anschlag nur verübt habe, um ihren Anhängern einen Gefallen zu tun. Sie glauben, dass die schwache Reaktion des iranischen Regimes nach der Tötung von Qassem Soleimani durch die USA und das Vorgehen der Netanyahu-Regierung gegen Stellungen der Revolutionsgarde (IRGC) in Syrien und im Libanon eine Welle der Bestürzung unter ihren Anhängern ausgelöst hätte. Um diese zufriedenzustellen und so das Leben der islamischen Diktatur im Iran zu verlängern, sei Ali Khamenei zu der Maßnahme gezwungen gewesen. Der Angriff auf Israel sei eine Show ohne Konsequenzen, sagen viele unverblümt in der Öffentlichkeit.

Die Anhänger des Regimes freuen sich über den Angriff auf Israel
Die Anhänger des Regimes freuen sich über den Angriff auf Israel

„Ablenkung von inländischen Problemen

Nicht wenige glauben, dass das islamische Regime versucht, durch eine militärische Eskalation mit Israel die öffentliche Aufmerksamkeit im Iran vom wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes abzulenken. Angesichts des beispiellosen Verfalls der iranischen Währung Rial, die gegenüber dem US-Dollar nach dem Angriff auf Israel erneut um mehr als 15 Prozent gesunken ist, wird angenommen, dass die Islamische Republik bald gezwungen sein wird, die Benzinpreise zu erhöhen, was mit Sicherheit wie 2019 zu Protesten führen würde.

Ob das Regime bei erneuten landesweiten Protesten gestürzt oder noch brutaler als bisher reagieren wird, hängt von der internationalen Reaktion ab. Denn die Fundamente des Khamenei-Regimes sind derart ins Wanken gekommen, dass sie Proteste wie die nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 nicht mehr aushalten könnten. Es gibt sogar innerhalb der islamischen Hardliner und der Revolutionsgarde keine einheitliche Meinung über den innen- und außenpolitischen Kurs des Regimes. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass es mit einem langanhaltenden Aufstand der verarmten Massen zusammenbrechen würde.

Hohe Kosten – für was?

Es gibt viele Spekulationen. Aber Fakt ist, und darin scheint sich die Mehrheit der Bevölkerung einig zu sein, dass die Raketen und Drohnen, die von iranischem Boden auf  Israel abgefeuert  wurden, mit Geldern finanziert werden, die den immer ärmer werdenden Schichten der Bevölkerung zugutekommen könnten. Nach Angaben von Militärexperten wurden bei dem Angriff mindestens 500 Millionen Dollar für Waffen ausgegeben, von denen 99 Prozent außerhalb Israels vernichtet wurden.

Der Kursverfall der iranischen Währung Rial gegenüber des US-Dollars ist gravierend - Foto: https: www.alef.ir
Der Kursverfall der iranischen Währung Rial gegenüber des US-Dollars ist gravierend – Foto: https: www.alef.ir

Die Iraner fragen: Wie hoch ist der Schaden Israels und was hat der Iran dafür gewonnen? Israel tötete am 1. April sieben hochrangige IRGC-Offiziere bei einem Angriff auf das iranische Konsulatsgebäude in Damaskus. Der Angriff vom 14. April auf Israel soll eine Vergeltungsmaßnahme gewesen sein. Wie viele israelische Soldaten sind bei dem Angriff getötet worden, wie viele Regierungsgebäude in Israel wurden zerstört?

Israel schweigt in der Regel bei solchen Anlässen. Aber haben die Islamische Republik und ihre Stellvertreter-Gruppen nicht genug Informanten innerhalb Israels, um das Ausmaß des Schadens für den Feind zu berechnen?

Die Menschen brauchen Antworten. Wenn sie die nicht bekommen, werden sie mehr denn je dem Regime den Rücken kehren.

Der Krieg des Regimes für den Islam

Aus meinen persönlichen Beobachtungen in den Jahren meines sozialen Aktivismus sowie aus dem, was im Iran lebende Aktivistinnen und Aktivisten in den sozialen Medien veröffentlichen, kann ich schließen, dass sich die Mehrheit der iranischen Bevölkerung keinen Krieg mit Israel wünscht. Die Menschen im Iran tragen noch die Folgen des achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980 – 1988) und der Sanktionen, die durch die Feindschaft des Regimes gegen Israel und den Westen entstanden sind. Aber die Islamische Republik hat nie an die gesamte Bevölkerung des Iran gedacht. Sie war immer im Dienst der radikalen Muslime innerhalb und außerhalb des Iran. Dabei leben die Familien vieler Staatsmänner, sogar der Hardliner, in Europa und Amerika.

Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand kann mit einer einfachen Rechnung zu dem Schluss kommen, dass die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme des Iran nicht durch die Vernichtung Israels gelöst werden. Deshalb geschieht dieser Krieg nicht nach dem Willen des iranischen Volkes, sondern zur Befriedigung der radikalen Muslime und anderer Gegner Israels in der ganzen Welt.  

Für das islamische Regime macht es keinen Unterschied, ob beim Erreichen seiner Ziele – unter anderem die Vernichtung Israels – das Blut nicht-regimetreuer Iraner oder das von Israelis vergossen wird. Israel und die demokratischen Länder, die es unterstützen, müssten das wissen. Und sie sollten wissen, dass ein direkter Krieg gegen den Iran die Gegner und Kritiker des Regimes schwächen und das Leben des mittelalterlichen Systems verlängern wird.♦

*Afra ist eine Sozialaktivistin in Teheran, die immer wieder für das IranJournal schreibt.

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