Feiern oder fasten: Iran zwischen religiösen und heidnischen Riten
In diesem Jahr fand das dreizehntägige Neujahrsfest Nowruz der Iraner:innen im Fastenmonat Ramadan statt, und das drei Tage dauernde Ritual anlässlich des Mordes an Ali, dem ersten schiitischen Imam, kollidierte mit dem Freudentag „Sizdah-bedar“. Wie das Regime mit diesem Problem umgegangen ist, beschreibt die in Teheran lebende Sozialaktivistin Afra*.
„Die Vermischung der spirituellen Stimmung des Fastenmonats Ramadan mit der fröhlichen Stimmung des Neujahrsfestes verdoppelt die Schönheit der Vergebung und des Vergessens der Feindseligkeit.“ „Wir nehmen die Gleichzeitigkeit des Nowruzfestes und des Ramadan als gutes Omen und verbinden den Beginn des neuen Jahres mit dem Segen und der Rezitation des Korans.“ „Die Gleichzeitigkeit des Fastenmonats und des Nowruz-Festes in diesem Jahr ist für uns eine Gelegenheit, mit dem Licht des Glaubens zu leuchten und mit den Blüten der Erkenntnis und Tugend geschmückt zu sein.“
Diese Äußerungen sind nur einige Beispiele für die Bemühungen der Behörden und der staatlichen Medien der Islamischen Republik Iran, das vorislamische Neujahrsfest Nowruz zu Beginn des neuen iranischen Jahres am 20. März mit gleichzeitig stattfindenden religiösen Feiertagen in Einklang zu bringen. Doch solche Propaganda der Machthaber beachten nur die Regimetreuen im Land. Und der Rest?
Fasten versus Schmausen
Im Gegensatz zu den meisten islamischen Ländern, deren größte Feiertage religiöse sind, ist die größte Feier der Iraner:innen das vorislamische Neujahrsfest Nowruz. Es geht Tausende von Jahren vor die Islamisierung des Irans zurück. Die Feierlichkeiten ebenso wie die Schulferien zu Nowruz dauern dreizehn Tage. In dieser Zeit besuchen sich Familien und Freunde und genießen den Tag mit Süßigkeiten, Obst und Getränken. Viele Menschen reisen auch in wärmere Gebiete, in iranische Küstenstädte oder ins Ausland.
Im Monat Ramadan halten sich gläubige Muslime streng an die Regeln des Fastens, die das Essen, Trinken und Rauchen tagsüber verbieten. Seit der Machtübernahme der Islamisten im Jahr 1979 stehen öffentliche Verstöße gegen diese Regeln unter Strafe und werden gemäß Artikel 638 des islamischen Strafgesetzbuches juristisch verfolgt.
Die Inkongruenz zwischen Sonnen- und Mondkalender führt dazu, dass traditionelle vorislamische und islamische Zeremonien von Zeit zu Zeit in den gleichen Zeitraum fallen. Alle religiösen Feiertage im Iran sind nach dem Mondkalender, nicht-religiöse Riten jedoch nach dem Sonnenkalender festgelegt. Dass das Nowruz-Fest in diesem Jahr im Fastenmonat Ramadan stattfand, hat bei der Bevölkerung und den verantwortlichen Behörden der Islamischen Republik für Verwirrung gesorgt. Einerseits muss die Regierung sich an die islamischen Vorschriften halten, andererseits wissen die Regierenden, dass die Menschen sehr viel Wert auf das Nowruz-Fest legen und dessen Verbot zu Unruhen führen könnte.
In den vergangenen 45 Jahren seit der Revolution hat die Regierung ihr Bestes getan, um unislamische Feiern einzudämmen – bisher allerdings ohne Erfolg. Seit dem ersten Tag des Neujahrsfestes am 20. März werden Videos in den sozialen Medien gepostet, die zeigen, dass unzählige Bürger:innen sich an nicht-religiösen Stätten wie Hafezieh und Persepolis in Shiraz versammeln und ausgiebig das Nowruz-Fest feiern.
Trauer oder Freude?
Der Höhepunkt des Konflikts zwischen religiösen Zeremonien und Nowruz ist ein Jahrtausende alter Brauch namens „Sizdah-bedar“, mit dem das Nowruz-Fest endet („sizdah“ bedeutet dreizehn und „bedar“ heißt im übertragenen Sinne „den Tag fröhlich verbringen“ – d. Red.). In diesem Jahr fiel „Sizdah-bedar“ mit der Ermordung des ersten schiitischen Imams, Ali-ibne-Abi-Talib im Jahr 661 nach Chr. zusammen. Die meisten Iraner:innen, die an den Islam glauben, verbringen Alis Todestag bei Trauerzeremonien in Moscheen und auf den Straßen, feiern aber „Sizdah-bedar“ im Grünen, meist in den Bergen und an den Seen, mit ihren Familien, mit Musik sowie Karten- und anderen Spielen. Doch in diesem Jahr fielen diese Feiertage zusammen: Beide fanden am 1. April statt.
In der zweiten Märzhälfte warben viele Menschen, die sich mehr um traditionelle Riten als um religiöse Rituale kümmern, in den sozialen Medien für das Abhalten der „Sizdah-bedar“-Zeremonie. Radikale Islamisten einschließlich der Repressionskräfte des Regimes bedrohten sie daraufhin. Nachrichten-Websites, die dem Regime nahstehen, kündigten an, dass alle Freizeitzentren und öffentliche Parkanlagen an diesem Tag geschlossen bleiben würden, was von Irans Innenminister Ahmad Vahidi umgehend dementiert wurde. Am Samstag schrieb er auf X, in seinem Ministerium sei „keine Entscheidung über Schließungen der Freizeitzentren und Parkanlagen getroffen“ worden.
Das Ministerium für Kulturerbe wiederum gab bekannt, dass am 1. April „alle Museen sowie nicht-religiöse und historische Stätten, die vom Ministerium betreut werden, geschlossen“ seien. Auch in verschiedenen Medien wurde angekündigt, dass an „Sizdah-bedar“ in Teheran alle Parks und andere Vergnügungsanlagen tagsüber geschlossen sein würden. Für den Abend nach dem Fastenbrechen habe man jedoch Unterhaltungsprogramme vorgesehen. Auch das wurde von offiziellen Stellen dann wiederum dementiert – offensichtlich wussten die Verantwortlichen selbst nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten.
Feiern nicht möglich
Nachrichten und Videos in den sozialen Medien zeigen, dass in vielen Teilen des Iran am 1. April Polizist:innen und andere Sicherheitskräfte mobilisiert wurden, um die Bürger:innen daran zu hindern, den 13. Tag des neuen Jahres zu feiern. Im Teheraner Mellat-Park stießen die Menschen auf eine große Zahl von Polizist:innen, in anderen Städten wurden Routen, die zu Freizeitzentren oder historischen Stätten innerhalb oder außerhalb der Stadt führen, gesperrt.
Videos aus Kermanshah, Shiraz und nordiranischen Städten zeigen, wie die Polizei Straßen sperrt und öffentliche Plätze kontrolliert, während Schlangen von Autos auf die Weiterfahrt warten. Videos im Cyberspace zufolge gab es an den Ufern des Kaspischen Meeres, der Küste des Persischen Golfs und einigen historischen Stätten gewalttätige Konfrontationen zwischen den Schlägertrupps der Regierung und Menschen, die den Festtag begehen wollten.
Andere Videos zeigen, dass entgegen den Anordnungen der Islamischen Republik in Einkaufszentren und Fastfood-Restaurants unverschleierten Frauen Essen und Getränke serviert werden. Diese Videos sind zwar älter als die von „Sizdah-bedar“, wurden aber im Fastenmonat aufgenommen. Es gibt sogar Berichte darüber, dass Manager von Restaurants und Einkaufszentren in Teheran einzelne Basidschi (Angehörige der Schlägertrupps des Regimes – d. Red.) vertrieben hätten.
Ob in diesen Videos, aus Berichten von Sozialaktivist:innen oder täglichen Nachrichten in den Sozialen Netzwerken: Auffällig im diesjährigen Fastenmonat ist die Solidarität der Menschen untereinander gegen die Kräfte der Regierung.
Die Angst der Menschen vor den Agenten und Schlägertrupps des Regimes hatte schon mit den landesweiten Protesten nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini auffällig abgenommen. Allem Anschein nach geht sie noch weiter zurück.♦
*Afra ist ein Pseudonym, unter dem eine im Iran lebende Aktivistin für das Iran Journal schreibt.
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