Ein „Schreckensszenario“ für die Zeit nach Khamenei

Seitdem Ali Khamenei die unantastbare Macht innerhalb des islamischen Regimes übernommen hat, bemüht er sich, öffentlich keine Person oder politische Strömung zu unterstützen. Seine persönliche Meinung offenbart der Revolutionsführer nur in Gesprächen mit seiner treuen Gefolgschaft – die zum Teil nach außen drangen.

Bei seiner ersten öffentlichen Rede nach dem Ausbruch der Proteste gegen die umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen 2009 musste Ali Khamenei jedoch wenigstens teilweise sein wahres Gesicht zeigen. Damals sagte er deutlich, dass seine Weltanschauung mehr mit der Mahmud Ahmadinedschads in Einklang stehe als mit der der konkurrierenden Kandidaten Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi.

Das brachte die Gerüchteküche zum Brodeln: Khamenei habe sich unter dem Einfluss seines Sohns Modschtaba von seinen langjährigen Weggefährten distanziert und Ahmadinedschad angenähert. Modschtaba und Ahmadinedschad sollen gute Kontakte zueinander pflegen. Nach Angaben iranischer und kuwaitischer Medien sollen sie sich Anfang Januar dieses Jahres getroffen und über eine erneute Kandidatur des ehemaligen Präsidenten bei den Wahlen im Mai 2021 gesprochen haben.

Bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2005 wurde über die angebliche Einflussnahme von Modschtaba Khamenei gemunkelt. Damals soll er zusammen mit dem Chef des Geheimdienstes der Revolutionsgarde den Siegeszug des zu der Zeit noch wenig bekannten Teheraner Oberbürgermeisters Ahmadinedschad vorbereitet haben. Dies hatte auch Mehdi Karroubi in seinem Protestschreiben an Khamenei festgehalten. Karroubi war sowohl 2005 als auch 2009 einer der Gegenkandidaten Ahmadinedschads.

Diese wenigen Beispiele deuten auf Modschtabas Schlüsselrolle hin, sowohl bei Entscheidungen des mächtigen Büros seines Vaters als auch durch direkte Einflussnahme auf den alten, kranken Mann.

Und solche Hinweise auf die Rolle von Modschtaba Khamenei bei politischen Entscheidungen verdichteten sich in den vergangenen Jahren. Etwa in dem Buch Die Geschichte eines Rücktritts, dessen Publikation im Iran nicht genehmigt wurde und das deshalb nur online zu finden ist. Darin beschreibt der frühere Intendant des staatlichen iranischen Rundfunks, Mohammad Sarafraz, detailliert den Einfluss von Modschtaba Khamenei auf das Management des Staatsrundfunks. Sogar ein beliebtes Sportprogramm soll auf seine direkte Anweisung hin eingestellt worden sein. Sarafraz‘ Enthüllungen wurden von Modschtaba Khamenei weder bestätigt noch dementiert.

Mit solchen Bildern wird Modschtaba Khameneis Nähe zum Volk demonstriert
Mit solchen Bildern wird Modschtaba Khameneis Nähe zum Volk demonstriert

Laut dem iranischen Grundgesetz ist der Expertenrat für die Ernennung des religiösen Oberhaupts zuständig. Der entsprechende Paragraf könnte jedoch aus Gründen der Staatsräson außer Kraft gesetzt werden. Der Gründer der Islamischen Republik, Ayatollah Ruhollah Khomeini, schrieb der Erhaltung des Regimes absolute Priorität zu. Mich würde es nicht wundern, wenn einen Tag nach Khameneis Tod ein Schreiben oder ein Video von ihm auftauchen würde, in dem er seinen Sohn zum Nachfolger ernennt.

Was uns die Geschichte gelehrt hat

Bisher kam das Treffen mit meinem Verleger-Freund coronabedingt nicht zustande. Deshalb teile ich hier meine Gedanken mit Euch, um nicht zu vergessen, was ich ihm erzählen will.

Ja, die Geschichte hat uns gelehrt, dass bei Machtübertragungen im Nahen Osten, dieser von Unheil heimgesuchten Region, der Faktor Erbe eine signifikante Rolle spielt. Ja, wir wissen, dass die Tyrannen unserer Region die Menschen als Schafe in der Obhut eines allwissenden Hirten betrachten. Dennoch ist nicht sicher, ob die Islamische Republik nach dem Ableben des Despoten Ali Khamenei in ihrer jetzigen Form, ja, ob sie überhaupt weiter bestehen wird.

Was die Zeit nach Ali Khamenei angeht: Es gibt einige Personen, die als seine Nachfolger in Betracht kämen. Dazu gehören der derzeitige Präsident Hassan Rouhani und Hassan Khomeini, der Enkel des Gründers der Islamischen Republik, sowie der Vorsitzende des sogenannten Schlichtungsrats, Sadegh Laridschani, und Justizchef Ebrahim Raisi. Sie sind allerdings genauso für die Gräueltaten der Islamischen Republik verantwortlich wie Ali Khamenei.

Modschtaba hat offiziell keine praktischen Erfahrungen. Dies könnten seine Rivalen aufgreifen, um ihn aus dem Rennen zu drängen. Doch einerlei, wer nach Ali Khamenei der stärkste Mann des Iran sein wird: Solange die Geschicke des Landes von einem „Vertreter Gottes“ bestimmt werden, werden sich viele wie in den letzten 42 Jahren die Augen ausweinen müssen. Eine andere gewichtige Alternative ist derzeit nicht in Sicht.

Ja, der Aufstand der Massen wäre eine Option. Aber die Geschichte hat uns auch gezeigt, dass er nicht immer gut endet.

Was die geheimnisvollen Propagandaposter für Modschtaba angeht: Die Teheraner Stadtverwaltung hat sie entfernen lassen. Und die Polizei hat „einige Arbeiter“ verhaftet, die von „Unbekannten“ für die Verteilung der Plakate Geld bekommen haben sollen.

*Maziyar Roozbeh ist ein Pseudonym, um den Autor zu schützen. Der Publizist, Dichter und Übersetzer lebt in Teheran.

Aus dem Persischen übertragen von Iman Aslani.

© Iran Journal

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