Iran, Israel und Russland im Syrien-Konflikt
Russland und Israel verfolgen in Syrien gemeinsame Interessen: Sie wollen der iranischen Expansionspolitik Grenzen setzen, sagt der Nahost-Experte Markus Bickel.
Das Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Israels Regierungschef Naftali Bennett in Sotschi war warm und herzlich. „Ich kann Ihnen im Namen der Bürger Israels sagen, dass wir Sie als einen wahren Freund des jüdischen Volkes betrachten“, sagte Bennett bei der ersten Zusammenkunft der Beiden Ende Oktober in der Stadt am Schwarzen Meer. Putin bezeichnete die russisch-israelischen Beziehungen als „einzigartig“ und bekräftigte, dass „unser Dialog und unsere Beziehungen auf einer sehr tiefen Verbindung zwischen unseren Völkern beruhen“.
Vier Monate nach dem Amtsantritt der neuen israelischen Regierung bot der Besuch Bennett die Gelegenheit zu beweisen, dass das gute Verhältnis zwischen beiden Staaten ungeachtet des Abschieds von Benjamin Netanjahu als Regierungschef in Jerusalem gilt.
Dass das gute Verhältnis auch in schwierigen Situationen trägt, machten Putin und Bennett ebenfalls klar – nicht zuletzt mit Blick auf Syrien, wo Israel ein weiteres Erstarken iranischer Milizen verhindern will, während Russland seit seiner Intervention in den Krieg 2015 fest an der Seite von Präsident Baschar al-Assad steht. So merkte Putin an, dass es trotz einiger Probleme in Bezug auf die Situation in Syrien „auch Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten der Zusammenarbeit“ gebe, „insbesondere im Hinblick auf den Kampf gegen den Terrorismus“.
Diese Linie hatten bereits im September der neue israelische Außenminister, Jair Lapid, und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow vorgegeben. „Wir sind dagegen, dass Syrien zu einem Schauplatz der Konfrontation zwischen dritten Parteien wird“, so Lawrow in Moskau. „Deshalb wollen wir nicht, dass das syrische Gebiet für Angriffe gegen Israel oder eine andere Partei genutzt wird.“
Hunderte Angriffe auf proiranische Stellungen in Syrien
Um sicherzustellen, dass sich israelische Luftwaffe und russische Truppen in Syrien nicht in die Quere kommen, ist seit längerem ein sogenannter „militärischer Entflechtungsmechanismus“ zwischen Russland und Israel in Kraft. Dieser sieht regelmäßige Treffen zwischen Offizieren beider Seiten vor und einen direkten Draht zwischen den Kommandozentralen der israelischen Militärführung und der russischen Armee. 2018 waren die russisch-israelischen Beziehungen durch den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs auf eine harte Probe gestellt worden, als syrische Streitkräfte auf einen israelischen Luftangriff reagierten und dabei ein russisches Aufklärungsflugzeug mit israelischen Jets verwechselten. Alle 15 Mitglieder der russischen Besatzung starben.
Die jüngsten Treffen auf höchster Ebene zeigen, dass diese Zeiten in der Vergangenheit liegen – und auch von den bilateralen Spannungen nichts übriggeblieben ist, die noch im Sommer durch Äußerungen des russischen Konteradmirals Vadim Kulit, dem stellvertretenden Leiter des Russischen Zentrums für Versöhnung der gegnerischen Parteien in Syrien, befördert wurden. Kulit hatte im Juli behauptet, die syrische Armee hätte mit Hilfe russischer Luftabwehrraketen mehr als zehn israelische Raketen nahe Aleppo und Homs abgeschossen. Das nährte Spekulationen, dass Russland Israels Stellvertreterkrieg gegen den Iran in Syrien nicht länger zu dulden bereit sei.
Seit Beginn des Krieges in Syrien vor zehn Jahren hat Israel Hunderte Angriffe auf Stellungen proiranischer Milizen geflogen. Auch Waffentransporte an die vom Iran finanziell und politisch abhängige libanesische Hisbollah sind immer wieder Ziel der israelischen Luftwaffe. Allein im Oktober und November kam es zu sieben Angriffen auf Kommandozentren und Konvois in der Nähe von Homs und Tartus unweit des russischen Luftwaffenstützpunkts Khmeimim.
Nur selten gelingt es der syrischen Armee, israelische Raketen mithilfe von aus Russland bezogenen veralteten SA17- und SA22-Luftabwehrsystemen zu treffen. Anfang September etwa landete ein Abwehrgeschoss unweit von Tel Aviv; die israelischen F16-Kampfflieger, die zuvor Dutzende Raketen rund um Damaskus abgefeuert hatten, kehrten unbeschadet an ihre Stützpunkte zurück.
Kulits Hinweis, dass im Juli russische Mittelstrecken-Verteidigungsraketen vom Typ BUK 2ME eingesetzt wurden, wird inzwischen so interpretiert, dass Moskau die Machtwechsel in Washington und Jerusalem nutzen wollte, um das Verhältnis zwischen Bennett und US-Präsident Joe Biden zu testen. Nach dem Treffen Bennetts und Putins ist klar: Weder Moskau noch Jerusalem sind daran interessiert, die bisherigen Spielregeln in Syrien zu ändern.
Putin will gute Beziehungen zu Israel – auch nach Netanjahu
Das heißt, dass Russland wie seit Beginn seiner Militärintervention 2015 Machthaber Baschar al-Assad darin unterstützt, die vollständige Souveränität über sein Territorium zurückzugewinnen – Seite an Seite mit dem Iran, der durch die Entsendung seiner Revolutionsgarden und der Hisbollah die Niederschlagung oppositioneller Milizen sicherte. Und Israel kann weiter unbehelligt von russischer Kritik Angriffe auf Waffenkonvois an die Hisbollah und Stellungen proiranischer Milizen fliegen.
Völlig frei von Konflikten ist das Verhältnis zwischen den beiden Assad-Verbündeten Iran und Russland ohnehin nicht. Insbesondere in der Grenzregion zu Jordanien und Israel, wo der Aufstand gegen die Assad-Diktatur 2011 begann: Zwar sieht ein von Moskau vermitteltes Waffenstillstandsabkommen von September die Rückkehr syrischer Regierungstruppen in die Stadt Daraa al-Balad sowie die Eingliederung von Oppositionsmilizen in die regulären Streitkräfte vor. Doch anders als vom Regime in Damaskus angestrebt, wird dem Einzug proiranischer Gruppen ein Riegel vorgeschoben.
Weiter präsent in der bis zu den schweren Kämpfen im Sommer von Anti-Assad-Einheiten gehaltenen Gegend bleibt außerdem die 8. Brigade des 5. Sturmtrupps, eine von Russland gebildete Einheit aus Oppositionsmilizionären, die dem Waffenstillstand mit dem Regime zustimmten. Anhänger Assads haben diese immer wieder als „Räuberbande“ bezeichnet.
Dass Lawrow bei seinem Treffen mit Lapid ausdrücklich zwischen „illegitimen“ und „legitimen Interessen, wie Israels Interesse nach Sicherheit“ unterscheidet, macht deutlich, dass Putins Regierung auch nach dem Ausscheiden Netanjahus aus dem Amt an guten Beziehungen zu Jerusalem interessiert ist. Dafür spricht auch der Besuch von König Abdullah II. in Moskau im August, wo die Lage im an Jordanien angrenzenden Daraa al-Balad breiten Raum einnahm. Bennett hatte Abdullah II. unmittelbar nach seinem Amtsantritt in Amman getroffen, ein Zeichen der Annäherung, nachdem Netanjahu die Beziehungen zu Jordanien deutlich vernachlässigt hatte.
Die Begegnung Bennetts mit Putin könnte deshalb eine weitere Stärkung des russischen Einflusses in Nahost nach sich ziehen. In den vergangenen Jahren hat Putin die Verbindungen zu Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten ausgebaut, traditionellen Verbündeten der USA. Die drei Staaten stehen an der Spitze der konterrevolutionären arabischen Allianz, der auch Israel sich zugehörig fühlt, seitdem es vor einem Jahr diplomatische Beziehungen mit den Emiraten und Bahrein aufnahm.
Dieses Bündnis könnte die Basis einer regionalen Sicherheitsarchitektur bilden, die angesichts des schleichenden Rückzugs der USA aus der Region eines Tages ohne amerikanische Militärmacht auskommen muss. Die jüngste Annäherung Jordaniens und der Emirate an Assad zeigt, dass das mittelfristig auf eine Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga hinauslaufen würde. Das wäre durchaus im Interesse Israels, das zwar versucht, den iranischen Einfluss in Syrien zu begrenzen – Assad aber immer als Garanten gegen das Erstarken islamistischer Milizen an seiner Nordgrenze betrachtete.♦
Markus Bickel ist Nahost-Experte und Leiter des Israel-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.
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